cn-kolumne: Thomas Schmuckert (BFFS) über den Deutschen Schauspielerpreis 2015

Steckbrief Thomas Schmuckert
Thomas Schmuckert, geboren am 1. April 1965, ist deutscher Schauspieler, Hörspiel- und Synchronsprecher. Nach dem Schauspielstudium, auch an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, folgten Theaterengagements und Gastauftritte in ganz Deutschland, Luxemburg und sogar Philadelphia (USA). Seit 1994 steht Thomas Schmuckert für Film und Fernsehen vor der Kamera und ist in Spielfilmen, in Reihen und Serien wie zum Beispiel „Wilsberg und der Schuss im Morgengrauen“ (Casting: Sabine Weimann) und „SOKO Köln – Unter Verdacht“ (Casting: Sandra Köppe) sowie in Kinofilmen wie „Kaptn Oskar“ (Casting: Marc Schötteldreier | BVC) zu sehen. Seine charismatische Stimme leiht er mannigfaltigen Rollen in Kinofilmen, Serien und Hörspielen – für seine Titelfigur „Dorian Hunter” in der gleichnamigen Hörspielserie erhielt er 2009 den Hörspiel Award als bester Sprecher. Seit 2007 ist er Vorstandsmitglied im Bundesverband Schauspiel (BFFS) und Mitinitiator des Deutschen Schauspielerpreises.

Der Deutsche Schauspielerpreis wird nun bereits zum vierten Mal vergeben. Ist die Organisation inzwischen „business as usual“?
Wenn Du glaubst, dass aus einer Bergbesteigung mittlerweile ein gemütlicher Waldspaziergang geworden ist, dann täuschst Du Dich. Um eine neue und junge Preisverleihung wirklich zu etablieren und in den Köpfen zu verankern, rechnet man ca. 5 Jahre. Die Partner und Sponsoren rennen uns noch keineswegs mit üppigen Finanzspritzen die Türen ein. Die richtigen Partner zu finden, die einen Bezug zu unserer Idee und zu unserem Berufsstand haben, ist ein langwieriger und oft mühsamer Prozess. Aber wir sind auf einem guten Weg. Von „business as usual“ sind wir auch noch aus einem anderen Grund weit entfernt. Zum Glück! Wir befinden uns in der schönen und spannenden Phase des Aufbaus und Experimentierens, um dem Deutschen Schauspielerpreis immer stärker ein unverwechselbares Gesicht zu geben. Überraschungen, vor allem beim Spiel mit der klassischen Form der Preisverleihung, sind garantiert! Als Gesamtkoordinator des Deutschen Schauspielerpreises liegt mir eins besonders am Herzen: Den Kern dieses Preises von Schauspielern für Schauspieler zu erhalten und auszubauen. Dieser begründet sich in dem umwerfenden ehrenamtlichen Engagement der Kolleginnen und Kollegen für „ihren“ Preis als Würdigung ihres Berufes und erzeugt die besondere Herzlichkeit und charmante Familienatmosphäre, die den Deutschen Schauspielerpreis auszeichnen.

Die Preisvergabe wurde vom Februar in den Mai verlegt. Wieso?
Die Berlinale als Anziehungspunkt für Filmschaffende aus ganz Deutschland war eine gute Umgebung, um den Deutschen Schauspielerpreis unter den Kolleginnen und Kollegen der Branche und der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das ist uns gelungen. Aber die Dichte an Veranstaltungen bei der Berlinale ist enorm hoch. Ein Event jagt das andere. Die Aufmerksamkeit wendet sich sofort dem nächsten Hype zu. Wir haben den Deutschen Schauspielerpreis in den Mai verlegt, um dem Preis ein Alleinstellungsmerkmal und einen eigenen Platz im Jahreskalender der Film- und Fernsehbranche zu geben. Zum anderen tauschen wir gerne die oft eisigen Winde und den Schneematsch im Februar gegen frühsommerliche Temperaturen, einen Hauch Croisette und Leichtigkeit in der schönsten Jahreszeit in Berlin ein.

In der Vergangenheit habt Ihr auch mit den Organisatoren des Deutschen Fernsehpreises zusammengearbeitet. Nun wird dieser abgeschafft. Wie stehst Du dazu?
Zusammenarbeit ist zu hoch gegriffen. Es gab einen Austausch über die Auswahl bemerkenswerter fiktionaler Fernsehproduktionen des jeweiligen Jahres. Das war sehr konstruktiv und hilfreich. Bereits 2010 hatte sich der Deutsche Fernsehpreis mit der Abschaffung der Auszeichnungen für die meisten Einzelleistungen und Gewerke in eine Sackgasse manövriert. Bis auf die beiden Hauptdarsteller wurden die sieben weiteren persönlichen Kategorien für Nebendarsteller, Regisseure, Autoren, Kameraleute, Cutter, Komponisten und Ausstatter nicht mehr vergeben. Seitens des BFFS hatten wir damals mit der Aktion „Wir sind preiswert!“ gegen diese Missachtung der eigentlichen Schöpfer und Gestalter fiktionaler Fernsehwerke protestiert. Es war gleich-
zeitig die Geburtsstunde der Deutschen Akademie für Fernsehen e.V., die sich als Stimme der Kreativen des Deutschen Fernsehens versteht. Man muss ja nicht gleich mit dem großen Goethewort „Stirb und werde!“ um die Ecke kommen. Aber eine Besinnungspause birgt immer die Chance auf einen Neuanfang. Vielleicht ist sogar die Vision einer Zusammenarbeit der Stifter des Deutschen Fernsehpreises mit der Deutschen Akademie für Fernsehen denkbar, die seit 2013 jährlich herausragende Leistungen der einzelnen Gewerke der Fernsehproduktion auszeichnet, denn: Eine Würdigung haben diese Leistungen in jedem Fall verdient!

Gewinnt der Deutsche Schauspielerpreis dadurch an Bedeutung? Und vielleicht sogar neue Sponsoren?
Die Überschneidungen zwischen dem Deutschen Schauspielerpreis und dem Deutschen Fernsehpreis waren gering. Der Deutsche Fernsehpreis wurde im Wesentlichen von den Stiftern ARD, ZDF, RTL und Sat.1 finanziert und zeichnete die gesamte Palette der Fernsehproduktion aus, fiktionale wie dokumentarische Werke, die Reportage ebenso wie Sportjournalismus, Show, Dokutainment oder Comedy. Der Deutsche Schauspielerpreis dagegen ist ein unabhängiger Preis von Schauspielern für Schauspieler, ähnlich den Screen Actors Guild Awards in Amerika. Er würdigt herausragende und inspirierende schauspielerische Leistungen, egal ob in Kino oder Fernsehfilmen, in zum Teil neuen, innovativen Kategorien, und versucht Qualitätsmaßstäbe zu setzen.

Werden in Deutschland künstlerische Leistungen der Film- und Fernsehbranche generell nicht genügend gewürdigt?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Aber natürlich fällt der Unterschied zum Beispiel zu den USA, Großbritannien oder Frankreich auf, wo Schauspielerinnen und Schauspieler viel mehr als „Kulturgut“ wertgeschätzt und geliebt werden. Um es etwas klischeehaft zu sagen: In Frankreich kennen und lieben alle ihre Filmstars. Der Berliner dagegen stöhnt auf, wenn er ein Halteverbotsschild einer Filmfirma vor seiner Haustür entdeckt und schimpft auf die „Fernsehfuzzis“. Gründe dafür gibt es sicher zahlreiche: Sie liegen in unserer Geschichte begründet, in unserem merkwürdigen Verhältnis zum Erfolg, in einer nur nach Quote schielenden Senderpolitik, die lange genug in risikoloser Selbstbeschneidung immer nur das Gleiche in Auftrag gegeben und kaum innovative Formate entwickelt hat, in einer betrüblichen Tendenz, Talente schnell in den Himmel zu heben, um sie ebenso schnell wieder herunterzustürzen. Dabei erzählen Filmschaffende im besten Fall Geschichten über dieses Land und seine Menschen, loten Untiefen, Missstände und das Zusammenleben in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft aus. Daraus könnte Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung erwachsen als Teil eines kulturellen Selbstverständnisses. Auf der anderen Seite: Schauspieler wie auch andere Künstler sollten sich wieder viel mehr in gesellschaftliche und politische Debatten einmischen, sich als prägenden und Identität stiftenden Teil dieser Gesellschaft begreifen und Verantwortung übernehmen. Nur wer über den Tellerrand schaut, wird auch außerhalb seiner Suppenschüssel wahrgenommen.

Wie ist das Feedback der Branche im Angesicht Eures Engagements?
Alle wollen dabei sein, weil der Deutsche Schauspielerpreis nicht nur eine sehr kurzweilige und unterhaltsame Veranstaltung ist – man denke an die Verwandlung einer Laudatio in eine Zwerchfell erschütternde Comedy durch Milan Peschel 2013 – sondern auch eine Art Familienfest der Branche mit einem klaren Bekenntnis zu fairen Arbeitsbedingungen und Qualitätsmaßstäben. Ein Beispiel: Als ich auf der Berlinale den Regisseur Christian Schwochow zu unserer diesjährigen Preisverleihung eingeladen habe – er kannte den Deutschen Schauspielerpreis bereits von der ersten Verleihung an – bekam er sofort leuchtende Augen und schwärmte von dem besonderen Geist und Stil dieses Preises. Aus dem Munde eines der inspirierendsten Regisseure dieses Landes, der sich durch eine großartige Schauspielerführung auszeichnet, hat mich dieses Kompliment besonders gefreut.

Allen voran die Jurys des Deutschen Schauspielerpreises müssen sich intensiv mit den großartigsten Schauspielleistungen unserer Branche auseinandersetzen. Wie schätzt Du die Professionalität, das Talent und die Fähigkeiten der deutschen Spitzenschauspieler ein? Gibt es Besonderheiten im internationalen Vergleich?
Auf dem letzten Filmfest München stellte Dominik Graf, befragt nach dem Casting für seinen Film „Die geliebten Schwestern,“ fest, dass ihm viele Entscheidungen nicht leicht gefallen seien. Es gäbe zurzeit in Deutschland einfach eine Breite hervorragender Schauspielerinnen und Schauspieler, wie er es noch nie erlebt hätte. Unabhängig vom Bekanntheitsgrad. Ich kann dem nur zustimmen. Was ich im Zusammenhang mit dem Deutschen Schauspielerpreis an differenziertem, anregendem, berührendem und verführendem Schauspiel sehen durfte, war bemerkenswert. Ausländische Produktionen, die in Deutschland drehen, haben das schon längst erkannt. Manchmal bemerkt die hiesige Film- und Fernsehlandschaft augenscheinlich nicht, welche Schätze vor ihrer Nase liegen. Oder erst sehr spät wie im Falle von Lina Wendel. Nach ihrem Film „Silvi“ haben sich plötzlich alle überschlagen, was für eine tolle Schauspielerin sie sei, und es regnete Nominierungen und Auszeichnungen. Eine Entdeckung im Alter von 50 Jahren! Ein „kleines Wunder“, worüber wir uns mit ihr von Herzen freuen. Dabei war sie auch in den Jahrzehnten davor eine großartige Schauspielerin, die nur endlich einmal eine Rolle und das Vertrauen angeboten bekam, zu zeigen, wozu sie schauspielerisch in der Lage ist. Es gibt in Deutschland viele Lina und Lino Wendels – mehr Entdeckungsfreude, Neugier und vor allem Entschei- dungsmut würde sie zu Tage fördern.

Der Preis wird für besonders „inspirierende“ Schauspielerleistungen vergeben. Aber gibt es hierzulande überhaupt genügend Formate, die die künstlerische Entfaltung von Schauspielern erlauben?
Billy Wilders Ausspruch: „Für einen guten Film braucht man drei Dinge: ein gutes Buch, ein gutes Buch, ein gutes Buch“ hat zeitlose Gültigkeit. Das Format und das entsprechende Drehbuch setzen jeder Darstellung enge Grenzen. Aus einem eindimensional und flach geschrieben Charakter in einem schnell gedrehten seriellen Format lässt sich bei aller Begabung und Anstrengung kein vielschichtiger, abgründiger Charakter entwickeln. Aus einer Currywurst lässt sich nun mal kein Rinderfilet zaubern. Ich möchte hier gar nicht in das Horn des allgemeinen Gejammers über die schmale Fernsehkost des immer Gleichen aus Krimi- und Krankenhausserien (zumal die auch exzellent sein können), über Quotenhörigkeit und Mutlosigkeit stoßen. Spannender finde ich den zart spürbaren Prozess eines Umdenkens – sicherlich getrieben von HBO, Netflix, Amazon und Co., ausgelöst von Scharen gerade jüngerer Zuschauer, die den Sendern weglaufen hin zu innovativen, international erfolgreichen Serien wie „House of Cards“, „Homeland“, „Game of Thrones“, „Breaking Bad“, „Borgen“ u.v.a. Es gibt sie auch bei uns, die innovativen, gewagteren, cooleren Formate, wie Matthias Glasners auf der Berlinale vorgestellte Serie „Blochin“, „Deutschland 83“ von RTL, „Schuld“ oder das mit Spannung erwartete gemeinsame Serienprojekt von ARD und SKY „Babylon Berlin“ unter der Regie von Tom Tykwer, aber auch schon etwas ältere Formate wie z.B. „München Mord“ oder „Der Tatortreiniger“, die zeigen, dass das Verlassen ausgetretener Pfade, der Aufbruch zu neuen Erzählweisen möglich ist und sich Tempo, Witz und manchmal sogar Action mit Anspruch vereinen lassen. Die spannende Frage ist, ob dies nur Ausnahmeerscheinungen sind oder sich hier ein Richtungswechsel andeutet. Dänemark hat es vorgemacht. Welche Fülle an guten Filmen und Fernsehserien in Kinoqualität aus einem so kleinen Land kommen ist atemberaubend. Das Erfolgsgeheimnis: talentierte Drehbuchautoren werden gebührend gefördert. Sie erhalten einen wöchentlichen Lohn und vor allem ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Verantwortung, was sich in einem großen Mitspracherecht bei der gesamten Umsetzung des Stoffes niederschlägt. Abgesehen vom ernüchternden Hick-Hack und der Kürzung des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) ist es erfreulich, dass immer mehr Kollegen das Heft selbst in die Hand nehmen und wunderbare eigene Filme drehen, wie beispielsweise unter unseren Mitgliedern Tom Lass oder Tom Sommerlatte.

Provokant gefragt: In der öffentlichen Wahrnehmung werden Schauspieler manchmal klischeehaft als narzisstische oder egozentrische Selbstdarsteller gesehen. Die Organisation Eures Preises unter dem Motto „von Schauspielern für Schauspieler“ erfordert aber ein hohes Maß an Teamgeist und gemeinschaftlichem Engagement. Wie passt das zusammen?
Wollen wir hier wirklich auf das Klischee vom narzisstischen Selbstdarsteller eingehen? Die rasante Entwicklung des Bundesverbandes Schauspiel, in dem sich in kurzer Zeit über 2.700 Schauspielerinnen und Schauspieler zusammengeschlossen haben, um gemeinsam engagiert für bessere Arbeitsbedingungen, faire Vergütung, einen sozialen Schutz, der diesen Namen überhaupt verdient und angemessene Urheberechtsgesetze als wirtschaftliche Grundlage zu kämpfen, spricht eine komplett gegenteilige Sprache. Hier opfern immer mehr Kolleginnen und Kollegen ihre Freizeit, um sich im Team ehrenamtlich zu engagieren. Mit Erfolg! Dass der Deutsche Schauspielerpreis ein Gemeinschaftswerk ist und gerade deshalb diese Kraft, Bodenständigkeit und Herzlichkeit ausstrahlt, wird Ende Mai wieder spürbar werden. Götz George hat es bei seinem Dank für den „Ehrenpreis für das Lebenswerk” sinngemäß so ausgedrückt: Dies sei ein Preis, den er im Gegensatz zu anderen gerne annimmt. Weil er von Leuten kommt, die etwas von dem Beruf verstehen. Den Schauspielern nämlich.

Der Deutsche Schauspielerpreis dankt seinen Hauptpartnern Peugeot, GVL, der Pensionskasse Rundfunk, der Peter Ustinov Stiftung, der Kauri CAB, der ver.di FilmUnion, dem Hotel am Steinplatz und seinen weiteren Unterstützern aufs Herzlichste.

www.schauspielerpreis.com
www.bffs.de

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