Seit 20 Jahren macht die Perspektive Deutsches Kino den Filmnachwuchs auf der Berlinale sichtbar. Sieben Filme kamen dieses Jahr in die Auswahl. Dabei fällt mehreres auf. Szenenfoto aus dem Eröffnungsfilm „Wir könnten genauso gut tot sein“. | Foto © Jan Mayntz/Heartwake Films

Die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale entwickelt sich weiter. Ein Blick auf neue Drauf-Sichten, die auch einen Rück-Blick in die Vergangenheit offenlegen.

Die Berlinale kehrte nach einer Streaming-Runde zurück in die Kinos. Mit Präsenz. Auch das Programm wurde, zumindest gefühlt, nicht wirklich ausgedünnt. Anders in der Sektion Perspektive Deutsches Kino, die dieses Jahr ihre 21. Ausgabe ausrichtete. Obwohl, bereits 2020, mit der Übernahme der Berlinale-Leitung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek wurde das Gesamtprogramm in einigen Sektionen gestrafft. Aus einem Program mit gut ein Dutzend junger Filme wurde die Anzahl auf unter 10 gedrückt. Im letzten Jahr beschränkte sich die Sektion auf sechs Filme. Dieses Jahr wurden nun sieben Werke gezeigt. Plus ein Gast. In den vergangenen Jahren umfasste die Auswahl zusätzlich den Gewinner des „Max-Ophüls-Preises“, das wäre dieses Jahr „Moneyboy“ von C.B. Yi gewesen. Aufgrund der Einschränkungen gab es dieses Jahr jedoch nur einen „Gast der Perspektive“, das war der Roland Gräfs „Fallada – letztes Kapitel“, ein Defa-Film von 1988. 

Eingereicht werden können Spiel- und Dokumentarfilme, Experimentales und Animationsfilme oder eine Mischung daraus. Auf ihrer Profil-Seite heißt es: „Die Perspektive Deutsches Kino unterstützt Persönlichkeiten, die selbstbewusst nach dem eigenen künstlerischen Ausdruck suchen und dazu auch Nebenwege fernab der Hauptstraße gehen. Unerwartetes, originelle Ideen und die Freude am Ausprobieren sind die Kriterien, die unsere Filmauswahl bestimmen.“ Sieben Filme kamen in die Auswahl. Zwei Dokumentarfilme, ein Halbstünder und vier Spielfilme. Dabei fällt auf … zum einen, dass überwiegend Frauen Regie führten. Bis auf eine Ausnahme. Es fällt auf, dass die Auswahl ein Auge auf Genre-Filme setzte. Thematisch setzte man auf die Bearbeitungen von gesellschaftlichen Spannungen oder auf den Blick in die Vergangenheit und deren Aufarbeitung. Die Perspektive Deutsches Kino konnte für Filmemacher und Filmemacherinnen ein Sprungbrett sein. Hin zum Publikum, hin zu einem Kinoeinsatz. Vier der Filme haben bereits einen deutschen Verleih und werden im Laufe des Jahres hoffentlich in unsere Kinos kommen. Eine Selbstvorstellung der Sektion im Interview mit der Sektionsleiterin Linda Söffker kann man auf der Berlinale-Seite hier lesen.

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Wahnsinn! Jetzt muss keine*r mehr alleine spazieren gehen: Ein Dating-Portal will „alle impffreien und bewussten Menschen“ zusammenbringen. Sogar in mehreren Sprachen. | Screenshot

Geisterspiele: Netz, Fußball und Feuilletonkolumnen als Objekt von Symbolpolitik – Gedanken in der Pandemie, Folge 145.

„Man sollte nicht Handlanger eines ideologischen Lagers sein, und man darf keine Angst vor Wutstürmen haben. Genau dazu ist die Meinungsfreiheit ja da: um Dinge zu sagen, die manche nicht hören möchten.“
Harald Martenstein, 20. Februar 2022

„Die einzige Kirche, der ich angehören möchte, ist die, die man im Dorf lässt.“
Hermann L. Gremliza (1940-1919), „Konkret“-Chefredakteur

Der ganz normale Wahnsinn unserer Gegenwart treibt immer neue Blüten. So gibt es seit kurzem auch ein Datingportal für Ungeimpfte. 

Wer plötzlich „viel Freizeit wegen 3G“ hat, kann auf dem „Verbindungsportal“ „Impffrei.Love“ Liebespartner finden, denen garantiert kein Bill-Gates-Chip eingepflanzt wurde. Mit einem Bild des Matterhorn wirbt die Schweizer Website, die, wie die SZ berichtet, mit einer semipolitischen Organisation namens „Generation Freiheit“ verbandelt ist, in leicht surrealen Worten für „Impffreie Liebe“ und wendet sich an „alle impffreien und bewussten Menschen“, die „lieber Händchen halten, statt Abstand halten.“ Weiter raunt man von der „Möglichkeit der Vernetzung mit Gleichgesinnten“

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1968, als wenigstens morgens um 7 die Welt noch in Ordnung war. | Foto © HR/Degeto

… und am Ende des Tages sind wir alle klüger. Warum wir nicht in ruhigen Zeiten leben, und das auch gut so ist – Gedanken in der Pandemie, Folge 144.

„Ohne Spaltung keine Politik.“
Michael Rutschky (1943-2018)

„The mind does not come to life until it meets something it cannot comprehend.“
James Carse (19??-2020)

Eine lange Winterschlaf-Pause war das; jetzt sind wir wieder da im Herbst der Pandemie, bevor diese dann zu einer Endemie wird. Wollen wir doch hoffen!

Aber auch in den letzten fünf Wochen hat sich – seien wir ehrlich! – nichts wesentlich geändert. Die Themen,  die öffentlich im Zusammenhang mit der Pandemie diskutiert werden, sind die gleichen geblieben: Impfpflicht, der Umgang mit Impfgegnern, die Frage der Gefährlichkeit von Omikron, der sozialpsychologische Zustand der Republik, der Vergleich mit England (die natürlich alles schlechter machen, als wir), der Vergleich mit Österreich (wo man nichts schlechter macht, manches vielleicht sogar besser, es aber bei uns nicht wahrhaben will), vielleicht noch der Blick nach Schweden (wo sowieso alles ganz schlimm ist, oder?).

Gleich geblieben sind auch die Leerstellen, also das was nicht besprochen wird, 

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„Den Weihnachtsmann gibt es nicht“, hatte ein Bischof auf Sizilien gepetzt und wurde prompt als Spielverderber geschimpft. Dabei hatte er bloß das Geschäftsmodell dahinter angeprangert: „Warum bringt der Weihnachtsmann nur den Reichen Geschenke und nicht den Kindern, die nichts haben?“ Szenenbild aus „Versprochen ist versprochen“. | Foto © 20th Century Fox

Entscheidende Augenblicke: Französische Erfahrungen, deutsche Fragen und die Steuerungsfähigkeit des Staates in der Tyrannei der Ungeimpften – Gedanken in der Pandemie, Folge 143.

„Die Schlacht von Austerlitz ist die schönste, die ich jemals geschlagen habe.“
Napoleon Bonaparte, an Josephine, am 2. Dezember 1805

„Der Nebel begann sich zu zerteilen, und in einer Entfernung von etwa zwei Werst konnte man bereits auf den gegenüberliegenden Höhen feindliche Truppen wahrnehmen, wenn auch nur undeutlich. Von links unten wurde das Schießen vernehmbar. Kutusow machte halt und sprach ein paar Worte mit einem österreichischen General. Fürst Andrej hielt dicht hinter ihm und beobachtete die beiden, dann wandte er sich an einen Adjutanten, um sich dessen Fernrohr auszubitten. ,Sehen Sie bloß, sehen Sie bloß‘, sagte dieser Adjutant und blickte nicht auf die Truppen in der Ferne, sondern vor sich den Berg hinunter. ,Das sind die Franzosen!‘ Die beiden Generäle und die anderen Adjutanten griffen nach dem Glase und entrissen es einer dem anderen. Ihre Gesichter hatten sich plötzlich verfärbt und drückten Entsetzen aus. Sie hatten die Franzosen in zwei Werst Entfernung geglaubt, und jetzt standen sie plötzlich unerwartet vor ihnen. ,Ist das der Feind? … Nein! … Aber sehen Sie doch, das ist er … ganz sicher … Was ist das?‘ schwirrte es durcheinander. Fürst Andrej erkannte mit bloßem Auge rechts unten eine dichte Kolonne Franzosen, die nicht weiter als fünfhundert Schritt von der Stelle entfernt war, wo Kutusow hielt. Jetzt ist er da, der entscheidende Augenblick. Jetzt ist’s an mir! dachte Fürst Andrej, riss sein Pferd herum und ritt an Kutusow heran.“
Leo Tolstoi, 

„Den Weihnachtsmann gibt es nicht.“
Antonio Staglianò, Bischof von Noto auf Sizilien am 6.12.2021

Es gibt nicht nur eine epidemische Lage von nationaler Tragweite, sondern auch epidemische Lügen. Und  epidemische Dummheit von nationaler Tragweite. Sie kann man leider nicht abschaffen.

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Pieks! | Grafik © Ayzit Bostan

Proporz-Probleme und Wissenschaft – Gedanken in der Pandemie, Folge 142.

„Wir müssen jene berücksichtigen, die fortgesetzt Fragen stellen und keine Schlüsse ziehen.“
Albert Camus, Schriftsteller, Philosoph

„Ich möchte nicht, dass wir dazu beitragen, dass die Schwierigkeiten noch größer werden.“
Rita Süßmuth, Gesundheitsministerin, 1985 zu ihrer AIDS-Kampagne

„Was im kollektiven Unterbewusstsein der Epoche rumort, das erscheint mit tödlicher Sicherheit auf der Leinwand – wenn auch zumeist in gefälliger Verpackung, mit tröstlichem Happy End und den Wechseln der Maskierung. Wenn unser Blick diese Schichten durchdringt, stoßen wir auf Zentralpunkte des modernen Lebensgefühls – und immer wieder auf die große Angst, das verborgene Leitmotiv der Zivilisation: Angst vor der Katastrophe, Angst vor der Langeweile, Angst vor der Angst.“
Gunter Groll, Filmkritiker

 

Wir können Geburtstag feiern. Aber vielleicht ist uns gar nicht zum Feiern zumute. Trotzdem: Vor fast genau zwei Jahren wurde das Covid-19-Virus erstmals in Europa nachgewiesen. Man hat dem damals noch keine große Bedeutung gegeben. aber ungefähr vor zwei Jahren und so um Weihnachten oder Silvester 2019 herum ging alles los. Und dann ging es wie wir uns erinnern sehr schnell. seitdem ist immer wieder von der neuen Normalität oder gar von der neuen Realität die Rede, was ich beides für ziemliches ideologisches Geschwätz halte. Denn weder sind die Verhältnisse normal noch hat sich die Realität – zu Erinnerung: gemeint ist die Wirklichkeit – geändert.

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Freiheit oder Pflicht? Die Impffrage ist zu einem Kulturkampf geworden. Szenenfoto aus „Idiocracy“. | Foto © 20th Century Fox

Wie dysfunktional Medien heute mit Intellektualität umgehen: Protokoll einer sehr deutschen Debatte, Akt I – Gedanken in der Pandemie, Folge 141.

„Was heißt das übersetzt? Sind das dumme Menschen, die sich nicht impfen lassen?“
Markus Lanz

„Manche kriegen wir gar nicht mehr. Bei manchen wirkt vielleicht die Bratwurst. Bei manchen wirkt das rationale Kalkül, manche kriegt man noch über Solidarität.“
Alena Buyx, Medizinethikerin

Dienstag, der 2. November 2021 war der Tag, an dem in Deutschland erstmals einigermaßen vernünftig über das Boostern geredet wurde. Davor hat fast niemand davon gesprochen, schon gar nicht der damals noch amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn. Da trat in der außergewöhnlichen und unbedingt nachholenswerten Sendung „Markus Lanz“ die Vorsitzende des deutschen Ethikrats, die Medizinethikerin Alena Buyx, vors Publikum, und sagte „das niedrigschwellige Impfen ist eine wichtige Sache, aber man muss auch nach-boostern.“

Von diesem Tag an war auf einmal klar: zwei Impfungen reichen nicht – das schlichte 2G ist nicht genug.

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Der eine kommt, die andere geht. Millionen schalteten zum Abschied der Kanzlerin den Fernseher ein, um zu hören wie ein Nina-Hagen-Hit mit Blasmusik klingt. Und Karl Lauterbach wird in Zukunft wohl weniger Zeit für Talkshows haben. | Foto © BR

Karl Lauterbach talkt sich auf einen Ministersessel. Und die Physikerin tritt ab – Gedanken in der Pandemie, Folge 140.

„Ich möchte Deutschland dienen.“
Angela Merkel, 2005 bei ihrem Amtsantritt

„Weg mit den Spaltern der Arbeiterfront/ den Verrätern am Proletariat!/
Uns hilft nur die Rote Einheitsfront/ von Arbeiter, Bauer und Soldat/
Heraus aus dem alten Wahne/ Die Einheitsfront marschiert/
Unter der roten Fahne/ von Marx und von Lenin geführt.“
Text: Erich Weinert; Komposition: Hanns Eisler; Gesang: Ernst Busch 

Deutschland ist gerettet! Der Messias ist da!! Das Volk hat seinen Retter!!! Den Pandemieversteher, der spätestens heute auch ein Pandemiegewinner ist: Karl Lauterbach. Er ist der beste Beweis dafür, wie man allein durch Talk-Show-Auftritte Macht gewinnen, und sich die Gunst des Volkes und damit der Parteien erringen und sich unentbehrlich machen kann. 

Das Beste an dieser Ernennung ist, dass das Bild des heiligen Lauterbach jetzt ziemlich schnell Risse bekommen wird. Denn alle Menschen machen Fehler. Und auch Karl Lauterbach ist, selbst wenn das manche nicht mehr wahrhaben möchten, ein Mensch. Er wird Fehler machen. Und das ist zumindest für ihn eine neue und gute Erfahrung.

Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios kommentierte heute treffend: „Lauterbach verdankt seine Berufung einer medialen Dauerpräsenz und seiner öffentlichen Position als Corona-Mahner. Jetzt aber muss Lauterbach beweisen, dass er nicht nur von der Pandemie warnen, sondern sie auch managen kann.“

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Es kriselte schon mächtig: Anfang 1969 trafen sich die Beatles sich in einem Filmstudio für die Aufnahmen zu ihrem Album „Let it be“. Peter Jackson hat das Material eindrucksvoll restauriert. Der Doku-Dreiteiler „Get Back“ erzählt das Ende der Kult-Band neu. | Foto © Disney Plus

Die Medien als Pandemie-Treiber. Das Versagen der Politik. Und die Verantwortungslosigkeit der Bürger – Gedanken in der Pandemie, Folge 139.

„Doesn’t have a point of view/Knows not where he’s going to/Isn’t he a bit like you and me?“
The Beatles, „Nowhere Man“

„If you are the dealer, I’m out of the game
If you are the healer, it means im broken and lame
If thine is the glory, then mine must be the shame
You want it darker
We kill the flame“
Leonard Cohen, „You Want It Darker“

„Vertrauen ist der Anfang von allem.“
Deutsche-Bank-Werbespot, 1990er-Jahre 

„Ich bin hingerissen!“ schrieb mir ein begeisterter Oliver Zenglein gleich ganz unmittelbar am gestrigen Sonntag seinen Eindruck von Peter Jacksons Doku-Miniserie über die Beatles: „Und ich war immer eher der John-Lennon- Typ. Aber jetzt bin ich ein Fan von Paul. „Peter Jackson kommentiert nichts. Er lässt es laufen. Wir sehen vier junge Männer (die sind ja erst zwischen 25 und 28, sehen aber älter aus) die eigentlich schon alles erreicht haben, aber die mit Epstein ihren Vater verloren haben. Sie sind so unglaubliche Musiker und trotz allem auch Kindsköpfe. Es ist magisch zu sehen, wie ,Get Back‘, ,Don‘t Let Me Down‘ und ,Let It Be‘ entstehen. Und Yoko? Und Paul? Hier muss Musikgeschichte umgeschrieben werden. Die beiden waren nicht der Grund der Trennung.“

Auch sonst erfährt man offenbar Neues: „Wusstest du, dass sie Billy Preston ins Studio geholt hatten und er eigentlich auf allen Songs der LP ,Let It Be‘ dabei ist? Er war quasi ein schwarzer fünfter Beatle.“ 

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Gleich vier Filme über Kühe waren vorige Woche auf dem Festival Mannheim-Heidelberg zu sehen. Zum Beispiel Andreas Arnolds „Cow“. Fürs Impfen (und die Angst davor) hat das Tier übrigens eine besondere Bedeutung. | Foto © IFF Mannheim-Heidelberg

Warum wir uns verkuhen müssen und man es nicht allen rechtmachen kann: Professorenpolitik, Fortschrittsfeindschaft und Schweden – Gedanken in der Pandemie, Folge 138.

„Schon jetzt sterben in unserem Land 700 Menschen pro Woche – Tendenz steigend. Jeder Tag des Abwartens kostet Menschenleben. […] Verantwortung [bedeutet] eine aufrichtige, besonnene und vor allem kohärente Kommunikation, die den Bürgerinnen und Bürgern vertraut, ihnen aber auch unangenehme Wahrheiten zumutet sowie klare und konsistente Verhaltensrichtlinien vorgibt. Dass eine solche Kommunikation sowie einheitliche verbindliche Regelungen weiterhin fehlen, untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung, beschädigt somit auch das Vertrauen in die Maßnahmen – unter anderem in das Impfen – und trägt dadurch erheblich zur Verlängerung der Pandemie bei.“
Appell von 35 Wissenschaftlern. 

„Wenn nur soziale Gebilde beständen, denen die Gewaltsamkeit als Mittel unbekannt wäre, dann würde der Begriff ,Staat’ fortgefallen sein, dann wäre eingetreten, was man in diesem besonderen Sinne des Wortes als ,Anarchie’ bezeichnen würde. Gewaltsamkeit ist natürlich nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates: – davon ist keine Rede –, wohl aber: das ihm spezifische. Gerade heute ist die Beziehung des Staates zur Gewaltsamkeit besonders intim. In der Vergangenheit haben die verschiedensten Verbände – von der Sippe angefangen – physische Gewaltsamkeit als ganz normales Mittel gekannt. Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.“
Max Weber, „Politik als Beruf“; 1919.

„Vaccination“ – gleich vier Filme über Kühe waren in der letzten Woche auf dem „Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg“ bei seiner 70-Jahre-Jubiläumsausgabe zu sehen. In einem stand eine Kuh nicht nur im Mittelpunkt, sondern sie war Heldin und Hauptfigur des Films: Ausgerechnet von der britischen Sozialrealistin Andreas Arnold stammt er und heißt wie sein Gegenstand: „Cow“. 

Ein wunderbarer, schöner Film, auch für Nicht-Vegetarier wie mich. Er brachte mich auf etwas anderes. Woher kommt eigentlich der Ausdruck „vaccination“ und „vaccinare“? Hat das am Ende etwas mit Kuh zu tun? Tatsächlich! 

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Mit einem Dokumentarfilm über Straßenkinder in Nepal hatte Justin Peach vor zwölf Jahren den „Deutschen Nachwuchsfilmpreis“ gewonnen. Sein neuer Film „Street Line“ setzt die Geschichte jetzt fort. | Foto © Seweryn Zelazny

Justin Peach (39) hatte 2009 mit „Kleine Wölfe“ eine bewegende Doku über Straßenkinder in Nepal gedreht. Und damit beim Up-and-coming Filmfestival in Hannover gewonnen. Jetzt schließt sich der Kreis. Ende November sitzt  Peach selbst in der Jury, die Deutschlands talentierteste Nachwuchsfilmer sucht. Ein Gespräch über kleine Hüte, großes Kino, Knutschen im Kinosessel und ein digitales Festival in Corona-Zeiten. 

Interview: Andreas Daebeler und Ilona Lütje

Justin, Du warst 2009 mit der Doku „Kleine Wölfe, in der das Schicksal nepalesischer Straßenkinder nachgezeichnet wird, beim Up-and-coming am Start. Was hat Dich damals bewogen, Dich fürs Festival zu bewerben?
„Kleine Wölfe“ war mein Abschlussfilm an der Hochschule Mainz und wir hatten eigentlich keine großen Ambitionen, außer dass wir eine Note gebraucht haben. Ich habe den fertigen Film damals dann überall eingereicht und gehofft, dass er gezeigt wird. Erstmal ist man klein mit Hut, bewirbt sich und guckt, ob der Film ankommt und Festivals den überhaupt zeigen. 

Gezeigt wurde er in Hannover. Und Du hast dann sogar den Deutschen Nachwuchsfilmpreis abgeräumt. Der erhoffte Booster für Dich als Filmemacher?
Klar. Das war Gänsehaut. Krass. Ich weiß noch, dass ich damals mit einem Kumpel zurück nach Mainz gefahren bin und auf einmal lief im Radio die Nachricht, dass ich gewonnen habe. Da war mir sofort klar, welche Tragweite das hat und dass ganz Deutschland das mitkriegt. Und so war es dann auch – gut für meine Karriere. Als junger Kameramann und Filmer ist es wichtig, erstmal einen Fuß in die Tür zu kriegen. Von dem Moment an wurde ich überall vorgestellt mit den Worten: das ist Justin, der hat den Deutschen Nachwuchsfilmpreis gewonnen. Ich bin sehr dankbar, weil ich auf jeden Fall profitiert habe.

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Manche vertrauen lieber auf Hausrezepte als auf Impfstoffe als Schutz gegen das Virus. In Österreich ist das Anti-Wurmmittel Ivermectin ausverkauft.

Die Inszenierung der Unfähigkeit: In der Matrix; die Wahrheit da draußen. Und ein Plädoyer für Gelassenheit – Gedanken in der Pandemie, Folge 137.

„Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie bei’m Kragen hätte.“
Goethe, Faust I, Vers 2182

„Die Pandemie wird erst beendet sein, wenn sich jeder infiziert hat – entweder nachdem er auch geimpft worden ist oder davor.“
Christoph Specht, Medizinexperte

In Österreich ist neuerdings das Anti-Wurmmittel Ivermectin ausverkauft. Obwohl Experten und Wissenschaftler von der Einnahme abraten, ist das vor allem in der Tiermedizin eingesetzte und rezeptpflichtige Medikament in vielen Apotheken Österreichs ausverkauft. In impfskeptischen Kreisen wird das Medikament nämlich neuerdings als Wundermittel gegen Covid-19 gefeiert. In der Tiermedizin dient Ivermectin vor allem bei Pferden, Schafen, Schweinen oder Rindern zur Entwurmung. Beim Menschen sind die Ivermectin-Tabletten zur Behandlung von Krätzmilben, Zwergfadenwürmern, tropischen Fadenwürmern oder Kupferakne zugelassen.

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Die Inzidenzen steigen, die Diskussion schwillt an: Impfzwang oder nicht? (Szenenfoto aus „Beyond Re-Animator“). | Foto © Capelight Pictures

Stattdessen gibt es Dinge, die man nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen tun muss, aber auch erhöhter Druck führt zum Impferfolg – und eine Erinnerung an Bettina Gaus. Gedanken in der Pandemie, Folge 136.

„Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.“
Ludwig Wittgenstein, 6.43

„Ich weiß aber eines: ich würde wahrscheinlich noch drei Minuten vor dem sicheren Tode lachen.“ 
Hannah Arendt

Es sind sehr sehr traurige Nachrichten, die uns letzte Woche erreicht haben: Bettina Gaus ist gestorben. Nach „kurzer schwerer Krankheit“. Sie war erst 64 Jahre alt, und arbeitete 30 Jahre für die taz. Ein großer Verlust für den deutschen Journalismus und für die deutsche Öffentlichkeit in der sie eine einmalige, unverzichtbare Figur war.

Ich habe sie nicht wirklich gekannt, bin in nur ein paar Male in größeren Runden begegnet, bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Beispiel und einmal, als sie vor etwa zehn Jahren im Auswärtigen Amt ihr Buch über Afrika vorstellte, über ihre Erfahrungen berichtete. Mit einem Afrikaner hat sie auch zusammen gelebt, und eine Tochter gehabt. 

Für ihr Buch ist Gaus, die sowieso gern reiste, mit Laptop und leichten Gepäck monatelang durch Afrika gereist. Ihre zentrale These ist für uns heute auch noch interessant: Mittelstand muss entwickelt werden. Je weniger groß die Unterschiede zwischen Arm und Reich in einem Land sind, umso glücklicher sind die Menschen, um so friedlicher die Gesellschaften. 

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„In einem Jahrzehnt werden die Kameras überhaupt keine Wechselmedien mehr haben“, meint Michael Cioni. Der „Hollywood Reporter“ hat ihn neulich als einen der einflussreichsten Technik-Experten Hollywoods ausgezeichnet. Cioni war Mitbegründer und CEO des Postproduktionshauses Light Iron, Produktdirektor für das 8K-Kamera-Ökosystem „Millennium DXL” von Panavision und schließlich bei der Videoplattform frame.io für „globale Innovationen“ zuständig. | Foto © MTH Conference

Um Medientechnik der nächsten Generation geht’s bei der  MediaTech Hub Conference am 10. und 11. November in Babelsberg und Online. Da kennt Michael Cioni sich aus. Er leitet zahlreiche Workflow-Innovationen, darunter die Camera-to-Cloud-Technik. Am kommenden Mittwoch erklärt er, wie effiziente Workflows zu mehr Kreativität verhelfen.

Michael, Sie sind sicherlich einer der bekanntesten Innovatoren in Hollywood, und die Produktionsbranche verändert sich noch immer massiv. Wo stehen wir?
Die Leidenschaft für meine Arbeit war und ist immer durch die Verschmelzung von Technik und Kreativität motiviert, um die kreative Kontrolle für Filmemacher zu verbessern. Ich nenne es „Technative“, weil es Technologie kreativ einsetzt, um neue Workflows zu entdecken und aufzuzeigen, sodass das Machen von Filmen und Fernsehen sowohl einfacher als auch besser wird. Aus meiner Sicht gibt es alle fünf oder sechs Jahre einen neuen Technologieschub, und ich liebe es zu erkennen, was sich am Horizont abzeichnet und ein Early Adopter zu sein.
Bei jeder technologischen Transformation gibt es Hindernisse, die überwunden werden müssen und die Akzeptanz in der kreativen Gemeinschaft erfolgt in kleinen Schritten. Wenn es darum geht, Produktion und Postproduktion vollständig in die Cloud zu verlagern, gibt es Herausforderungen wie Bandbreite, Cloud-Codec-Unterstützung, Sicherheit und virtuelles Asset-Management.
Als ich die Möglichkeiten der Cloud evaluierte, war Frame.io bereits das weltweit am schnellsten wachsende professionelle Cloud-Collaboration-Tool und ich war inspiriert, mich den Gründern Emery Wells und John Traver anzuschließen, weil sie die Vision, das technische Talent und das Fundament hatten, auf dem sie aufbauen konnten. 

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„Ein Schnittwunder“ nennt die Jury den Spielfilm und meint damit letztlich den Editor: Kaya Inan war zur Verleihung des „Schnitt-Preises“ in Köln zugeschaltet. | Foto © Juliane Guder/Edimotion

Beim „Edimotion“ wurde Mitte Oktober wieder die Kunst der Filmmontage gewürdigt. Der „Schnitt-Preis“ für die beste Spielfilmarbeit ging an den Editor Kaya Inan für „Wanda, Mein Wunder“.

Lieber Kaya, gratuliere zu Deiner Montage-Leistung bei diesem Spielfilm, in dem sowohl das grandiose Ensemble als auch die unterschiedlichen Tonalitäten hervorstechen. Wie bist Du zu dem Projekt gestoßen?

Meine erste Schnittassistenz war bei „Die Herbstzeitlosen“ (2006), Bettinas Durchbruch als Regisseurin. Ich habe danach noch ein Kunstvideo für sie geschnitten, während meiner Studienzeit in Ludwigsburg, aber beides ist schon lange her.
Ich kannte die Produzenten Lukas Hobi und Reto Schaerli von zwei früheren Projekten. Das erste war die Teenager-Komödie „Achtung, fertig, Charlie!“ (2003) – mein Einstieg in die Filmbranche, damals noch als Schauspieler. Da habe ich bei einem Street-Casting mitgemacht und bin so überhaupt erst auf Film als ein mögliches Berufsfeld gestoßen. 2016 haben Lukas und Reto mich als Editor angefragt, für den Kinderfilm „Papa Moll“. Danach schlugen sie mich auch Bettina vor; so haben sich unsere Wege noch mal gekreuzt.
Ich mochte das Drehbuch zu „Wanda, mein Wunder“ von Anfang an; dieser Humor und diese Figuren. Ich habe die Figuren bereits beim Lesen sehr stark gespürt.

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Zwei Filme hatte Bettina Böhler in den 1990er-Jahren für Christoph Schlingensief geschnitten. Für ihre erste eigene Regiearbeit verdichtete sie Interviews, Filmszenen, Footage und frühe Super-8-Filme zu zwei Filmstunden. | Foto © Juliane Guder/Edimotion

Beim Festival für Filmschnitt und Montagekunst „Edimotion“ wurden vorige Woche in Köln die besten Arbeiten des Jahres in drei Kategorien ausgezeichnet. Der „Schnitt-Preis“ für die beste Dokumentarfilmarbeit ging an Bettina Böhler: „Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien“ erinnert an den Regisseur und  Aktionskünstler Christoph Schlingensief, der vor elf Jahren  verstarb.

Du hast mit „Terror 2000“ und „Die 120 Tage von Bottrop“ selbst zwei Schlingensief-Filme montiert und ihn dadurch auch im Miteinander des Schneideraums gut gekannt. Wie sehr hast Du bei dem Film über ihn und seine Kunst, zehn Jahre nach seinem Tod, versucht, dem gerecht zu werden, was er möglicherweise gewollt hätte? Und wie sehr war es vielleicht auch notwendig, sich davon zu emanzipieren, eine eigene Stimme zu finden?

Beide Zusammenarbeiten mit Christoph Schlingensief liegen ja schon weit über zwanzig Jahre zurück. Aber trotzdem haben die Filme und die Begegnung mit Christoph mein Nachdenken über Film und politische Kunst im Allgemeinen sehr beeinflusst. Schon damals habe ich diesen Mut und die Energie bewundert. Und ich habe auch intuitiv seinen Stil und das, was ihn angetrieben hat, verstanden, obwohl die Drastik und Extremität auch für mich gewöhnungsbedürftig waren. Die Unbedingtheit der Assoziation war für mich ein Leitfaden bei meiner Montagearbeit. Ich habe natürlich sehr, sehr viele seiner außerordentlich unterschiedlichen Werke angeschaut. Und bei jedem Werk, sei es Film, Theater, Oper, Talkformat oder politische Aktion, ging es nie in erster Linie um die Erzählung, sondern um das, was hinter der Erzählung ist, beziehungsweise was sie bewirkt. Und trotzdem wollte ich sein Leben und Werk zu einer eigenen Erzählung machen. Einer Erzählung, der man folgen kann, auch wenn man noch nie von ihm als Künstler gehört hatte. Ich habe mich also über ein gewisses „Chaos“, das ihm wohl mehr entsprochen hätte, zugunsten der Nachvollziehbarkeit seiner künstlerischen Persönlichkeit hinweggesetzt.

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