Kino in Zeiten von Corona 7
Die Streams der Woche.
Getroffen hat es jetzt die „Königin“. Die Königin ist Trine Dyrholm in May El-Toukhys Drama, das Dänemark für diesen Jahrgang ins „Oscar“-Rennen geschickt hatte. In Deutschland wurde der Film auf dem Filmfest Hamburg im letzten Herbst erstmalig vorgestellt. Anne nimmt den Sohn ihres Mannes Peter (Magnus Krepper) aus erster Ehe mit in die Familie auf. Gustav (Gustav Lindh) ist 16 Jahre alt und soll in der abgeschiedenen Idylle, die Anne aufgebaut hat, wieder auf die richtige Spur kommen. Die allerdings führt in den Wald hinter dem Haus. Stiefmutter und Stiefsohn kommen sich näher, als sittlich ist. Es ist ein herausfordernder Film, das Publikum sieht, was die Titelfigur macht, und weiß, dass es falsch ist, und weiß, dass sie weiß, dass es nicht richtig ist. Dyrholms Figur legt eine Grausamkeit zu Tage, die ihre heile Welt mit aller Macht und koste es, was es kostet, erhalten will. „Königin“ sollte ursprünglich am 9. April 2020 ins Kino kommen und wird seit dem 5. Mai auf den digitalen Portalen angeboten.
Auch „Berlin, Berlin – Der Kinofilm“ von der Constantin, ursprünglich auf den 19. März terminiert, wandert gleich in die digitale Verwertung. Die Produktionsfirma hat sich für einen exklusiven Deal mit dem Anbieter Netflix entschieden, die die Komödie ab dem 8. Mai zusammen mit der ARD-Fernsehserie „Berlin, Berlin“ auswerten wird. Zwischen 2002 und 2005 entwickelte sich die Serie um Lolle (Felicitas Woll), die aus einem kleinen Nest der Liebe wegen in die Großstadt kommt und dort, weil die Liebe erstmal futsch ist, in einer WG landet, zum Publikumsliebling. Die Serie hatte damals Spaß gemacht.
Gerade erst wurde „Born in Evin“ beim „Deutschen Filmpreis“ als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Der Verleih Real Fiction stellt „Born in Evin“ jetzt für eine kurze Zeit On-Demand für 9,90 Euro (für 48 Stunden Leihzeit) zur Verfügung. Anfang Juni wird es dann eine DVD geben. Maryam Zaree war zwei Jahre alt, als ihre Mutter mit ihr in die Bundesrepublik Deutschland kam. Ihr Vater konnte sie nicht begleiten. Beide Elternteile waren in Maryam Zarees Heimat im Gefängnis gewesen. Sie hatten sich gegen den Schah aufgelehnt und auch gegen das Regime Ayatollah Khomeinis. Maryam erfuhr eher zufällig, durch eine unbedachte Äußerung ihrer Tante, die in Frankreich lebt, dass sie in einem Gefängnis für politische Gefangene geboren wurde, wo sich 40 bis 60 Insassen eine Zelle teilten. Den Film betrachtet Maryam, die heute Schauspielerin und Autorin ist (“Shahada“, „4 Blocks“) als ihr Lebenswerk. Das Schweigen über Erlebtes belastet nicht nur Einzelne, sondern die Nachgeborenen und die Gesellschaft als solche. Ihre Mutter, Nargess Eskandari-Grünberg, ist promovierte Psychologin. Ihr Stiefvater, Kurt Grünberg, ist ebenfalls Psychoanalytiketer, der sich mit den Spätfolgen der nationalsozialistischen Judenvernichtung beschäftigt. Durch diesen biografischer Hintergrund wurde Zaree sicherlich sensibilisiert, aber das heißt nicht, dass das Sprechen und Aufarbeiten einfacher wäre. Da ihre Mutter schwieg, suchte sie andere, um etwas über das Schicksal und die Umstände zu erfahren. Aber auch die Generation der Kinder schweigt.
Online-Premieren richtet das Kino „Lodderbast“ in Hannover aus. Fast täglich gibt es um 20 Uhr einen Livestream mit Film und anschließendem Gespräch mit Gästen über Twitch, für den man natürlich einen Account braucht. Über dessen Chatfunktion soll man sich dann beteiligen können. Um Spenden wird trotzdem gebeten, für die Filmemacher und die Verleiher, mit denen man kooperiert. Im Programm steht heute „Dogman“ von Matteo Garrone über einen Hundefriseur, der sich gegen die soziale Gewalt, die ihm die Würde zu nehmen droht, auflehnt. Im Anschluß wird es ein sogenanntes Film-Gespräch mit dem Autoren Axel Hacke geben.
Morgen folgt dann Ulla Geigers „Wir drehen keinen Film“, auf den wir schon mehrmals hingewiesen haben. Auch hier wird ein Gespräch, mit Ulla Geiger, anvisiert.
Am Sonntag folgt „Die Bettwurst“ von 1971. Rosa von Praunheim steht im Anschluß interaktiv zum Gespräch bereit. Einer der nächsten Premieren ist dann am kommenden Montag eine Online-Premiere vor dem Online-Start von W-Film: „Germans & Jews – Eine neue Perspektive“. Die Regisseurin Janina Quint steht für ein Film-Gespräch zur Verfügung.
75 Jahre sind seit dem Kriegsende vergangen. Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen Deutschen und Juden? „Eine neue Perspektive“ will der amerikanische Dokumentarfilm von Janina Quint aufzeigen, die Berlin als eine Stadt mit dem am höchsten wachsenden jüdischen Bevölkerungsanteil in Europa sieht. Bei einem Aufeinandertreffen von jüdischen und nicht-jüdischen Mitbürgern bei einem gemeinsamen Essen in Berlin entfaltet sich ein Austausch über das jüdische Leben in der deutschen Stadt. Dabei zeigt die Dokumentation, die hauptsächlich Interviews in Einzelgesprächen aneinanderreiht, wie sich diese beiden Pole über die Jahrzehnte angenähert haben. Konnte man nach Deutschland zurückkehren? Konnte man im ehemaligen Täterland aufwachsen? Ist es denn nicht so, dass die Schüler in Deutschland inzwischen mehr über den Holocaust (im Film wird der Ausdruck Holocaust und nicht Shoah verwendet) lernen, als über andere Eckpunkte der deutschen Geschichte? Allerdings ist der Film von 2016 und kann auf die aktuellen Tendenzen nicht eingehen.
W-Film hat einen eigenen On-Demand-Kanal und spricht von „solidarischen Kinostarts“. Die Hälfte der Einnahmen aus der On-Demand-Videoauswertung gehen auch bei W-Film an die beteiligten Kinos, die auf ihre Film hinweisen und sie auf ihre Programmseite nehmen. „Germans & Jews“ startet dort am 14. Mai.
Der Salzgeber Club bringt in dieser Woche zwei mittellange Filme in ihre Aufstellung. Beide Filme sind auf dem Max-Ophüls-Festival angetreten, der eine 2018 und der andere 2019, und haben dort in der entsprechenden Kategorie den Hauptpreis gewonnen. Aus dem Produktions- und Festivaljahrgang 2018 stammt „Bester Mann“ von Florian Forsch, den er in Kopdroduktion mit der Kunsthochschule für Medien Köln gedreht hat. Er erzählt von Kevin (Adrian Grünewald), der von Natur aus schüchtern ist. Als seine Freunde ihn im Wald hängen lassen, begegnet er Benny (Frederik Schmid), der ihm nicht ohne Hintergedanken hilft. Das Publikum erkennt die Mechanismen der Manipulation sehr bald, aber Forsch hält offen, wie sehr sich Kevin bewußt ist, was mit ihm geschieht. Benny wirkt subtil auf Kevins Selbstbewußtsein ein. Verführt ihn, so dass Kevin dem vermeintlich neuen Freund helfen will und sich auch etwas davon erhofft. Forsch recherchierte mehrere Monate über reale Fälle, in denen Jugendliche in ähnlicher Weise in die rechtsextreme Szene gerutscht sind. Forsch fordert das Publikum – auch, indem er nicht alles zeigt.
Von der Annäherung zweier sehr unterschiedlicher Männer erzählt Kai Kreuser in seinem Abschlußfilm an der Internationale Filmschule Köln. Lars (Nikolaus Benda), Deutscher, gut situiert, gabelt Waseem (Renato Schuch), Flüchtling aus Syrien, auf einem Bahnsteig auf. Der gibt klare Regeln vor. Austausch von Sex gegen Geld ist der Deal. Es wird eine scheinbar regelmäßige Kiste daraus, die mehr und mehr nonverbal abläuft. Die beiden Darsteller haben eine Chemie miteinander, ihre Figuren dringen zu dem Publikum durch, auch wenn keiner von beiden eine Backstory hat. Kai Kreuser nimmt sich Zeit in seinem einfühlsamen Porträt. Je näher sie sich kommen, desto mehr müssen sich beide jeweils über sich selbst Klarheit gewinnen. Besonders für Waseem, der ein anderes Bild von Männlichkeit hat, gestaltet sich das schwierig.
Auch der Verleih Rapid Eye Movies baut sein On-Demand-Portal aus. Darunter findet sich aktuell „Arirang – Bekenntnisse eines Filmemachers“. Kim Ki-duk ist der angesehene Regisseur einiger Arthaus-Perlen wie „Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling“, „Bin Jip“ oder „Hwol – Der Bogen“. Doch anscheinend folgte auf die fruchtbaren Jahre eine Art Schaffenskrise, ausgelöst durch einen Unfall bei einem Dreh. In „Arirang“, den er 2011 fertiggestellt hat, gibt es keine Geschichte zu erzählen. Er könne keine Filme mehr drehen, darum filme er sich selbst. Der Regisseur ist sein Hauptdarsteller, sein Kameramann, sein Cutter, sein Produzent. In einer einfachen Behausung, in dem ein aufgespanntes Zelt die Kälte bändigen soll, haust der weltweit ausgezeichnete Regisseur und all der Ruhm bedeutet hier nichts. Es passiert nichts, außer dass der Zuschauer Zeuge wird einer Selbstreflexion, eines Selbstbekenntnisses, einer Selbstdemontage. Wir folgen dem Mann in die selbstgewählte Isolation, bis er zum heulenden Elend schrumpft. Wie ehrlich ist ein Mensch, noch dazu ein kreativer, mit sich selbst und teilt dies auch noch mit aller Welt? Es ist ein schonungsloser Blick auf die Person Kim Ki-duk, die offen lässt, wie sehr die Anwesenheit der Kamera auch Selbstmanipulation begünstigt. Und keine Sorge: Kim Ki-duk hat seitdem viele Filme gedreht, „Pietà“ gewann 2012 in Venedig den goldenen Löwen.
Zum Schluß noch ein Tipp, seit dem 25. April podcastet das „Team Deakins“. Der Kameramann Roger Deakins („Fargo“, „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ und zuletzt „1917“) unterhält sich wochentäglich mit seiner Filmgewerke- und Lebenspartnerin James Ellis Deakins. Die Gesprächsthemen sind praktischer Natur, ganz so, wie seine Webseite ein Fundus an Informationen und Antworten auf Filmfragen ist.
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