Talent und Fleiß allein sind nicht genug. Dass die Filmbranche so wenige Regisseurinnen hat, liegt an Strukturen und Vorurteilen. Sieben Mythen und die Fakten.
Text Skadi Loist und Peter Hartig
50 Prozent. Nicht weniger fordert die Initiative Pro Quote Film für die deutsche Produktionslandschaft. Frauen kommen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Fördermitteln zu kurz, verdienen weniger als Männer in den entsprechenden Positionen, sind in Gremien und Führungsfunktionen schwächer vertreten. Die Folge: Das Bild von der Welt, das Film und Fernsehen vermitteln, wird immer noch zum größten Teil von Männern gezeichnet – die andere Hälfte der Welt kommt kaum zu Wort. »Die Welt in Filmen hinkt der Realität hinterher«, meint Pro Quote Film dazu: »In fiktionalen Rollen arbeiten nur 20 Prozent der Frauen, davon nur 1 Prozent als Managerinnen, Politikerinnen oder Wissenschaftlerinnen.«
Zwar wird seit der Gründung der Initiative vor vier Jahren rege über eine Quote diskutiert, der große Wandel steht aber noch aus, wie zuletzt der (inzwischen fünfte) Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie zeigte, der auf den RegieTagen im November vorgestellt wurde. Alles andere wäre auch überraschend gewesen. Denn der Diversitätsbericht untersuchte die Produktionen des vorangegangenen Jahres, die bereits gelaufen oder gesendet waren. Die meisten befanden sich also schon in Arbeit, ehe sich zum Beispiel die ARD-Produktionstochter Degeto auf eine freiwillige Regie-Quote von 20 Prozent selbst verpflichtete. Ob dieser reduzierte Anspruch tatsächlich umgesetzt wurde, wird also erst der nächste Diversitätsbericht zeigen.
Doch eine Quote wird von vielen abgelehnt: Allein durch Talent und Fleiß beweise sich, wer auf den Regiestuhl passt. Also seien die Chancen doch gleich, und eine Frau mehr oder weniger selbst schuld, wenn sie nicht das Zeug dazu hat, argumentieren die Gegner der Quote.
Etliche Studien in mehreren Ländern widersprechen dem: Strukturen und Geschlechtervorurteile der Branche machen es auch den fleißigsten Talenten schwerer, wenn die in einem weiblichen Körper stecken. Deutsche Regisseure haben zurzeit eine Männerquote von 85 Prozent, Filmfördermittel streichen sie sogar zu 90 Prozent ein.
»Above the Line« wird die Luft für dünn – in fast allen Sparten. Das Problem ist global, selbst Amerika hat es nicht besser: Erst 2010 erhielt mit Kathryn Bigelow für The Hurt Locker erstmals eine Frau den »Oscar« für die beste Regie – es war die 82. Verleihung. Weitere acht Jahre dauerte es, bis Rachel Morrison als erste Kamerafrau überhaupt in ihrer Kategorie mit Mudbound für einen »Oscar« nominiert wurde.
Den Vorurteilen und Mythen ist damit kaum beizukommen. Die Medienwissenschaftlerin Skadi Loist hat darum den sieben gängigsten dieser Argumente, wie es zur Benachteiligung von Frauen und Minoritäten in der Filmbranche komme, die Ergebnisse der vielen Studien gegenübergestellt. Wir listen sie hier in Kurzform auf. Loists Artikel Gendered Media Industries. Argumente für eine geschlechtergerechte und diverse Filmindustrie ist mit allen Quellenangaben im Oktober in Navigationen – Zeitschrift für Medien und Kulturwissenschaften erschienen.
Mythos 1: Die Medienbranche ist geschlechterneutral. Allein Qualität entscheidet darüber, wer sich durchsetzt.
Viele Entscheidungen in der Filmbranche werden subjektiv gefällt – von der Unterstützung von Filmideen bis zu Kooperationspartnerschaften. Für die FFA-Studie Gender und Film von 2017 hatten viele Filmschaffende ›Bauchgefühl‹, eigenes inhaltliches Interesse und Vertrauen zu den Akteuren als entscheidend angegeben.
Stereotype Zuschreibungen werden weiter verstärkt, wenn Entscheidungsgremien homogen besetzt sind. Viele Gremien und Redaktionen setzen sich aus weißen, älteren Männern aus der Mittelschicht zusammen. Je höher die Hierarchie, desto höher ist die Männerquote.
Filme, die von Männern realisiert werden, haben größeren kommerziellen Erfolg. Filme, die von Frauen realisiert werden, sind bei Kritik und Jurys angesehener. Weiterlesen