Zeit für Veränderung!

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Die einen gehen, die anderen kommen gar nicht erst. Das zeigt: Etwas läuft ganz gewaltig schief in der Filmbranche – doch die kämpft nur gegen die Symptome, finden Fritzie Benesch und Judith Frahm. | Foto © Alena Sternberg

Die Branche hat ein Personalproblem. Mit neuen Programmen und Förderungen ist es nicht getan, finden Fritzie Benesch und Judith Frahm. Die beiden Produktionsstudentinnen haben an der Filmuniversität Babelsberg eine Gesprächsreihe gestartet, die nach mehr fragt, nämlich „wie wir miteinander arbeiten wollen“. In ihrer Keynote zum „Fair Film Award Fiction“ erklärten sie, worauf es wirklich ankommt bei der Neuordnung der deutschen Filmlandschaft:

„Als Studentinnen der Filmuniversität Babelsberg und angehende Producerinnen stehen wir kurz davor, in die Branche einzutreten und können es eigentlich kaum erwarten. Endlich die Menschen bezahlen, mit denen wir arbeiten. Endlich auch mal selbst bezahlt werden. Und Filme machen, die auch gesehen werden. Gleichzeitig blicken wir in eine Branche, deren Strukturen so alt und verkrustet sind, dass es fast unmöglich scheint, darin noch gute, innovative, qualitativ hochwertige Filme zu machen. Strukturen, die von starken Hierarchien geprägt sind und von einem teilweise extrem rauen Umgangston; von der Erwartungshaltung, dass die Arbeit beim Film wichtiger ist, als alles andere. In denen Leidenschaft mit absoluter Opferbereitschaft verwechselt wird. Strukturen, denen ein Förder- und Finanzierungssystem zu Grunde liegt, das den Anforderungen der Realität kaum noch gerecht werden kann.

Es wird viel über Fachkräftemangel und Nachwuchsmangel gesprochen. Herausforderungen, die mit Inflation, Klimakrise, dem Überwinden einer Pandemie und Auftraggeber*innen, die immer häufiger Produktionen absagen, einhergehen. Und es gibt viele Ansätze, diesen Herausforderungen zu begegnen. Es werden neue Ausbildungsplätze, Qualifizierungsmaßnahmen und Mentoringprogramme ins Leben gerufen. Die Symptome werden mit viel Energie bekämpft. Doch es scheint wenig über Ursachen gesprochen zu werden: Warum wollen immer weniger Menschen beim Film arbeiten? Nicht nur die, die noch nie an einem Set standen, sondern auch die, die das teilweise seit über 30 Jahren tun? Wenn neben der Kamerapraktikantin oder dem frisch gebackenen Produktionsabsolventen auch der Filmtonmeister und die Produktionsleiter*in, die seit vielen Jahren in diesen Berufen arbeiten, der Branche den Rücken kehren, wird deutlich, dass es hier nicht um eine Generationenfrage geht. Etwas läuft ganz gewaltig schief.

Gleichzeitig sehen wir, es tut sich etwas – sonst stünden wir heute nicht hier. Studien belegen es schon lange: agiles Arbeiten, flexible und vor allem kürzere Wochenarbeitszeiten und flache Hierarchien führen nicht zwangsläufig zu höheren Kosten und geringerer Produktivität. Im Gegenteil: all das mindert das Stresslevel. Und um so wohler wir uns fühlen, umso besser, schneller und effizienter können wir arbeiten, kreativ sein, Lösungen finden. Hier und da probieren sich Produktionen an 4-Tage-Wochen, Job-Sharing ist besonders in langlebigen Fernsehproduktionen kein Fremdwort mehr. Und die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten, ist seit der Pandemie in vielen Büros Normalität. Großartig!

An dieser Stelle wollen wir danke sagen. Danke an Crew United für all die Initiativen und nicht zuletzt auch diese Preisverleihung. Danke an die nominierten Produktionen, die schon auf dem Weg sind und zeigen, dass Filmdrehs eben kein Ausnahmezustand mehr sind. Sondern wir in einer tollen Branche arbeiten, mit tollen Berufen in jedem Gewerk.

Doch hier kann es nicht aufhören. Wir sind an einem Punkt angelangt, in dem der Wert unserer Arbeit nicht mehr nur über Geld bemessen und ausgeglichen werden kann. In unseren Augen muss es darum gehen, nicht nur die Arbeitsbedingungen zu ändern, sondern auch die Arbeitskultur! Beides geht nachhaltig nur mit einander. Und das Bedürfnis danach, das haben wir in den diversen Gesprächen, die wir führen, gemerkt, ist immens. Doch Veränderung ist immer ein Kraftakt. Und damit sie gelingen kann, müssen wir alle auch dazu bereit sein, die eigene Position, die eigene Macht in Frage zu stellen. Das ist unbequem und verunsichernd. So brisant die derzeitigen Herausforderungen auch sind – so bergen sie vor allem auch das Potenzial, unsere Kräfte zu bündeln und an einem Strang zu ziehen. Denn sie gehen alle gleichermaßen an: egal ob technisches oder kreatives Gewerk, Produzent*innen oder Sender.

Uns alle verbindet die Leidenschaft für Film, für Fernsehen, für gute Unterhaltung. Wir haben das große Glück, mit unserer Arbeit Werke schaffen zu können, die Menschen bewegen und sie berühren. Wir können in neue Realititäten einführen und Horizonte erweitern. Wir haben die Chance Haltung zu zeigen und damit an den Diskursen unserer Zeit teilzuhaben. Film hat nicht nur die Kraft, Menschen zu erreichen. Sondern auch das Potenzial, etwas zu verändern. Doch wenn wir wieder Filme machen wollen, die nicht nur Altbekanntes wiederholen, sondern Filme, die mutig sind, die sich trauen, anders zu sein, dann muss sich etwas verändern.

Lasst uns also die aktuellen Energien und Rufe nach Veränderung nutzen, um weiter zu kommen. Lasst uns die Informationen und Erfahrungen, wie es anders geht, sichtbar machen. Sodass wir faire Produktionen nicht mehr als Sonderfall auszeichnen, sondern sie zur Normalität werden. Lasst uns unfaire Arbeitsbedingungen outcallen und Schweigen brechen, miteinander sprechen und Banden bilden. Egos runterschrauben! Hierarchien abbauen und Verantwortung übernehmen. Uns mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Bestehende Strukturen hinterfragen, aufbrechen und gemeinsam neue Lösungen suchen und finden, die den Anforderungen und der Komplexität unserer Zeit gerecht werden. Lasst uns aufhören, in Einzelprojekten zu denken und anfangen, die Zusammenhänge zu sehen und unsere schöne Branche als Ganzes zu betrachten. Wir arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander. Und das auch noch im nächsten Projekt.

Wir leben in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche, in der die soziale Schere immer weiter auseinander driftet. Auf der einen Seite sind verschiedenste Lebensformen und -entwürfe so selbstverständlich, wie noch nie, während gleichzeitig rechte Ideologien nicht nur auf dem Vormarsch, sondern schon längst salonfähig geworden sind. Wir sind überzeugt, dass es gerade in dieser Zeit darum geht, die Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen und ernst zu nehmen. Die, die am Set stehen, die, die in den Firmen oder Sendern arbeiten und die, die vor dem Bildschirm, vor der Leinwand sitzen. Es geht darum, Wirtschaftlichkeit aus einer anderen Perspektive zu denken. Eine Perspektive, die nicht bei Zahlen anfängt und bei Zahlen aufhört. Sondern die bei den Menschen anfängt, die Kraft und Kreativität frei setzt, die Bereitschaft sich einzubringen, die Lust, das Beste zu geben und so wiederum zu guten Zahlen führt. Der Wandel in der Managementlehre, Studien zu Diversity und Produktivität haben längst belegt, dass das der Kern ist, um sozial und nachhaltig wirtschaftlich zu sein.

Dabei ist es völlig egal, ob ein Team aus einer Person oder hundert besteht. Ob Assistenz, Head oder Executive. Um die Kultur nachhaltig zu verändern, müssen wir die Verantwortung sehen und übernehmen. Jede und jeder einzelne von uns. Vielen Dank.“

 

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen. Mehr zum Thema und zur Gesprächsreihe „Ausnahmezustand Film?!“ gibt’s hier

 

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