Gedanken in der Pandemie 112: Nach fest kommt ab
Wie will man so eine Pandemie bekämpften? Gedanken in der Pandemie 112.
„Allein dieses Wort ,Ausgangssperre’ müsste verboten werden, denn es sogar irrt dass es draußen gefährlich ist. Dabei ist die wahre Gefahr drinnen.“
Gerhard Scheuch, Aerosol-Forscher
„Wir haben es doch an Ostern gesehen: Plötzlich waren die Werte unten. Einfach nur, weil weniger getestet wurde. Das ist hoch manipulativ.“
Ferdinand von Schirach, am Mittwoch zum Inzidenz-Wert.
Eine Impfdosis gegen Covid-19 kostet 30 Euro. Wir hatten bereits im Sommer und haben heute sechs verschiedene Unternehmen, die Impfstoff herstelllen. Wir haben 80 Millionen Bürger.
Sechsmal 30 Euro mal 80 Millionen sind 14.4 Milliarden Euro. Soviel hätte es gekostet, bei allen sechs Anbietern Impfstoff für je 80 Millionen Deutsche zu bestellen. Plus ein Aufschlag für guten Service und Schnelligkeit, plus ein paar Millionen Dosen von Sputnik und aus China macht zusammen (ohne jeden Rabatt) … sagen wir: 20 Milliarden.
Laut IFO, dem Institut der deutschen Wirtschaft, kostet jede Woche Lockdown den deutschen Staat 25 bis 54 Milliarden Euro.
Wurde hier gut gerechnet? Wurde hier gut gewirtschaftet? Gibt es Anlass, Kanzlerin Merkel zu loben, oder Anlass, wütend auf die Regierung zu sein, und die Regierungsparteien endlich abzuwählen?
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Das ist mal eine gute Nachricht, jedenfalls für die deutsche Sprache: „Viele junge Frauen sind gegen das Gendern.“ Das behauptet zumindest Julia Ruhs, selbst junge Frau und Volontärin beim Bayerischen Rundfunk. Ihr Erfolg scheint ihr recht zu geben. Denn seit sich Ruhs neulich im ARD-„Mittagsmagazin“ sehr unverblühmt gegen das Gendern ausgesprochen hat, bekam sie eine ganze Menge Reaktionen, zum Teil sehr heftige. Dies berichtete Ruhs jetzt im Interview mit „Meedia“.
„Mich stört vor allem, dass das Gendern keine natürliche Veränderung der Sprache ist. Sondern eine, die erst in den letzten Jahren immer mehr forciert wurde. Normalerweise wird Sprache ja nicht komplizierter, wenn sie sich wandelt, sondern vereinfacht sich eher. Beim Gendern ist das Gegenteil der Fall.“ erklärt die Journalistin in dem Interview. Außerdem lägen die Gründe für fehlende Gleichstellung von Männern und Frauen nicht in der Sprache, sondern in den realen Bedingungen von Arbeit und Leben. Und Sprache ist zwar auch Realität, aber weicher, formbarer und freier, als zum Beispiel eine seit Jahrzehnten festgeschriebene Bezahlung. Sprache ist keine Materie. Gender-Befürworter argumentieren immer, es sei umgekehrt, das „angemesssene Sprechen“ verändere die Materie und indem wir durch die Sprache das Denken verändern, verändern wir auch die Wirklichkeit. Dann müsste in manchen Ländern längst totale Glerichstellung erreicht sein, denn dort hat die Sprache kein Geschlecht. Zum Beispiel in Victor Orbans Ungarn.
„Genau diesen Ansatz, mit einer künstlichen Sprachveränderung das Denken beeinflussen zu wollen halte ich für ein völlig falsches Mittel.“ sagt Ruhs. Und weiter: „Ich glaube, dieses Thema verlangt schon danach, von einer jungen Journalistin kommentiert zu werden. Jedem älteren, vor allem männlichen Kollegen wäre im aktuellen Diskursklima sofort abgesprochen worden, sich über das Thema äußern zu dürfen – weil er zu alt ist oder als Mann von dieser angeblich diskriminierenden Sprache eh nicht betroffen ist. … Aber ich kenne sehr viele junge Frauen, die genau so denken wie ich. Deren Stimme wird zu selten gehört. Manchmal scheint es fast, als wären per se alle junge Frauen fürs Gendern, aber das stimmt so einfach nicht.“
Dass es darauf Reaktionen geben würde, überraschte schon qua Setting nicht: Dennoch, so Ruhs weiter gegenüber „Meedia“, sei sie von der Masse und Heftigkeit der Reaktionen überrascht gewesen. In Zahlen bekam sie: Fast 8.000 „Gefällt-mir“-Angaben beim Twitter-Account des „Mittagsmagazins“, über 2000 Reaktionen. Fast genauso viel Feedback bekam Ruhs bei ihrem eigenen Twitter-Account, über den sie den Beitrag ebenfalls teilte. Ihre Followerschaft hat sich in den vergangenen Tagen auf fast 5.000 User vervielfacht.
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„Nach fest kommt ab.“ – so lautet ein offenbar bekannter, mir bisher unbekannter Handwerker-Spruch. Er passt, so scheint mir ganz gut auch zum Dauerrufen nach immer härteren, immer festeren, immer strengeren Lockdown-Maßnahmen.
Der Spruch will sagen, dass man irgendwann nicht mehr fester und härter agieren kann. Dann schlägt die Kraft ins Gegenteil um, die Schraube dreht durch, der Lockdown scheitertt. Genau an diesem Punkt befindet sich jetzt die deutsche Gesellschaft.
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Besonders spannend war am Mittwoch wieder einmal die „Markus-Lanz“-Sendung. Mehr und mehr kommen bei Lanz auch Stimmen zu Wort, die die Absurdität der alltäglichen Corona-Politik kritisieren, und die auf Einseitigkeiten und Fehlwahrnehmungen hinweisen.
Besonders ging es um die von Kanzlerin Merkel geplanten Ausgangssperren und Durchgriffsgesetze. „Es gibt in Berlin zwei Schulen“ sagte zum Beispiel Helene Bubrowski von der „FAZ“. „Die einen blicken von der Seite der Naturwissenschaft auf die Pandemie, und wollen nichts als Vorsicht, Die anderen blicken von den Bürgerrechten her. Das muss man eigentlich zusammenrechnen und zusammen denken. Aber diejenigen, die den Ton angeben, sind im Augenblick nur die einen.“
Die Beratung kommt zur Zeit von den Modellierern. Das ist die wichtigste Entscheidungsgrundlage: Computer-Modelle von Infektions-Mathematiker. Die aber nur eine Theorie für das haben, was passiert, die auf sehr dünner Datengrundlage steht.
Der Waldlauf alleine ist nach 21 Uhr verboten, aber das Einkaufen im Supermarkt wo man 5 Minuten in der Schlange zwischen hustenden Leuten steht, ist erlaubt.
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Zum Star der Sendung wurde aber ein solcher Naturwissenschaftler, der Aerosolforscher und Biomediziner Scheuch. Gerhard Scheuch: „Wissenschaft heißt ja Wissenschaft, weil sie Wissen schafft. Wir haben es noch nicht.“
„Es gibt Mitbürger, die in sehr engen Wohnungen leben. Fragen Sie mal die Intensivmediziner, wer da auf der Station bei denen liegt? Es sind sozial Schwache. Die haben sich alle in ihren Wohnungen angesteckt. In Wohnsilos. Dort finden Ansteckungen statt. Und wir reden über Biergärten.“ Infektionen draußen seien so gut wie ausgeschlossen. Er könne das mit diversen Studien belegen.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sekundierte: „Wir haben Jahrgänge von Kindern, die vier Monate nicht in den Schulen waren, aber wir haben Unternehmen die diese ganzen vier Monate ununterbrochen im Großraumbüro gearbeitet haben.“
Die meisten Bundesländer haben das Geld für Aerosol-Filter, das vom Bund bereitgestellt wurde, nicht abgerufen. Warum passiert das nicht? Das ist die Frage die die Leute bewegt. Wie sind unsere Entscheidungsprozesse?
Wie will man so eine Pandemie bekämpften? Wir haben ein Jahr Erfahrung, aber immer abwechselnd Aufmachen und Zumachen, dann im Zweifelsfall immer Zumachen, sind Antworten aus dem letzten Jahr.
Auch Ferdinand von Schirach sekundierte: „Das ist eine falsche Einstellung zu Bürgerrechten.“ Kann man, weil man es nicht schafft bestimmte Treffen im Privaten zu unterbinden, deswegen alle Leute dazu verdonnern, zu Hause zu bleiben? Die Ausgangssperre ist ultima ratio. Ich glaube nicht, dass die Politik gut beraten ist, wenn sie über Bürgerrechte wissenschaftlich entscheidet.“
„Wir haben in einer Studie 7.324 Infektionen untersucht. Eine einzige fand draußen statt. Das waren zwei Menschen, die sich eine lange Zeit vor der Haustür direkt unterhalten haben. Das bestreitet nur Herr Lauterbach.“
Es war sehr angenehm an Scheuch, dass er auch einmal die unangefochtene Fernseh-Autorität des Karl Lauterbach in Frage stellte.
Denn das ist unser eigentliches Problem: Dass Lauterbach dauernd widerspricht, und zwar ohne jeden Beleg, und allem, was als Lockerung verstanden werden kann, sofort irgendein Contra entgegensetzt.
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Genaugenommen ist Karl Lauterbach unmöglich. Und man muss sich schon fragen, warum ausgerechnet so ein Mann als „Experte“ in Deutschland zu einer Art Seuchenguru mutieren konnte. Natürlich kann man vieles erklären: Gerade weil Lauterbach, selbst seit er auf die Fliege verzichtet hat, „schrullig“ rüberkommt, weil er nicht anders sprechen kann, als in diesem rheinischen Kölner Singsang, bei dem man an Karneval denkt, Willy Millowitsch, an Tünnes und Scheel …
Weil Lauterbach angeblich in den Medien gemobbt wird, kann man aber faktisch überhaupt nichts mehr gegen Lauterbach sagen, ohne dass man sich gleich dafür entschuldigen muss und latent als Corona-Leugner dasteht. Das hat der Medienprofi Lauterbach gut gemacht.
Jeder, der in der Öffentlichkeit steht, bekommt übrigens solche Post. Aber nicht jeder macht sie öffentlich.
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Wiessenschaftler wie der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte und der Professor für „Political Data Science“ an der Münchner „Hochschule für Politik“, Simon Hegelich, nehmen in der Süddeutschen Zeitung das Wirrwarr von Zahlen, mit dem führende Politiker gern die letzte Wahrheit für sich reklamieren, aufs Korn. Hegewich attackiert, dass die, die so zitieren, vor allem an vorgefassten Hypothesen festhielten. Zielorientierte Politik schlage da in ihr Gegenteil um – und werde zur „reinen Glaubensfrage“. Er provoziert die scheinbar Allwissenden: „Vielleicht ist Covid-19 gar kein neues Virus, sondern nur der Test neu.“ Hegelich erinnert an bewährte Regeln: Dass „politisches Handeln mit anerkannten wissenschaftlichen Theorien und empirisch überprüfbaren Daten begründet wird.“ Doch derzeit wechseln Daten und Bezugsgrößen von Tag zu Tag. Der Münchner Daten-Professor verteidigt die Kritiker der Corona-Politik der Regierung und wirft dieser „eine Umkehr der Beweislast“ vor, „die den Kritikern der Politik entgegenschlägt.“
Hegelichs Fazit ist bitter: Wenn „ständig ein neues Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird“, lasse sich keine vernünftige Debatte über die Notwendigkeit von Maßnahmen führen. Es mache keinen Sinn, dazu Thesen aufzustellen, „die nicht belegbar und daher auch nicht widerlegbar sind“. Hegelich treibt die Skepsis auf die Spitze: Er frage sich, „ob überhaupt politischer Handlungsbedarf besteht“.
In Zweifeln wie diesem steckt auch der Erkenntnisgewinn.
Korte spricht von „Coronakratie“. Der Bürger aber solle nicht gehorchen, sondern müsse seinen Kopf selbst anstrengen. Was er anbietet, dürfte den einen besänftigen und den anderen deprimieren: „Demokratie kennt keine politische Entscheidungskraft und keine politische Autorität kraft Wissens.“ Was mithin zählt, ist der politische Wille. Fakten sortieren, Ziele formulieren und Schlüsse ziehen, muss jeder für sich allein.