Ganz so einfach ist es nicht...

2010 gewann zum ersten Mal eine Frau den »Oscar« für die beste Regie – es war die 82. Verleihung. Kathryn Bigelow (hier bei den Dreharbeiten zu Blue Steel) war zu der Zeit mit Filmen wie Gefähliche Brandung, Strange Days oder Blue Steel schon längst eine feste Größe im Action-Film. Ihr Kriegsdrama Tödliches Kommando – The Hurt Locker wurde 2010 mit sechs »Oscars« ausgezeichnet. Ihr folgendes Werk Zero Dark Thirty war in fünf Kategorien nominiert.

Talent und Fleiß allein sind nicht genug. Dass die Filmbranche so wenige Regisseurinnen hat, liegt an Strukturen und Vorurteilen. Sieben Mythen und die Fakten.

Text Skadi Loist und Peter Hartig

50 Prozent. Nicht weniger fordert die Initiative Pro Quote Film für die deutsche Produktionslandschaft. Frauen kommen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Fördermitteln zu kurz, verdienen weniger als Männer in den entsprechenden Positionen, sind in Gremien und Führungsfunktionen schwächer vertreten. Die Folge: Das Bild von der Welt, das Film und Fernsehen vermitteln, wird immer noch zum größten Teil von Männern gezeichnet – die andere Hälfte der Welt kommt kaum zu Wort. »Die Welt in Filmen hinkt der Realität hinterher«, meint Pro Quote Film dazu: »In fiktionalen Rollen arbeiten nur 20 Prozent der Frauen, davon nur 1 Prozent als Managerinnen, Politikerinnen oder Wissenschaftlerinnen.«
Zwar wird seit der Gründung der Initiative vor vier Jahren rege über eine Quote diskutiert, der große Wandel steht aber noch aus, wie zuletzt der (inzwischen fünfte) Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie zeigte, der auf den RegieTagen im November vorgestellt wurde. Alles andere wäre auch überraschend gewesen. Denn der Diversitätsbericht untersuchte die Produktionen des vorangegangenen Jahres, die bereits gelaufen oder gesendet waren. Die meisten befanden sich also schon in Arbeit, ehe sich zum Beispiel die ARD-Produktionstochter Degeto auf eine freiwillige Regie-Quote von 20 Prozent selbst verpflichtete. Ob dieser reduzierte Anspruch tatsächlich umgesetzt wurde, wird also erst der nächste Diversitätsbericht zeigen.
Doch eine Quote wird von vielen abgelehnt: Allein durch Talent und Fleiß beweise sich, wer auf den Regiestuhl passt. Also seien die Chancen doch gleich, und eine Frau mehr oder weniger selbst schuld, wenn sie nicht das Zeug dazu hat, argumentieren die Gegner der Quote.
Etliche Studien in mehreren Ländern widersprechen dem: Strukturen und Geschlechtervorurteile der Branche machen es auch den fleißigsten Talenten schwerer, wenn die in einem weiblichen Körper stecken. Deutsche Regisseure haben zurzeit eine Männerquote von 85 Prozent, Filmfördermittel streichen sie sogar zu 90 Prozent ein.
»Above the Line« wird die Luft für dünn – in fast allen Sparten. Das Problem ist global, selbst Amerika hat es nicht besser: Erst 2010 erhielt mit Kathryn Bigelow für The Hurt Locker erstmals eine Frau den »Oscar« für die beste Regie – es war die 82. Verleihung. Weitere acht Jahre dauerte es, bis Rachel Morrison als erste Kamerafrau überhaupt in ihrer Kategorie mit Mudbound für einen »Oscar« nominiert wurde.

Den Vorurteilen und Mythen ist damit kaum beizukommen. Die Medienwissenschaftlerin Skadi Loist hat darum den sieben gängigsten dieser Argumente, wie es zur Benachteiligung von Frauen und Minoritäten in der Filmbranche komme, die Ergebnisse der vielen Studien gegenübergestellt. Wir listen sie hier in Kurzform auf. Loists Artikel Gendered Media Industries. Argumente für eine geschlechtergerechte und diverse Filmindustrie ist mit allen Quellenangaben im Oktober in Navigationen – Zeitschrift für Medien und Kulturwissenschaften erschienen.

Mythos 1: Die Medienbranche ist geschlechterneutral. Allein Qualität entscheidet darüber, wer sich durchsetzt.

Viele Entscheidungen in der Filmbranche werden subjektiv gefällt – von der Unterstützung von Filmideen bis zu Kooperationspartnerschaften. Für die FFA-Studie Gender und Film von 2017 hatten viele Filmschaffende ›Bauchgefühl‹, eigenes inhaltliches Interesse und Vertrauen zu den Akteuren als entscheidend angegeben.

Stereotype Zuschreibungen werden weiter verstärkt, wenn Entscheidungsgremien homogen besetzt sind. Viele Gremien und Redaktionen setzen sich aus weißen, älteren Männern aus der Mittelschicht zusammen. Je höher die Hierarchie, desto höher ist die Männerquote.

Filme, die von Männern realisiert werden, haben größeren kommerziellen Erfolg. Filme, die von Frauen realisiert werden, sind bei Kritik und Jurys angesehener. Weiterlesen

Klassenkampf in der Weimarer Republik. Mit der Serie „Babylon Berlin“ begeistert die Produktionsfirma X Filme Kritiker wie Publikum und sieht das als „Aufbruch in eine neue Ära der TV-Produktion“. Gegenüber ihren Mitarbeitern bleibt sie aber eher alten Traditionen verhaftet. | Foto © Frédéric Batier, X Filme Creative Pool, Degeto, Beta Film, Sky

Klassenkampf in der Weimarer Republik. Mit der Serie „Babylon Berlin“ begeistert die Produktionsfirma X Filme Kritiker wie Publikum und sieht das als „Aufbruch in eine neue Ära der TV-Produktion“. Gegenüber ihren Mitarbeitern bleibt sie aber eher alten Traditionen verhaftet. | Foto © Frédéric Batier, X Filme Creative Pool, Degeto, Beta Film, Sky

So schön kann Fernsehen sein: Mit einer Traumquote startete die Serie „Babylon Berlin“ diesen Herbst in der ARD. 7,83 Millionen Zuschauer schalteten die ersten drei Folgen ein, die der Sender in einem Block zeigte. Ein Marktanteil von 24,5 Prozent – und das, obwohl die Serie schon ein Jahr zuvor auf dem Bezahlsender Sky zu sehen gewesen war.

40 Millionen Euro soll das Budget der ersten beiden, jeweils sechs Stunden langen Staffeln betragen. Der Verschwörungsthriller lässt die letzten Jahre der Weimarer Republik wieder auferstehen und begeistert Kritiker und Publikum gleichermaßen. Mit vier „Deutschen Fernsehpreisen“wurde „Babylon Berlin“ ausgezeichnet und in die halbe Welt verkauft, eine dritte Staffel ist in Arbeit.

Die Berliner Produktionsfirma X Filme hat also allen Grund, stolz zu sein und lässt auch keinen Zweifel, wer den Erfolg mit ermöglicht hat:„Dank unseres starken Teams mit über 400 Mitarbeitern konnten wir das Berlin der 20er Jahre im Jahr 2017 lebendig werden lassen“, sagt der Produzent Uwe Schott. Tom Tykwer, einer der Regisseure, staunte: „Im Nachhinein ist kaum vorstellbar, wie wir das alle zusammen geschafft haben.“ Und der Produzent Stefan Arndt meint: „Es war eine unglaubliche Herausforderung, die Welt der 20er Jahre in einer TV-Serie zum Leben zu erwecken, was nur durch unsere herausragenden Kreativen zum Erfolg wurde. Eine gemeinsame Anstrengung auf Augenhöhe aller Partner und Förderer war nötig, und rückblickend kann ich sagen: es war eine großartige Erfahrung. Dieses Projekt ist ein Aufbruch in eine neue Ära der TV-Produktion.“

Das passt zum Image der Produktionsfirma, die Arndt und Tykwer mit den den Regisseuren Wolfgang Becker und Dani Levy 1994 nach dem Vorbild der United Artists gegründet hatten, um andere, bessere Filme drehen zu können: Publikums- und Kritikererfolge wie „Lola rennt“, „Alles auf Zucker“ oder „Good Bye, Lenin“, internationale Koproduktionen wie „Das weiße Band“ oder „Cloud Atlas“, „der teuerste unabhängig finanzierte europäische Film aller Zeiten“. „X Filme sind keine x-beliebigen Filme, sondern das genaue Gegenteil“, hat das Unternehmen auf seine Website geschrieben.

Doch ganz so heil scheint diese Welt doch nicht zu sein, zumindest was das gefeierte Serienprojekt angeht. Bei der Bewertung der Arbeitsbedingungen zum „Fair Film Award“gaben die Mitarbeiter der ersten Staffel eine Durchschnittsnote von 2,94 – Rang 60 von 76 bewerteten Produktionen des Jahres 2016.

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Zum ersten Mal in Deutschland startet am Institut für Schauspiel, Film- und Fernsehberufe in ­Berlin ein Lehrgang zum Script Supervisor, ehemals Script/Continuity. Gabriele Mattner leitet die ­Weiterbildung. | Foto © Gabriele Mattner

Zum ersten Mal in Deutschland startet am Institut für Schauspiel, Film- und Fernsehberufe in ­Berlin ein Lehrgang zum Script Supervisor, ehemals Script/Continuity. Gabriele Mattner leitet die ­Weiterbildung. | Foto © Gabriele Mattner

Frau Mattner, bislang führe der Weg in den Beruf über Praktika, es gebe in Deutschland noch keine einheitliche und staatlich anerkannte Ausbildung, erklärt der Regieverband, der auch dieses Gewerk vertritt. Sie wollen das ändern?

Das Institut für Schauspiel, Film-Fernsehberufe (ISFF) an der VHS Berlin Mitte ist ein Weiterbildungsinstitut für Crewmitglieder bei Film/TV, Schauspieler  und Musicaldarsteller. Ziel des ISFF ist, die Mitarbeiter der Kreativbranche, die einen wesentlichen Beitrag zu unserer gesellschaftlichen Entwicklung leisten, durch Weiterbildung zu unterstützen. Der Lehrgang wird von der Arbeitsagentur gefördert und ermöglicht, die Tätigkeit des Script Supervisors erfolgreich auszuüben, es ist keine staatlich anerkannte Ausbildung.


Warum sollte jemand den Lehrgang dennoch absolvieren?

Die Tätigkeit des Script Supervisors ist sehr vielfältig und verantwortungsvoll und wird bis heute immer noch schwer unterschätzt. Sie einfach nur durch Praktika am Set zu erlernen, wird der Komplexität nicht gerecht. Um die Vielschichtigkeit der Kompetenzen des Script Supervisors zu begreifen und zu verinnerlichen, sind Kenntnisse hinsichtlich der Aufgaben aller am Filmherstellungsprozess beteiligten Gewerke notwendig. 
Es geht weiterhin darum, zu verstehen, was die Kollegen aus den anderen Abteilungen von einem Script Supervisor idealerweise erwarten – abgesehen mal von den handwerklichen und intellektuell zu leistenden Aufgaben in dem Beruf selbst. Daher laden wir auch Gast-Dozenten aus den Bereichen Regie, Kamera, Schnitt und Schauspiel ein – alles Gewerke, mit denen ein Srript Supervisor eng zusammenarbeitet.
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Seit diesem Jahr achtet die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg bei ihren Förderprojekten auf faire Arbeitsbedingungen. Dafür erhält ihr Geschäftsführer Carl Bergengruen diese Woche den „Ehrenpreis Inspiration“. | Foto © MFG

Wenn der Bundesverband Schauspiel (BFFS) alljährlich seinen „Deutschen Schauspielpreis“ verleiht, geht es ihm nicht allein um die darstellende Kunst. Eine eigene Kategorie lobt er für Menschen und Institutionen aus, die in besonderer Weise die Schauspielkunst gefördert haben – meist direkt wie der Produzent Günter Rohrbach oder die Regisseurin Isabel Coixet, mitunter auch in einem weiteren Sinne wie der ehemalige Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Oder die „Institution des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, welcher der BFFS im vorigen Jahr diesen „Ehrenpreis Inspiration“ verlieh, als mal wieder besonders heftig über deren Existenzberechtigung diskutiert wurde. Manchmal ist ein Preis auch als politische Stellungnahme zu sehen.

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Gehen oder weitermachen??Irgendwann im Laufe ihrer Karriere stehen die meisten Künstler erneut vor der Grundsatzentscheidung. Die ZAV-Künstlervermittlung will ihnen dabei mit dem Projekt Transition zur Seite stehen. Die drei Berater kommen selbst aus der Praxis. | Foto © ZAV

Gehen oder weitermachen??Irgendwann im Laufe ihrer Karriere stehen die meisten Künstler erneut vor der Grundsatzentscheidung. Die ZAV-Künstlervermittlung will ihnen dabei mit dem Projekt Transition zur Seite stehen. Die drei Berater kommen selbst aus der Praxis. | Foto © ZAV

Die Eltern hatten Jonas ja gewarnt. Vor der „Schauspielerei” und überhaupt der ganzen brotlosen Kunst. Und ob er sich das auch gut überlegt habe?

Natürlich hatte er das. Oder konnte gar nicht anders. Kunst macht man ja der Kunst wegen. Nicht wegen des Geldes oder wegen des Ruhms … naja, ein bisschen Ruhm ist schon auch nicht schlecht. Aber wen interessieren mit Anfang 20 schon Rentenansprüche oder Krankenversicherung, wenn’s um echte Leidenschaft und Berufung geht?

Nochmal 20 Jahre später ist die Leidenschaft immer noch da. Bloß an der Berufung sind allmählich Zweifel gewachsen. Ums nicht falsch zu verstehen: Jonas war kein Träumer. Dass die Zahl der Absolventen, die jedes Jahr von öffentlichen und privaten Schauspielschulen ausgespuckt werden, nicht so recht mit der Zahl von Engagements und Rollen zusammenpassen will, hätte er auch ohne Mathe-Leistungskurs bemerkt. Aber wenn man nur mit der richtigen Leidenschaft der Berufung folgt, sollte es schon gehen, dachte er sich. Wie die vielen anderen auch.

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Mit ihrem Wettbewerb „Top of the Docs“ ruft die ARD nach herausragenden Dokumentarfilmen. Dabei hat sie jetzt schon keinen Platz für die Werke, die es schon gibt.|Screenshot

Mit ihrem Wettbewerb „Top of the Docs“ ruft die ARD nach herausragenden Dokumentarfilmen. Dabei hat sie jetzt schon keinen Platz für die Werke, die es schon gibt. | Screenshot

Erst neulich hatte sich Volker Herres wieder für Dokumentationen stark gemacht. „Wir waren und sind überzeugt, dass diese Filme auf einen Primetime-Platz gehören, abseits aller Quotenerwartungen“, sagte der ARD-Programmdirektor Anfang Juni dem „Hamburger Abendblatt“. Damit meinte er die  Reihe von „aktuellen und relevanten Dokumentationen“, die im Frühjahr montags um 20.15 Uhr unter dem Titel Was Deutschland bewegt gezeigt wurden.

Was den großen, eigenständigen Dokumentarfilm angeht, sieht es weniger gut aus. Zum Kongress beim Dokfest München hatte der Medienforscher Jörg Langer mal selber ins Programm geschaut: In einer Woche im Januar hatte Das Erste 22 Stunden Sport ausgestrahlt, 21,5 Stunden Soaps, 14 Stunden Krimi – aber nur 7 Stunden Dokumentationen. Dokumentarfilme waren nicht darunter.

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Einen Platz im Internet suchen alle Fernsehsender. Die RTL-Group hat aber auch im Kino noch einiges vor. | Foto © RTL II

Einen Platz im Internet suchen alle Fernsehsender. Die RTL-Group hat aber auch im Kino noch einiges vor. | Foto © RTL II

Das lineare Fernsehen ist tot. Glauben zumindest die Leute, die sich lieber ihr eigenes Programm über Streaming-Plattformen wie Netflix und Amazon zusammenstellen. Und das werden immer mehr. Auch die linearen Fernsehsender stellen sich auf diese Zukunft ein. Die Öffentlich-Rechtlichen vertrauen anscheinend auf die Kraft ihrer Mediatheken und die Hilfe der Politik. Am 14. Juni hatten die Ministerpräsidenten beschlossen, den Spielraum der Mediatheken zu erweitern, auf Europäischer Ebene gibt es Bestrebungen, die Ländergrenzen bei der Verbreitung niederzureißen (cinearte 396). In beiden Fällen protestieren die Branchenverbände, die das als Nachteil der Urheber sehen.

Unterdessen haben die Privatsender ihre eigenen Pläne vorgestellt. Pro Sieben Sat.1 und der US-Medienkonzern Discovery wollen mit einer gemeinsame Streaming-Plattform mitmischen, die schon in der ersten Jahreshälfte 2019 Filme, Serien und Live-Sportübertragungen zeigen und innerhalb von zwei Jahren zehn Millionen Nutzer gewinnen soll. Dazu bringen sie ihre bisherigen eigenen Internet- und Video-on-Demand-Dienste Maxdome, 7TV und Eurosport Player ein. RTL, ARD und ZDF seien eingeladen mitzumachen, sagte der neue ProSiebenSat.1-Chef Max Conze auf den Screenforce Days am 20. und 21. Juni in Köln.

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Schauspieler (wie hier David Krumholtz in der Krimiserie „Numbers“) werden oft nur für einzelne Drehtage verpflichtet. Das kostet die ­Produktionsfirmen mehr Geld für Sozialabgaben. Billiger wird’s, wenn die Einzeltage zusammengezählt werden. Doch dieser Praxis wurde jetzt höchstrichterlich ein Ende gesetzt. | Foto © Paramount

Schauspieler (wie hier David Krumholtz in der Krimiserie „Numbers“) werden oft nur für einzelne Drehtage verpflichtet. Das kostet die ­Produktionsfirmen mehr Geld für Sozialabgaben. Billiger wird’s, wenn die Einzeltage zusammengezählt werden. Doch dieser Praxis wurde jetzt höchstrichterlich ein Ende gesetzt. | Foto © Paramount

Im EU-Vergleich steht Deutschland zwar erst auf Rang 8, auf sein Sozialsystem ist das Land dennoch stolz. Rund ein Fünftel ihres Einkommens zahlen Arbeitnehmer in die Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, die Arbeitgeber geben den selben Betrag hinzu. Dafür sind die Arbeitnehmer dann gegen jegliche vorstellbaren Widrigkeiten abgesichert. Zumindest in der Theorie. Der Haken: Das System basiert auf einem klassischen ständigen Beschäftigungsverhältnis, das nicht in allen Branchen der Standard ist. An den Sets der Film- und Fernsehproduktionen sind die nur auf Produktionsdauer oder gar „unständig” angestellten Beschäftigten in der Überzahl. Auf 25.000 wird ihre Zahl meist beziffert, zuletzt benutzte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) diese Zahl bei den aktuellen Tarifverhandlungen.

Dauert ihr Engagement eine Woche oder länger, ist alles gut, dann zahlen sie ganz normal ihre anteiligen Sozialbeiträge – das gilt in der Regel für die auf Produktionsdauer angestellten Filmarbeiter. Anders verhält es sich mit der „berufsmäßigen unständigen Beschäftigung” – vor allem Schauspieler sind davon betroffen, die nur für einzelne Drehtage engagiert werden. Für die „Unständigen” gelten klare Kriterien: Die unständige Beschäftigung darf nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sein, die „Unständigen” sind in der Regel nicht ständig beim selben Arbeitgeber beschäftigt und das weniger als eine Woche. Dabei zählen nur die konkreten Arbeitstage (Drehtage), egal, wie viele Stunden der Beschäftigte an einem Tag tatsächlich arbeitet.

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Die Löhne steigen!?Um 6,9 Prozent, in drei Jahresschritten, vor Abgaben und Steuern. Klingt trotzdem noch gut. Bis man die durchschnittliche Netto-Inflationsrate von 1,7 Prozent in Rot über den Brutto-Zuwachs legt. | Grafik © cinearte

Die Löhne steigen!?Um 6,9 Prozent, in drei Jahresschritten, vor Abgaben und Steuern. Klingt trotzdem noch gut. Bis man die durchschnittliche Netto-Inflationsrate von 1,7 Prozent in Rot über den Brutto-Zuwachs legt. | Grafik © cinearte

Deutschlands Film- und Fernsehproduzenten klangen auch schon mal begeisterter. Als „Kompromisspaket“ bezeichnet die Produzentenallianz den neuen Tarifvertrag für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende, den sie am 29. Mai mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und den Berufsverbänden für Filmton (BVFT), Montage (BFS) und  Schauspiel (BFFS) ausgehandelt hat: „Die Arbeitgeberseite musste bei der Höchst-Arbeitszeit deutliche Zugeständnisse machen“, räumte die Produzentenallianz in einer ersten Pressemitteilung nach der Einigung ein. Dafür habe sie „aber im Gegenzug viel weitergehende, überzogene Tarifforderungen der Arbeitnehmerseite abwehren und eine ungewöhnlich lange Laufzeit der Tarifverträge erreichen“ können.

Das Verhandlungsergebnis ist noch nicht endgültig, sondern muss auf beiden Seiten noch intern bis Ende Juni beraten werden. Insofern ist die Vereinbarung auch nicht öffentlich, sondern nur in den Auszügen bekannt, die beide Seiten in eigenen Presseerklärungen als wichtig herausgestellt haben. Auch dieser Artikel ist davon betroffen.

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Anfang April hatten Filmemacher und andere zur Zukunft des deutschen Films getagt. Nun ist das offizielle Ergebnispapier erschienen.

Als Edgar Reitz vor zwei Jahren Schirmherr des LICHTER Filmfest Frankfurt war und grundlegende Reformen im deutschen Filmsystem forderte, machte er öffentlich, was fast allen Beteiligten schon seit längerem bekannt ist: Das System von Filmherstellung und -verbreitung in Deutschland befindet sich in einer Sackgasse. Es ist auf der Produktionsseite von verknöcherten Strukturen, langen Entscheidungswegen und faulen künstlerischen Kompromissen gekennzeichnet und auf der Distributionsseite von einem grundlegenden Wandel der Medienwelt betroffen.

Viele Menschen haben auf Aspekte dieser Herausforderungen Antworten gegeben. Dennoch wird häufig aneinander vorbeigeredet. Missverständnisse und Misstrauen verhindern eine offene Debatte. Wir haben einen anderen Ansatz gewählt. Wir haben in Frankfurt Filmschaffende aus den verschiedensten Bereichen der Branche zusammengebracht und sie darum gebeten, zu diskutieren und konkrete Vorschläge zu erarbeiten. Vorschläge, die ein breites Spektrum von Themen abdecken und dabei deutlich machen, dass an vielen Stellen Grundlegendes verändert werden muss, damit in diesem Land ein Aufbruch in Film und Kino beginnen kann.

Das vorliegende Papier ist das Ergebnis dieses Prozesses. Es wurde in drei Arbeitsgruppen erstellt, die in teilweise wechselnder Zusammensetzung unabhängig voneinander gearbeitet und dabei Impulse aus dem Kongressprogramm aufgenommen haben. Es enthält zahlreiche Positionen zu verschiedenen Aspekten des Filmbetriebs, die naturgemäß nicht von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses geteilt werden.

Wir sind überzeugt, dass dieses Papier einen Weg aufzeigt, in welche Richtung sich die Verhältnisse ändern können. Es versteht sich als Motor für weitere Diskussionen, vor allem aber soll es ein Aufruf zu konkreten Taten sein. In diesem Sinne wünschen wir uns, dass möglichst viele, denen das Kino am Herzen liegt – ob sie am Kongress teilgenommen haben oder nicht –, sich diesem Aufruf anschließen, auch wenn sie nicht jeden einzelnen Vorschlag des Papiers unterstützen.

Die VeranstalterInnen

Hier geht es zum Ergebnispapier:
http://www.lichter-filmfest.de/media/frankfurterpositionen_zukunftdeutscherfilm.pdf

Die Deutschen gehen zu selten ins Kino. Und wenn sei es doch tun, sehen sie die falschen Filme. Am besten sollten sie richtig erzogen werden. | Foto © cinearte

Die Deutschen gehen zu selten ins Kino. Und wenn sei es doch tun, sehen sie die falschen Filme. Am besten sollten sie richtig erzogen werden. | Foto © cinearte

Beim Kongress „Zukunft Deutscher Film“ haben Filmemacher und Fachleute Vorschläge erarbeitet, was besser gemacht werden könnte. Wir stellen die Handlungsempfehlungen vorab vor. Zum Abschluss sprach Claudia Dillmann über „Distribution und Kinokultur“: Weiterlesen

Zum Abschluss des Kongresses „Zukunft Deutscher Film” in Frankfurt wurden die Verbesserungsvorschläge vor vollem Saal präsentiert. | Foto © Klaus Rebmann

Zum Abschluss des Kongresses „Zukunft Deutscher Film“ in Frankfurt wurden die Verbesserungsvorschläge vor vollem Saal präsentiert. | Foto © Klaus Rebmann

Beim Kongress „Zukunft Deutscher Film” haben Filmemacher und Fachleute Vorschläge erarbeitet, was besser gemacht werden könnte. Wir stellen die Handlungsempfehlungen vorab vor. Alfred Holighaus präsentierte die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Ausbildung und Nachwuchs“:

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An der großen Wand von Crew United konnten sich die Kongressgäste ihre eigenen Gedanken machen. Am Ende war sie voll. | Foto © Tom Nestler

An der großen Wand von Crew United konnten sich auch die Kongressgäste ihre eigenen Gedanken machen. Am Ende war sie voll. | Foto © Tom Nestler

Beim Kongress „Zukunft Deutscher Film” haben Filmemacher und Fachleute Vorschläge erarbeitet, was besser gemacht werden könnte. Wir stellen die Handlungsempfehlungen vorab vor. Im zweiten Teil der Arbeitsgruppe „Förderung und Finanzen“ präsentierte die Regisseurin Julia von Heinz die Vorschläge zum Fernsehen:

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Auf dem Podium (von links):?Martin Hagemann, Julia von Heinz, Alfred Holighaus, Claudia Dillman. | Foto © Klaus Redmann

Auf dem Podium (von links):?Martin Hagemann, Julia von Heinz, Alfred Holighaus, Claudia Dillman. | Foto © Klaus Redmann

Schön, wenn man miteinander geredet hat. Aber was dann? Ohne einen Ausblick wollten die Organisatoren des Kongresses „Zukunft Deutscher Film“ ihre Besucher nicht gehen lassen. Deshalb ließen sie, angeregt durch die Thesen von Edgar Reitz, 26 Filmemacher und Fachleute an beiden Tagen in drei Arbeitsgruppen die drängenden Themen diskutieren. Das Ergebnis sollten Handlungsempfehlungen sein, die Zum Abschluss im Großen Saal des Zoo-Gesellschaftshauses vorgestellt wurden.

Vorgetragen wurden sie von den jeweiligen Moderatoren der Arbeitsgruppen: Martin Hagemann, Produzent und Professor an der Filmuniversität „Konrad Wolf“ Babelsberg, teilte sich die Präsentation zu „Förderung und Finanzen“ mit der Regisseurin Julia von Heinz; Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (Spio), schilderte die Vorstellungen zu „Ausbildung und Nachwuchs“; und Claudia Dillmann, ehemalige Direktorin des Deutschen Filmmuseums und des Deutschen Filminstituts sprach über „Distribution & Kinokultur“.

Wir veröffentlichen in den nächsten vier Tagen gekürzte Mitschriften der Vorträge. An der endgültigen Formulierung wird noch gearbeitet, sie soll voraussichtlich diese Woche auf der Kongress-Website veröffentlicht werden. Den Anfang machte Martin Hagemann mit Förderung und Finanzen – Kino:

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Lisa Jopt, Schauspielerin und Vorsitzende des ensemble-netzwerks e.V. - (c) Foto: Julia Nimke Photography

Engagiert Euch! Das sagt sich so leicht … und ist es eigentlich auch. Lisa Jopt ist Vorsitzende des Ensemble-Netzwerks, das sich vor drei Jahren gründete. In ihrer Impulsrede zur Diskussion Film but Fair erzählte sie, wie die Schauspieler an deutschen Theatern das gemacht haben.

Text Lisa Jopt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage jetzt einfach mal Kolleginnen und Kollegen, denn so fühle ich es. Obschon ich vom Theater komme, tun wir, die wir alle hier heute aus den unterschiedlichsten Abteilungen beim »Fair Film Award« sind, das Gleiche: Wir arbeiten für die Darstellenden Künste. Ob Theater, Film oder Fernsehen – wir sind mit unseren vielen unterschiedlichen Berufen und Departements eine absolut wichtige und tragende Säule unserer freien, demokratischen Gesellschaft und Bedeutungsträger unserer kulturellen Vielschichtigkeit.
Aber warum stehe ausgerechnet ich heute hier? Sie kennen mich nicht aus dem Fernsehen. Ich bin keine prominente Persönlichkeit, die sich medienwirksam für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzten könnte. Ich bin auch keine Politikerin, die Entscheidungsgewalt hätte.
Nein, ich bin bloß eine Schauspielerin, die hauptsächlich am Theater beschäftigt ist und die seit sieben Jahren meist peinlichst unterbezahlt an öffentlich geförderten Theatern spielt. Am Schauspiel Essen, am Oldenburgischen Staatstheater oder eben jetzt am Schauspielhaus Bochum.
Und als ich ans Theater kam und mein großer Traum, Schauspielerin zu werden, sich endlich erfüllte, habe ich früh erkennen müssen, dass mein Traumberuf und die Arbeitsrealität unverschämt weit auseinanderliegen. Wie wohl die meisten hier, denn sonst würde es den »Fair Film Award« wohl nicht geben. Vielleicht kommt Ihnen folgende Aussage bekannt vor, selbst, wenn die meisten hier freischaffend sind: Es wird zu viel produziert. In zu kurzer Zeit. Mit zu wenig Leuten. Und zu wenig Geld. Das ist ein massives Problem an vielen Theatern, aber der Frust darüber kanalisiert sich eher in der Kantine oder der Kneipe. Viel Gemekker und Beschwerde von tollen, gestanden Künstler/innen über »die da oben«.
Und je länger man diesem Negativ-Narrativ ausgesetzt ist, dieser sich selbst wiederholenden Hilflosigkeitsbekundung, desto mehr hat man den Eindruck, man könne tatsächlich nichts verändern. Denn wenn die Kolleg/innen, die schon so viel mehr Erfahrung haben als ich, die tolle Schauspieler/innen sind, das nicht können, dann geht es wohl auch wirklich nicht. »So ist das halt am Theater.«

Eine Resignation hatte sich breit gemacht, die sich mit einem Rückzug ins Private, Einzelgängertum oder in zu vielen Feierabendbieren zeigte. Eine traditionelle Erzählung, die angeblich zur Künstler/innen-DNA gehört, sollte nun angeblich auch meine Berufsrealität sein. Meine Lebensperspektive bestimmen. Wir nennen das heute übrigens Theaterfolklore. Weiterlesen