„Deutscher Filmpreis“: Ein guter Jahrgang

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Die Berichte aus dem Filmalltag waren auch beim „Deutschen Filmpreis“ im Gespräch. Eigentlich brauche es keinen „Code of Conducts“ für die Arbeit am Set, meinte der Ehrenpreisträger Volker Schlöndorff (vorne links): „Anstand und ein ordentlicher Umgang mit Menschen sollten genügen.“ | Foto © DFP/Clemens Porikys

Beim „Deutschen Filmpreis“ gab’s am Freitag doch noch eine kleine Überraschung: Der große Abräumer stand zwar schon vorher fest. Gold und noch vier weitere „Lolas“ gingen aber an einen kleineren Film. Was auffiel: die Preisträger*innen betonten die ,Arbeit auf Augenhöhe’ und gegenseitigen Respekt.

Am Freitag wurde in Berlin der „Deutsche Filmpreis“ verliehen. „2023 ist ein guter Jahrgang“, titelt „Der Tagesspiegel“. Na also! Doch das ist für Andreas Busche kein Grund für vorschnelle Freude, erstmal muss er die Perspektive geraderücken: „Im kalifornischen Silicon Valley dürfte man diesen Freitagabend im Theater am Potsdamer Platz wohl nur mit mäßigem Interesse verfolgt haben. Gut möglich auch, dass im Netflix-Hauptquartier niemandem erklärt wurde, wer diese ,Lola’ eigentlich ist. Der ,Deutsche Filmpreis’ verfügt wie das Kino, das er repräsentiert, über wenig internationale Strahlkraft. Und wenn dann mal wieder ein Film wie ,Im Westen nichts Neues’ weltweit für Aufsehen sorgt, räumt der in Amerika und England gleich so viele Preise ab, dass die Verleihung der ,Lolas’ am Ende der Auswertungskette nur noch einen Restschein des Ruhms abbekommt. Rein numerisch ist Edward Bergers Netflix-Produktion mit neun Auszeichnungen der erfolgreichste Film beim 73. Deutschen Filmpreis. Als gefühlter Sieger geht jedoch Ilker Çataks Satire ,Das Lehrerzimmer’ aus dem Abend hervor, die die ,Goldene Lola’ gewinnt und seinem Regisseur zudem den Regie-Preis einbringt.“

Was folgt, ist aber Lob genug: „Die Filmpreis-Zeremonie wirkt von Beginn an fokussierter als in den Vorjahren, mit niedrigerem Peinlichkeitsfaktor und einer schlagfertigen Gastgeberin“ Jasmin Shakeri, „streetsmarter, statt wie üblich nur dem großen Glamourversprechen hinterherzujagen.“ Vielleicht auch so entspannt, „weil man sich in diesem Jahr endlich mal nichts beweisen muss“ – „Im Westen nichts Neues“ sei Dank. „Umso erfreulicher ist es dann, dass am Ende ein verhältnismäßig kleiner Film wie ,Das Lehrerzimmer’ von der Filmakademie gewürdigt wird – wo die Schwarmintelligenz der Akademiemitglieder sich gewöhnlich, gerade bei den Hauptpreisen, um einen Film sammelt.“

An der Schwarmintelligenz der Akademiemitglieder (also der Filmschaffenden) hatte der Filmkritiker schon im März gezweifelt, zuvor waren die Kollegen bei „FAZ“ und „Frankfurter Rundschau“ dran. Ein Ritual, das seit fast 20 Jahren gleich abläuft. In diesem Jahr entzündete sich die Entrüstung an der Auswahlliste zum wichtigsten Filmpreis des Landes, wo ein Titel fehlte: Christian Petzolds „Roter Himmel“, der kurz darauf auf der Berlinale den „Großen Preis der Jury“ erhalten hatte. Von „Systemversagen“ schrieb Hanns-Georg Rodek in der „Welt“ [Bezahlschranke] nicht als einziger. Schließlich zeigte sich auch die Deutsche Filmakademie geschockt: „Die Mehrheit der Mitglieder habe sich für ein neues Wahlverfahren ohne Vorauswahl ausgesprochen“, zitierte Deutschlandfunk Kultur kurz vor der Preisverleihung die Akademie-Kopräsidentin Alexandra Maria Lara.

Nun könnte man auch umgekehrt fragen, warum beim wichtigsten Filmfestival des Landes ein Titel fehlte, der kurz darauf vier „Oscars“, sieben „Baftas“ und neun „Lolas“ abräumte. Aber eigentlich geht es um anderes, nämlich die Deutungshoheit über die Filmkunst: Wer versteht die Wunder der Tiefsee besser – der Fischschwarm oder die Ozeanografen? 

Da könnte man auch fragen, wieso die Ozeanografen nicht einfach selber einen Preis verleihen, der es besser macht? Aber halt – das tun sie ja bereits. Seit 2001 gibt es den „Preis der  deutschen Filmkritik“. Und siehe da: Ganz so weit lagen die Vorlieben von Filmschaffenden und Filmkritik bisher gar nicht auseinander.

Trotzdem: Zur Einstimmung auf die Preisverleihung wiederholte Daniel Kothenschulte in der „Frankfurter Rundschau“ noch einmal ausführlich alle Kritik und schimpfte die Akademie als „Lobbyverein der deutschen Filmwirtschaft“. Da hebt auch der letzte Absatz nicht mehr die Stimmung: „All das darf natürlich keinen Schatten auf die vielen herausragenden Künstlerinnen und Künstler werfen, die auch in diesem Jahr zu den Nominierten zählen. Sie haben alles Recht auf eine unbeschwerte Preisverleihung.“ Was er vorher auch noch anmerkte: „Anders als in anderen Filmnationen herrscht in der deutschen Filmbranche eine eher feindselige Haltung gegenüber der Kritik.“

 

Der Deutsche Film hat eh ganz andere Probleme. Daran erinnert Hanns-Georg Rodek in der „Welt“. Zuvor macht er aber erstmal seinem Unmut Luft über einen „Belehrungs- und Bekenntnisabend“, der ihm irgendwie zu „grün“, „vegan“ oder überhaupt weltpolitisch korrekt vorkam: „Und alle kamen sie aufs Tapet, die Ukraine, der Iran, die Türkei; so viele richtige Statements und doch das wachsende Gefühl, den Formeln eines Rituals beizuwohnen. Muss das im Rahmen solch einer Unterhaltungsveranstaltung abgespult werden? […] Die echten Probleme blieben weitgehend außen vor. Senta Berger etwa, erste Präsidentin der Akademie und anlässlich deren 20-jährigem Jubiläum zurück auf der Bühne, lobte die ,Unbedingtheit der Vision des Regisseurs’, die es für herausragende Filme brauche; diese ,Unbedingtheit’ und ihre Durchsetzung ist andererseits häufig eine Ursache für Druck am Set.“

Gerade das war in den zwei Wochen vor der Gala zum Thema geworden, nachdem „Der Spiegel“ von Vorfällen berichtet hatte. Die „Berliner Morgenpost“ brachte denn auch ungewohnte Bilder vom Roten Teppich. In einem Dreiminüter finden Schauspieler*innen deutliche Worte zur Arbeit in der Filmbranche. In ihrer Eröffnungsrede hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine offene Auseinandersetzung angemahnt. „Wir sind hier auch hier, um Probleme deutlich zu benennen: Abhängigkeitsverhältnisse, Machtmissbrauch, tätliche Übergriffe, sexualisierte Gewalt am Set“, sagte sie.

Dass es anscheinend auch besser geht, zeigen die Dankesreden auf der Bühne, die der RBB in einer Bildergalerie gesammelt hat. Gesa Jäger wurde für den besten Schnitt für „Das Lehrerzimmer“ geehrt. Sie dankte „in ihrer emotionalen Rede dem Regisseur Ilker Çatak, dass er den Schnittprozess als gemeinsame Reise begriffen habe.“ Und der Szenenbildner Christian M. Goldbeck, ausgezeichnet für „Im Westen nichts Neues“ dankte seinem Regisseur Edward Berger für die Arbeit „auf Augenhöhe“.

 

Wie erwartet, wurde „Im Westen nichts Neues“ zum großen Abräumer des Abends. „Dass bei diesem Erfolg ausgerechnet der Regisseur Edward Berger leer ausging und der Film in der Hauptkategorie nur die silberne ,Lola’ bekam, war durchaus eine Überraschung. Der Produzent Malte Grunert äußerte in seiner Rede Verständnis: ,Ich weiß, dass unser Film für die Akademie Neuland war, und bedanke mich, dass er trotzdem ausgezeichnet wurde.’ Ohne Netflix sei dieser Film so nicht möglich gewesen, erklärte er am Ende – und hat damit natürlich recht. Vielleicht auch deshalb“, Claudia Reinhard kann es sich in der „Berliner Zeitung“ kaum anders erklären, „kürte die Akademie einen anderen zum besten deutschen Film des Jahres: ,Das Lehrerzimmer’ von dem Berliner Regisseur ?lker Çatak. Der bedankte sich in seiner Rede emotional bei seinem deutschtürkischen Regie-Kollegen Fatih Akin: ,Ich bin mit seinen Filmen aufgewachsen, er war ein Leuchtturm für mich.’“

Weniger überrascht scheint Josef Grübl: „Manchmal sind Kinofilme schon Hits, bevor sie überhaupt angelaufen sind – ,Das Klassenzimmer’ ist so einer.“ In der „Süddeutschen Zeitung“ [Bezahlschranke] stellt er den Produzenten des „Lola“-Erfolgs mit einem Vorspann vor, der jedes Pitching gewinnt: „Vor 40 Jahren kam Ingo Fliess ohne Ausbildung nach München und gründete eine Produktionsfirma. Er durchlebte eine schwierige Zeit, nun hat er mit ,Das Lehrerzimmer’ einen Festival-Erfolg gelandet.“

Nicht der erste übrigens. Seit Februar ist Fliess Professor für „Produktion & Medienwirtschaft“ an der HFF München und sitzt außerdem im Vorstand des Produzentenverbands. Der Produzent drängt auf die lange ersehnte Reform des Filmförderungsgesetzes, berichtet Helmut Hartung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ [Bezahlschranke]: „Mit stärkeren Automatismen sollen Filme schneller, mit weniger Bürokratie und weniger Gremienvorbehalten finanziert werden. Die Filme könnten besser sein, wenn es in Deutschland eine schlankere und unkompliziertere Filmförderung gäbe. Um einen Arthouse-Kinofilm mit einem Budget von drei bis vier Millionen Euro zu finanzieren, benötige man zurzeit zwei Jahre oder länger. Dazu gehörten dann 10 bis 15 Finanzierungspartner.“

Auch Marius Nobach hatte „Das Lehrerzimmer“ schon vorab als mehrfachen Geheimtipp ausgemacht. Im „Filmdienst“ kann er sich freuen: „Der Deutsche Filmpreis widerlegte 2023 eines der häufigen Vorurteile gegen seine Preisauswahl, nämlich dass er in der Entscheidung für den Jahresfavoriten allzu berechenbar sei. Denn die ,Lola’-Verleihung 2023 machte aus dem vermeintlichen Durchlauf am Ende ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das sich erst spät als solches erkennen ließ. Ilker Çataks Schuldrama ,Das Lehrerzimmer’ war zwar hinter ,Im Westen nichts Neues’ mit sieben Nominierungen angetreten, doch mehr als ein solider zweiter Platz schien hinter dem internationalen Überflieger schwer möglich zu sein. […] Am Ende haben die Akademie-Mitglieder schlicht mehrheitlich für denjenigen Film unter den Nominierten votiert, der seine selbstgestellten Ziele am besten umgesetzt hat: Wo ,Im Westen nichts Neues’ das entscheidende Quäntchen fehlt, um aus seinen schonungslosen Blicken auf die Hölle des Ersten Weltkriegs eine filmische Haltung zu entwickeln, die aus ihm mehr als ein formal beachtliches Werk machen würde, hat ,Das Lehrerzimmer’ tatsächlich das Potenzial zu einem deutschen Klassiker. Die feine Abstimmung der Dialoge, das Gespür für die wechselnden Frontlinien innerhalb des Schulkosmos, die pointierte Zuspitzung von Vorurteilen, all das sind Aspekte, die im Kino über das deutsche Bildungssystem in dieser Gewandtheit tatsächlich noch nicht zu erleben waren. Insofern passen die Worte des Filmproduzenten Ingo Fliess, der die ,Gold-Lola’ für ,Das Lehrerzimmer’ entgegennahm, ausgesprochen gut: ,Wir brauchen Strukturen, in denen kreative Freiheit belohnt wird und Innovation möglich ist.’ […] Vor allem die gekürten Teammitglieder von ,Im Westen nichts Neues’ wie auch ,Das Lehrerzimmer’ betonten immer wieder, wie sehr die jeweiligen Drehs von einer ,Arbeit auf Augenhöhe’, von Neugier und gegenseitigem Respekt geprägt gewesen sei. Auch der an sich vertraute Dank an das Vertrauen der Produzenten in ihre Projekte hatte einen nachdrücklicheren Tonfall als in anderen Jahren, nachdem unlängst auf dem Kongress ,Zukunft Deutscher Film’ zahlreiche junge Filmschaffende eine allgemeine Scheu der Branche vor innovativen Ideen beklagt und einen ,Appell des jungen deutschen Films’ unter dem Motto ,Angst essen Kino auf’ aufgesetzt hatten.“ 

Auch Stefan Stosch findet beim Redaktionsnetzwerk Deutschland interessant, „was viele Preisträger auf der Bühne über ihre Regisseure zu sagen wussten. Sie hätten den Mitarbeitern einen Schutzraum und künstlerische Freiheit gewährt, sich stets kollegial verhalten und auf steile Hierarchien verzichtet. Stets habe man das Vertrauen der Chefs in die eigene Kreativität gespürt. Zu einer Ersatzfamilie sei das Team im Laufe der Dreharbeiten zusammengewachsen. […] Es war an Ehrenpreisträger Volker Schlöndorff, die wolkigen Forderungen nach einem ,Code of Conducts’ zu erden: ,Anstand und ein ordentlicher Umgang mit Menschen sollten genügen’, sagte der 84?Jährige.“

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