Cinema Moralia – Folge 101: Von der Rolle
Die Sozialdemokratie, die Kunst und ihr Tod: Die dffb, halbverkauft, vor der Entscheidung über ihr Selbstverständnis und die Berliner SPD im intellektuellen Koma – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 101. Folge
»Art is by so much the most exiting thing in the world.«
Philip Larkin, 15. Juni 1943
»A little mouse of thought appears in the room, and even the mightiest potentates are thrown into panic.«
Winston Churchill (»The Defence of Freedom and Peace (The Lights are Going Out)«)
»Warum muss die dffb gerettet werden?«, fragte Oskar Roehler, so wie es schon Erna Kiefer (NRW-Filmstiftung) und Kathrin Steinbrenner (EFM-Presse) am Eingang gefragt hatten. Und als dann auch noch Stefan Arndt mich fragte: »Warum muss die dffb gerettet werden?«, da spätestens wusste ich, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, mir während der Berlinale den Sticker »SAVE dffb!« anzustecken.
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Die Studenten der dffb, der Berliner »Deutschen Akademie für Film und Fernsehen« proben seit einigen Wochen den Aufstand. Bisher hätte ich in dieser Formulierung unbedingt das Wort »Aufstand« betont, gerade möchte ich lieber von Probe sprechen. Denn im Augenblick sieht es so aus, als ob die Studenten in Gefahr laufen, sich von den Machthabern der sogenannten Berliner Filmkultur, die den Prozess aussitzen wollen, über den Tisch ziehen zu lassen, von den Funktionären und ihren Wasserträgern, aus Naivität, mindestens, und verständlicher Furcht, und vieles von dem, was sie in den letzten Wochen aufgebaut und erreicht haben, krachern wieder zunichte werden zu lassen.
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Wer bisher noch nicht verstanden hat, was die Studenten wollen oder Protest sowieso blöd findet, und meint, die sollen besser mal Filme machen, der hat zwar meiner Ansicht nach ganz prinzipiell ein paar Dinge nicht gelernt, aber zumindest das dffb-Kapitel kann er jetzt nachholen: Denn der vom Wowereit-Nachfolger frisch wieder in seinem Posten verlängerte Chef der Berliner Staatskanzlei, Björn Böhning, nominell Sozialdemokrat, tatsächlich Lobbyist kulturpolitischen Neoliberalismus‘ hat die Maske hinter seinem netter-Schwiegersohn-Gesicht fallen lassen. In einer Rede auf dem »Deutschen Produzententag«, die an recht versteckter Stelle komplett nachzulesen ist, formuliert Böhning nichts Geringeres als eine Bankrotterklärung sozialdemokratischer Kulturpolitik.
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»Wandel als Chance« heißt die Rede, die Böhning am 5. Februar 2015 hielt – ein erschreckendes, und nicht nur, aber insbesondere für Sozialdemokraten erschütterndes Dokument: In seiner Essenz begreift diese Rede Film als ausschließliche Wirtschaftsgut. Die Bemerkungen zur Kultur sind wenige Halbsätze, reine Lippenbekenntnisse, formuliert in abwiegelnder Rhetorik: »Film und Fernsehen sind ein Kulturgut – das wissen wir.«
Direkt danach folgt das Entscheidende:
»Wir müssen uns aber noch konsequenter angewöhnen, Film und Fernsehen als Industriezweig zu betrachten.«
Zur »Zukunftsfähigkeit als Industriestandort« gehöre, behauptet Böhning, »eine ständige Evaluierung der Förderung nach wirtschaftlichen Kriterien.« Filmförderung müsse »Teil einer industriepolitischen Strategie« sein. »Das heißt: Die Förderpolitik muss sich danach richten, dass die größtmöglichen Wachstums- und Beschäftigungseffekte erzielt werden.
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Erschütternd ist nicht dass Böhning »eine Industriepolitik für den Film« fordert – so etwas gehört seit 30 Jahren zum Standardarsenal sozialdemokratischer Rhetorik: »Industriepolitik« ist da ein Synonym für »staatliche Steuerung der Wirtschaft« und »Staatsanteile in Schlüsselindustrien«.
Das Erschütternde ist die Kulturlosigkeit die in dieser Rede deutlich wird, die völlige Anwesenheit irgendwelcher kultureller Ideen oder Vorstellungen, die etwas mit Kunstförderung oder auch nur Kulturökonomie zu tun haben.
Dieser Sozialdemokrat hat offenkundig überhaupt keine Vorstellung von Kunst und Kultur – noch nicht mal eine falsche. Er sieht in Kultur keinen Zweck, sondern nur ein Mittel für »Wachstum und Entwicklung, zukunftsfähige Arbeitsplätze, wirtschaftliche Zukunftschancen nicht nur für die Hauptstadtregion, sondern für das ganze Land« zu schaffen.
Das ist ein Armutszeugnis. Es fällt auf den Mann selbst
und seine Partei zurück.
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Alles, was Böhning sagt, ist auch hochgradig naiv: Böhning fordert zwar recht forsch »ein neues Denken«. Man man müsse »Konzepte entwickeln, um unsere Erfolgsgeschichte fortzuschreiben.« Mit neuem Denken hat so etwas aber in der Sache nichts zu tun, vielmehr ist es abgestandene Suppe aus dem sozialdemokratischen Vorratskeller.
Schon vor über 60 Jahren, 1953, schrieb Gunter Groll, seinerzeit Filmkritiker der »Süddeutschen Zeitung«, zu solchen Ideen in wenigen Sätzen,
warum die Alternative Kultur gegen Wirtschaft erstens falsch gedacht und zweitens gar nicht das Problem ist: »Natürlich wird immer der künstlerische Film die Ausnahme sein. Doch auch der Gebrauchsfilm (…) untersteht dem Gesetz der Gattung auf seine Weise, auch er kann, auf seine Weise, glanzvoll oder jammervoll sein. Auch er kann originell sein, oder Schablone.«
Die Aufgabe selbst einer wirtschaftlich orientierten Kulturpolitik müsste Qualitätssicherung oder -steigerung sein.
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Böhnings Ausführungen zeigen aber, wes Geistes Kind der Mann ist. Ausgerechnet dieser Mann entscheidet auch – als Vorsitzender des Kuratoriums – maßgeblich über die Neubesetzung des Direktorenpostens der dffb. Sein falsches Verständnis von Filmpolitik wirkt sich fatal auf den Entscheidungsprozess aus.
Diese Entscheidung ist mittlerweile zu einer Hängepartie geworden. Es ist aus dem, was bisher bereits öffentlich wurde, oder zu erfahren war, deutlich geworden, dass es im Kuratorium ein großes Interesse daran gibt, den Charakter der dffb massiv zu verändern. Eine Kunstakademie mit besonderer, einmaliger Geschichte soll zerstört und in ein zweites Ludwigsburg verwandelt werden. Nun ist Ludwigsburg eine sehr gute Filmschule, aber eben ein völlig anderes Modell. Wozu muss man das kopieren und eine gewachsene, überdies sehr erfolgreiche Institution zerstören? Wer in Ludwigsburg studieren möchte, kann sich dort bewerben.
Ganz offenkundig setzten Böhning, aber auch andere an einer industrienahen Lösung interessierte Kuratoriumsmitglieder, auf Zeit. Und auf die Trägheit des Publikums: Man hofft und setzt darauf, dass die Proteste der Studenten – die seit immerhin über zehn Wochen höchst penetrante und dadurch erfolgreiche Mahnwachen vor Böhnings Büro im Roten Rathaus abhalten, abflauen. Und darauf, dass die Öffentlichkeit es nicht merkt, wenn das Kuratorium in diesen Tagen eine Entscheidung
fällen sollte.
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Was glauben Böhning und seine Verbündeten eigentlich? Sie haben es nicht geschafft, ihren Wunschkandidaten zu installieren, einen eigens angefragten, bekannten, gut vernetzten Herren aus dem Herz der deutschen Filmszene – aus Gründen, die wir hier nicht erörtern wollen, um dem betreffenden Herrn nicht weiter zu schaden, wurde das nichts. Daraufhin wurde ein zweiter ebenfalls angefragter Kandidat zum Wunschkandidaten. Dessen Name Julian Pölsler wurde bekannt – kurz
darauf baten ihn die komplette dffb-Studentenschaft und die Dozenten der dffb darum, seine Bewerbung zurückzuziehen. Pölsler, ein vermutlich ehrenwerter und durchaus sympathischer Mann wurde von den Verantwortlichen schlicht und einfach aufs Übelste verheizt, als Kanonenfutter in einem Feldzug, in dem es erkennbar darum ging, die andere Kandidatin, die Filmemacherin Sophie Maintigneux, Dozentin an der dffb und Kölner KHM, und Wunschkandidatin der Dozenten und Studenten der
dffb, nicht zum Zug kommen zu lassen.
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Kulturpolitisch ist der ganze Vorgang, für den Böhning massgeblich verantwortlich zeichnet, fragwürdig. Rechtlich als gemeinnützige GmbH organisiert, ist die dffb ihrem von allen getragenen Selbstverständnis nach eine Kunsthochschule, deren Profil und Leitung eine kulturpolitische Angelegenheit ist. Derartige Kulturpolitische Entscheidungen müssen auch öffentlich debattiert und in transparentem Verfahren getroffen werden. Bisher hat Björn Böhning keinerlei Konzept für die Zukunft der dffb erkennen lassen. Das Verhalten des Chefs der Senatskanzlei ist, das teilt die Studentenschaft der dffb mit, »auf jeder Ebene unverantwortlich.«
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Davor, vor solchen Nicht-Verfahren und vor solchen Verantwortungsträgern muss die dffb gerettet werden.
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Einen einzigen bemerkenswerten und vielversprechenden Punkt enthält die erwähnte Böhning-Rede allerdings auch noch: »Da sich das Geschäft immer mehr hin zu den digitalen Verbreitungswegen verlagert, ist ein logischer Schluss die Einführung neuer Abgabepflichten für Kabelnetzbetreiber und Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen. Das ist eine Frage der Abgabengerechtigkeit.«
Interessant ist daran, dass endlich ein SPD-Vertreter die Forderung vertritt,
Netzbetreiber zur Kasse zu bitten. Das ist überfällig. Böhnings grober Denkfehler liegt aber darin, dass er diese Abgaben in die Filmfördertöpfe fließen lassen will. Das ist sachlicher Unsinn (denn im Netz wird ja nicht nur mit Filmen, und schon gar nicht nur mit geförderten Filmen Geld verdient), es ist aber de facto auch eine neuerliche Aushebelung der Urheber.
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Tja, von Frankreich kann man vieles lernen. Gerade als ich das wieder mal dachte, flattert die eine Pressemitteilung herein: Nicht nur, dass der frischgebackene Oscar-Gewinner Ida oder Abderrahmane Sissakos Timbuktu in Frankreich locker zehnmal so viele Kino-Zuschauer haben wie in Deutschland. Sondern sogar die Einspielergebnisse von Christan Petzolds Phoenix übersteigen in Frankreich schon nach zehn Tagen die an den deutschen Kinokassen. Gratulation! Aber auch traurig.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind auf artechock in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.