Rückstellungsvereinbarungen: An die Sozialversicherung gedacht?
Mit dem Artikel „Rückstellungsvereinbarungen in der Filmbranche“ stellte Unser Gastautor, Dr. Martin Gerecke, die rechtliche Situation von Rückstellungsverträgen dar und stellte fest, dass „die Rückstellung von Gagen in der Filmbranche ein gängiges Vergütungsmodell darstellen, bei dem Mitwirkende wie Darsteller oder Regisseure auf Teile ihrer garantierten Vergütung für einen gewissen Zeitraum verzichten, um so die Produktion in finanzieller Hinsicht zu entlasten. Der Erhalt der vollständigen Gage ist hierbei aufschiebend bedingt; die zwischen Filmschaffenden und Produzenten geschlossene Rückstellungsvereinbarung führt dazu, dass der Urheber oder der ausübende Künstler erst dann den Anspruch auf Teile seiner Festvergütung geltend machen kann, wenn gewisse Ereignisse oder Bedingungen eintreten, z. B. eine bestimmte Profitabilität der Produktion erreicht ist (in der Regel indiziert durch die Höhe der durch die Auswertung erzielten, realen Produzentennettoerlöse).“
Als Steuerberater stellt sich mir da die Frage, wie dieser Sachverhalt sozialversicherungs- und steuerrechtlich beurteilt wird.
1. Sozialversicherungsrecht
a) Produktionsseite
Eine Anfrage bei der Abteilung „Grundsatz“ der Deutschen Rentenversicherung führt zu folgendem ernüchternden Ergebnis: „Wird laufendes Arbeitsentgelt, auf das der Arbeitnehmer aufgrund von Arbeitsleistung einen Anspruch hat, aus welchen Gründen auch immer, nicht oder nur teilweise gezahlt, hat dies keine Bedeutung für die Beiträge zur Sozialversicherung. Diese sind dennoch zu zahlen. Selbst wenn nach Jahren entschieden wird, dass das Arbeitsentgelt überhaupt nicht nachgezahlt wird, verbleibt es bei den Beiträgen. Im Sozialversicherungsrecht gilt der anerkannte Grundsatz, dass Versicherungsverhältnisse stets vorausschauend zu beurteilen sind und nachträglich nicht verändert werden dürfen. Die versicherungs- und beitragsrechtliche Beurteilung für die Vergangenheit kann insoweit rückwirkend nicht korrigiert werden.“
Beispiel:
Eine Filmproduktionsgesellschaft schließt mit dem Filmstab und den Schauspielern Rückstellungsverträge ab. Es wird vereinbart, dass die Gage gezahlt wird, soweit sich ein bestimmter Erfolg der Produktion einstellt. In den Rückstellungsverträgen ist die Gage mit einem Maximalbetrag festgelegt. Wirft die Produktion nicht genug ab, um den Filmstab vollständig zu bezahlen, soll prozentual ausgeschüttet werden.
Aufgrund des im Sozialversicherungsrecht geltenden Entstehungsprinzips wird zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Anspruch auf Arbeitsentgelt entstanden ist (der Monat, in dem gedreht wurde), die Sozialversicherung auf den Maximalbetrag fällig. Die Beiträge sind von der Produktion anzumelden und abzuführen. Ob das in der Praxis tatsächlich so gehandhabt wird, kann in dem einen oder anderen Fall zumindest bezweifelt werden. Allerdings ist hier Vorsicht geboten! Denn der Arbeitgeber haftet nicht nur für die richtige Berechnung, sondern auch für die Abführung der Beiträge zur Sozialversicherung (§ 28e SGB IV). Ein Verstoß kann unter Umständen zu strafrechtlichen Sanktionen gegen den Arbeitgeber führen.
Einfach gesagt: Die Beiträge zur Sozialversicherung müssen immer zum Zeitpunkt der geleisteten Arbeit abgeführt werden – auch für rückgestellte Gagen!
Die Gewissheit dieser Problematik könnte zu der Überlegung führen, die Maximalvergütung äußerst gering auszuweisen und zusätzlich einen Gewinnzuschlag o.ä. zu fixieren. Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten, wie schon Herr Dr. Gerecke feststellte: „Im Falle der Tarifbindung beider Vertragsparteien darf die vereinbarte Gage die tarifliche Vergütung nicht unterschreiten. Für die vereinbarte Rückstellung bedeutet dies: der Anteil, der dem Vertragspartner ohne die Rückstellung als fixe, garantierte Zahlung verbleibt, darf nicht deutlich unter der tarifvertraglichen Mindestvergütung verbleiben“.
Einfach gesagt: Sobald der garantierte Teil der Gage in einem Rückstellungsvertrag deutlich unter der Tarifgage liegt, ist der Tatbestand der Sittenwidrigkeit wahrscheinlich erfüllt.
Soweit Vereinbarungen unter Tarif getroffen würden, ist der Sozialversicherungsbeitrag auf den gemäß Tarifvertrag festgelegten Wert zu berechnen. Denn in Anknüpfung an ein Urteil des Bundessozialgerichts ist der Prüfdienst der Deutschen Rentenversicherung dazu übergegangen, Beitragsleistungen nicht nur für die tatsächlich an den Arbeitnehmer ausgezahlten Entgeltleistungen zu verlangen, sondern auch für solche zusätzlichen Leistungen, auf die der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber nach materiellem Recht einen Anspruch gehabt hätte. Der Arbeitnehmer hingegen zahlt aber nur seinen Arbeitnehmeranteil auf die tatsächlich gezahlte Gage. Der Mehrbeitrag, der sich durch Anwendung der Tarifgage ergibt, ist vom Arbeitgeber alleine zu tragen.
Einfach gesagt: Auch wenn weniger als die Tarifgage gezahlt wird, müssen die Sozialversicherungsbeiträge nach der vollen Tarifgage berechnet und abgeführt werden.
b) Arbeitnehmerseite
Beitragsschuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrages ist der Arbeitgeber. Er hat gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf den Arbeitnehmerbeitragsanteil, der nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden kann. Wird das Arbeitsentgelt nachgezahlt, ist der Arbeitgeber dann auch zum Einbehalt des Arbeitnehmeranteils berechtigt. Wird kein Arbeitsengelt gezahlt, hat demnach der Arbeitnehmer auch keinen Anteil zu leisten sondern die Belastung bleibt beim Arbeitgeber.
Einfach gesagt: Der Arbeitgeber muss auch für die rückgestellte Gage die Sozialversicherungsbeiträge zum Zeitpunkt der Dreharbeiten abführen. Für den diesen Teil der Gage muss der Arbeitgeber aber auch den Arbeitnehmeranteil abführen. Kommt es zur späteren Auszahlung der Gage an den Arbeitnehmer, behält der Arbeitgeber den Sozialversicherungsanteil des Arbeitnehmers bei Auszahlung ein.
2. Steuerrecht
Steuerrechtlich führen Rückstellungsvereinbarungen zu folgenden Ergebnissen:
a) Produktionsseite
Anders als im Sozialversicherungsrecht fällt Lohnsteuer für Arbeitnehmer erst im Zeitpunkt der Zahlung an. Insoweit hat die Produktion die Gagen erst bei Auszahlung in der Lohnsteueranmeldung zu berücksichtigen und an das Finanzamt abzuführen.
I. Bilanzierende Unternehmen
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Produktion die eventuell anstehende Auszahlung der Gagen im Rahmen der Bilanz, insbesondere als Rückstellung, zu berücksichtigen hat. Eine Berücksichtigung von Rückstellungen dient dem Zweck, künftige Ausgaben oder Verluste dem Wirtschaftsjahr der Verursachung zuzuordnen. Dabei ist noch nicht absehbar, ob und wenn ja, wann und in welcher Höhe zu zahlen ist.
Die Rückstellungsverträge in der Filmbranche sind unserer Meinung nach als Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu interpretieren. Nach dem Handelsrecht sind solche Rückstellungen zwingend zu bilden. Anders sieht es hier allerdings im Steuerrecht aus, das mit § 5 Abs. 2a EStG Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten verbietet, soweit diese nur zu tilgen sind, soweit künftig Gewinne oder Einnahmen anfallen. Dies bedeutet, dass die Produktion handelsrechtlich eine entsprechende Rückstellung zu bilden hat, dies in der Steuerbilanz allerdings unterlassen muss. Es kommt somit zur Abweichung zwischen Steuer- und Handelsbilanz.
II. Unternehmen, die den Gewinn mit der Einnahmenüberschussrechnung ermitteln
Bei kleineren Produktionen, die ihren Gewinn anhand der Einnahmenüberschussrechnung ermitteln, ist das Zufluss-Abfluss-Prinzip zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass es erst mit Auszahlung der Gage zu einer Gewinnminderung kommt.
b) Empfängerseite
I. Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit
Ist die Gage als „Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit“ zu werten, erfolgt die Versteuerung erst mit Auszahlung der entsprechenden Gage. Eine rückgestellte Gage wird also erst mit der Auszahlung steuerlich relevant.
II. Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit
Rechnet das Mitglied der Filmcrew mit Rechnung gegenüber der Produktion ab und ermittelt seinen Gewinn anhand der Einnahmenüberschussrechnung, kommt es ebenfalls erst mit der Bezahlung der Rechnung über den rückgestellten Betrag zur Versteuerung der Einnahmen.
3. Gesetzliche Unfallversicherung
Wie bei der Sozialversicherung wird auch bei der Unfallversicherung das Arbeitsentgelt berücksichtigt, auf welches ein Anspruch bestand bzw. eventuell besteht. Im Jahr des Drehs die Summe aus ausbezahltem und rückgestelltem Arbeitsentgelt zu melden und der Beitrag zur Berufsgenossenschaft zu entrichten.
Zu beachten ist, dass die Regelungen übrigens auch für NoBudetproduktionen gelten, bei denen häufig 100% der Gage zurückgestellt werden. Somit sollte zumindest für die Beiträge zur Unfallversicherung und zur Sozialversicherung ein Budget vorhanden sein.
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