„Ich stell’ mal eine ketzerische Frage“

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Vorab eine Anmerkung des Autors: „In den Facebook-Kommentaren verstehen manche Menschen die Szene jetzt als so eine Art Generalabrechnung – nein, das sollte es nicht sein. Ich wollte nur keine staubtrockene Keynote als Diskussionseinstieg halten, sondern etwas Launiges, schließlich sind wir im Unterhaltungs-Business. Natürlich gründet sich das alles auf reale Erfahrungen von mir und von Kollegen – aber natürlich habe ich maßlos und bösartig übertrieben …“

Vorab eine Anmerkung des Autors: „In den Facebook-Kommentaren verstehen manche Menschen die Szene jetzt als so eine Art Generalabrechnung – nein, das sollte es nicht sein. Ich wollte nur keine staubtrockene Keynote als Diskussionseinstieg halten, sondern etwas Launiges, schließlich sind wir im Unterhaltungs-Business. Natürlich gründet sich das alles auf reale Erfahrungen von mir und von Kollegen – aber natürlich habe ich maßlos und bösartig übertrieben …“ | Illustration: cinearte

Stoffentwicklung in der Drehbuchhölle: Für die Fachtagung Film-Stoff-Entwicklung hatte der ­Drehbuchautor Robert Hummel im November seine Berufserfahrungen ironisch zusammengefasst.

 

KONFERENZRAUM INNEN/TAG

Auf dem Tisch: Kekse, Wasser, Kaffee und ein Telefon. Der AUTOR (Mitte 40, blass, Rundrücken) kommt mit der DRAMATURGIN (Ende 20, wunderschön, Brille) herein.

DRAMATURGIN

Oder „True Detective“ … So was mal in Deutschland…!

AUTOR

Hab’ ich versucht. Der Sender sagte: Wenn es in Schweden spielen würde, ja – aber im Schwarzwald?

Die PRODUZENTIN (Ende 40, elegant) kommt herein.

PRODUZENTIN

So, nun kann’s losgehen. Alles gut?

Bevor der Autor antworten kann, erscheint der REGISSEUR, 50, Basecap.

REGISSEUR

Servus! Sie sind der Autor?

Der Autor nickt und schaut den Regisseur erwartungsvoll an.

REGISSEUR

Ah, ja.

PRODUZENTIN

Auf geht’s.

Die Dramaturgin stellt die telefonische Verbindung zur Redaktion her, die Redakteurin meldet sich über den Lautsprecher des Telefons.

REDAKTEURIN (per Telefon)

Hallo, Ihr Lieben!

Allgemeines Begrüßungsgemurmel.

REDAKTEURIN

Das ist so schade, daß ich nicht bei euch sein kann! Aber egal. Gehen wir doch gleich in medias res: Der Titel. Wir haben den Titel in der MaFo getestet. Abgrund Hamburg… ich find’s ja immer noch ganz großartig, aber in der MaFo kam er nicht so gut an. Zu düster.

PRODUZENTIN

Da finden wir sicher was Helleres. Ähm… was sagst du zur ersten Fassung des ­Pilotbuchs?

REDAKTEURIN

Fangt ihr doch heute mal an!

PRODUZENTIN

Ähm, ja… (zur Dramaturgin) Dorothea?

Die Dramaturgin ist überrumpelt, schaut hektisch in ihre Notizen.

DRAMATURGIN

Ja, also, ich, ähm…Want und Need unserer Heldin sind noch unklar. Die Wendepunkte finde ich nicht sehr prägnant, und ich habe auch nicht erkannt, wo die Weigerung der Heldin ist.

REGISSEUR

Was für eine Weigerung?

DRAMATURGIN

Im Modell der Heldenreise“ ist die Weigerung der Schritt vor der Begegnung mit dem Mentor.

AUTOR

Moment! Unsere Heldin ist Kriminalkommissarin, warum sollte sie sich weigern zu ermitteln?

DRAMATURGIN

Wenn ihr Need vielleicht wäre, daß sie, ähm…

PRODUZENTIN

Reden wir doch erst mal über die Big Points… Ich bin eigentlich ganz ­d’accord, nur die Hafenszene….

REGISSEUR

Die Hafenszene ist die einzige, die genauso bleiben kann!

Der Autor schluckt.

REGISSEUR

Kennt ihr Heat“ von Michael Mann? Wenn Pacino mit seinen Jungs da steht, und De Niro beobachtet ihn von oben? Sowas mach ich, aber besser! Mit ’ner Drohne! Ich fang über dem Hafen an, Hammer-Totale, wir fliegen über die Kräne, dann runter, zwischen den Containerstapeln durch – und peng! bin ich close auf dem Gesicht. Kino im Fernsehen! Geil!

PRDOUZENTIN

Weißt du, was dieser Drehtag im Hafen kostet?

REDAKTEURIN

Ich hatte das größte Problem mit dem Antagonisten. Der Anschlag auf die Elbphilharmonie, das ist schon sehr extrem.

AUTOR

Soll es doch auch sein!

REDAKTEURIN

All die Konzertbesucher… Also ich würde das nicht tun.

AUTOR

Natürlich nicht! Weil du eine glücklich verheiratete Frau bist und kein einsamer Ex-Elitesoldat, der seine Familie verloren hat!

DRAMATURGIN

Wenn wir vielleicht mehr aus der Backstory über sein Need erfahren würden?

REGISSEUR

Ich will da nicht irgendwelche Erklärbär-Dialoge, ich mache kein Bügelfernsehen!

AUTOR

Ich hab es genauso geschrieben wie im Treatment und da fanden es alle…

REDAKTEURIN

Das stimmt, aber unser Programmdirektor meint, wir müssen aufpassen, daß wir unsere Zuschauer da nicht zu sehr verschrecken.

AUTOR

Aber diese Übervorsicht ist doch genau der Grund, warum uns nur noch Leute über 60 zusehen! Wenn wir nach Amerika schauen…

PRODUZENTIN

Thomas, jetzt nicht wieder die Grundsatzrede, daß Autoren mehr Macht brauchen!

REDAKTEURIN

Was ich noch sagen wollte: Der Sendeplatz! Da gibt es eine kleine Unsicherheit: Wir wollen das ja eigentlich am Donnerstag in der Late Prime Time zeigen.

PRODUZENTIN

22:15, nach Mord in Berlin“.

REDAKTEURIN

Genau. Aber es könnte auch sein, daß wir auf die Access Prime Time am Dienstag gehen.

REGISSEUR

Access Prime Time?

REDAKTEURIN

Vor der Prime Time.

REGISSEUR

Vorabend???

REDAKTEURIN

Um Gottes Willen! 19 Uhr 30. Als Lead-in für Kinder, Küche, Kirche“.

AUTOR

Diese Comedy mit der Pfarrerin?

REDAKTEURIN

Dramedy! Aber das ist aber noch nicht entschieden. Ich sag’ euch – Programmplanung… das wollt ihr nicht wissen!

Das I-Phone des Regisseurs summt. Er schaut aufs Display und geht hinaus, um zu telefonieren.

REDAKTEURIN

Ich stelle mal eine ketzerische Frage …

Der Autor schluckt.

REDAKTEURIN
Könnten wir Abgrund Hamburg“ – oder wie auch immer – weniger düster und mehr, ich sag mal: komödiantisch erzählen?

Der Autor schaut die Produzentin entgeistert an.

REDAKTEURIN

Komödiantisch nicht im Sinne von Schenkelklopfen, sondern im Sinne von… ich sag mal… Rizzoli and Isles: Alltag, Beziehungsprobleme… also nicht Probleme im Sinne von Probleme, sondern im Sinne von Humor!

DRAMATURGIN

Vielleicht gibt es eine Unresolved Sexual Tension innerhalb unseres Teams?

REDAKTEURIN

Ja, es muß ja nicht Sexual im Sinne von Sexual sein, sondern im Sinne von…

AUTOR

Also tut mir leid, aber …

Der Autor stockt, weil die Produzentin hektisch mit den Händen wedelt.

AUTOR

Ähm…

REDAKTEURIN

Was?

Die Produzentin macht ein bittendes Gesicht zum Autor.

AUTOR

Gut, ich werde mal sehen …

DRAMATURGIN

Womit wir allerdings eine weitere Horizontale hätten?!

REDAKTEURIN

Oh ja … mhm … Also dann nur ganz klein!

PRODUZENTIN

Wie sieht’s denn mit der Besetzung aus?

REDAKTEURIN

Unser Programmdirektor hätte für den Antagonisten gern Elyas M’Barek.

Der Autor schaut entgeistert.

PRODUZENTIN

Ja … Macht der denn überhaupt Fernsehen?

REDAKTEURIN

Och … Wenn das Buch gut ist?! Was sagt unser Regisseur dazu?

PRODUZENTIN

Der ist … gerade kurz draußen.

Die Produzentin bedeutet der DRAMATURGIN gestisch, den Regisseur reinzuholen. Die Dramaturgin huscht hinaus.

PRODUZENTIN

Aber ich glaube, er findet das ganz okay.

AUTOR

Moment! Aber der Antagonist ist 50 und das muß er auch sein, wegen seiner Stasi-Backstory und…

REDAKTEURIN

Ach so, Stasi finde ich sowieso irgendwie….

Die DRAMATURGIN kommt wieder herein, ohne den Regisseur.

AUTOR

Aber die Stasi-Backstory hatten wir doch ausführlich besprochen?

REDAKTEURIN

Ja, aber es gab schon Weissensee“, und bald kommt Deutschland 86“ … Laßt uns das einfach noch mal ganz neu denken!

PRODUZENTIN

Du, immer gerne! Nur: Elyas M’Barek … Ich weiß nicht, ob unser Budget …

AUTOR

Moment, also selbst wenn, und selbst wenn ich die Rolle jünger mache – das ist ein traumatisierter Killer! Das paßt doch gar nicht zu Elyas M’Barek!

REDAKTEURIN

Zur Not nehmen wir Fahri Yardim!

Der Regisseur ist hereingekommen, hat das Letzte gehört.

REGISSEUR

Mit Fahri bin ich mal geflogen, super Typ!

DRAMATURGIN

Also, ich find’ den auch ganz süß, so…

REDAKTEURIN

Gut, Ihr Lieben, dann machen wir das so. Fein! Ich freu mich auf die nächste Fassung! In einer Woche?

Der Autor schüttelt entsetzt den Kopf, die Produzentin sieht ihn flehend an.

AUTOR

Ich… kann’s versuchen.

Die Produzentin lächelt erleichtert.

REDAKTEURIN

Super, danke euch für das schöne Gespräch, Tschü-hüs!

Alle atmen kurz durch. Aber dann hören sie die Stimme der…

REDAKTEURIN

Herr-gott…

Alle schauen auf das Telefon. Offenbar hat die Redakteurin vergessen aufzulegen.

REDAKTEURIN

Wenn das schief geht, lande ich wieder im Vorabend.

Die Produzentin beendet die Verbindung.

AUTOR

(zur Produzentin) Wieso sollte ich denn eben nichts sagen?

PRODUZENTIN

Unter uns: ich hab noch zwei Neunziger bei der Redaktion liegen, die noch kein grünes Licht haben, du verstehst?

Der Regisseur erhebt sich.

REGISSEUR

Ich muß. Mein Flieger.

PRODUZENTIN

Du hast weiter keine Anmerkungen?

REGISSEUR

Hauptsache visuell! Den Rest mache ich in der Regiefassung!

Der Autor schluckt. Der Regisseur geht hinaus.

PRODUZENTIN

Fein, dann ist ja alles klar: Hafen raus, Elyas rein. Stasi vielleicht, aber nicht wie in Weissensee“, Sexual Tension, aber nicht zu sexual, Horizontale ja, aber nur klein.

Der Autor schluckt.

PRODUZENTIN

Das wird gut, Thomas! Die großen Bögen sind jetzt klar, und wenn du Fragen hast, rufst du Dorothea an!

Die Produzentin rauscht hinaus. Die Dramaturgin schaut den Autor aufmunternd an.

DRAMATURGIN

Wollen wir noch mal über Want und Need der Heldin reden?

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