Von Kunst und Verantwortung

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Einige der Figuren hat es wirklich gegeben, die Handlung ist erfunden: Mit Texttafeln weist die Serie „Eldorado KaDeWe“ drauf hin, dass die Kunst hier Fiktion und Fakten vermischt. Doch die Hertie-Stiftung stört sich an einer Tatsachenbehauptung: Ihr Stifter habe sich unter den Nazis bereichert. | Foto © ARD Degeto/Dávid Lukács

Ist die Serie „Eldorado KaDeWe“ rufschädigend? Das fand zumindest John-Philip Hammersen, Geschäftsführer der Hertie-Stiftung, und bescherte sich bei der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. Anlass für eine Podiumsdiskussion zur Aufarbeitung der Geschichte.

An Weihnachten hatte sich die ARD etwas getraut. Die Miniserie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ erzählt eine lesbische Liebesgeschichte in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Die Charaktere sind teils erfunden, teils echt – das berühmte Kaufhaus gibt die Kulisse, hinter der immer wieder auch Stadtansichten von heute auftauchen. 

Ärger gab’s aber nicht wegen der künstlerischen Freiheit, mit der Julia von Heinz hier inszenierte. Das Gegenteil ist der Fall, schildert der Historiker Moritz Hoffmann bei „Übermedien“: Eine der vier Hauptfiguren ist der Kaufhausmanager Georg Karg, und den gab es wirklich. „Karg war der materielle Gewinner der ganzen Geschichte: Als die jüdischen Eigentümer der auch das KaDeWe umfassenden Kaufhausgruppe in den 1930er Jahren aus der eigenen Firma gedrängt wurden, übernahm Karg nach und nach die Anteile an dieser Hertie GmbH und wurde so zum Kaufhausmagnaten der Bonner Republik. Dass Karg aus dem Nationalsozialismus persönlichen und bis in die Bundesrepublik fortwährenden wirtschaftlichen Vorteil gezogen hat, wird aus der Serienhandlung nicht eindeutig klar, kann aber auch nicht einfach ignoriert werden. Vermutlich deshalb ließ Regisseurin Julia von Heinz ganz am Ende der Serie, vor dem Abspann, mehrere Texttafeln einblenden, die das weitere Leben der vier Hauptpersonen skizzieren. Zwei davon sind insgesamt 16 Sekunden lang zu sehen: ,Georg Karg übernimmt das ganze Tietz-Imperium und entschädigt die Familie nach 1945 mit einer geringen Summe.‘ – ,Sein Vermögen fließt in die Hertie-Stiftung. Diese behinderte lange die Offenlegung ihrer Profite aus der Enteignung und Arisierung. Eine weitere Studie zur Aufarbeitung wurde 2020 in Auftrag gegeben.‘“

Der Geschäftsführer der Hertie-Stiftung, John-Philip Hammersen, hatte sich unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen persönlich bei der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl gemeldet und beklagte „rufschädigende Tatsachenbehauptungen“, die „einen unhaltbaren Bezug zur heutigen Wirklichkeit herstellen.“ Eine Entfernung der Texttafeln habe allerdings nicht zur Debatte gestanden. „Die ARD-Filmtochter Degeto als redaktionell verantwortliche Stelle gab diesem Ansinnen nach Rücksprache mit den Produktionsfirmen und der Regisseurin nicht nach. […] Viel wird davon abhängen, wie die Angelegenheit weitergeht: Bislang hat die Stiftung keine rechtlichen Schritte eingeleitet oder angekündigt. Dafür werden sich die Parteien an anderer Stelle treffen:“ Vorigen Mittwoch hatte die „Her.tietz“-Initiative, eine Gruppe Studierender und Alumni der Hertie School, zur öffentlichen Diskussion über Serie und Unternehmensgeschichte eingeladen. 

Im Livestream (nachzusehen bei Youtube) diskutierten Hammersen, von Heinz und andere über die „Aufarbeitung deutscher Geschichte zwischen Kunst und Verantwortung“.  

In der „Süddeutschen Zeitung“ berichtet Willi Winkler „über eine aufschlussreiche Diskussion an der Schnittstelle von Kunst und Unternehmensinteressen“: „Die Hertie-Stiftung wurde von Georg Karg 1953 mit einer runden Milliarde Mark ausgestattet. Aber wo kam es her, das schöne Geld? Am Ende der Serie ist auf einer Texttafel zu lesen: ,Georg Karg übernimmt das ganze Tietz-Imperium und entschädigt die Familie nach 1945 mit einer geringen Summe.‘ […] Die Bundesrepublik hat sich sehr früh einen Mythos zugelegt und dann viele Jahrzehnte daran festgehalten, weil er zu schön war und deshalb auch unbedingt wahr sein musste. Diese Geschichte geht nur unwesentlich vereinfacht so: Nach dem verlorenen Krieg waren alle gleich arm, spuckten in die Hände, räumten die Trümmer weg und bauten jedenfalls Westdeutschland wieder auf. Bei der Währungsreform bekam jeder vierzig Mark, also hatten alle gleich viel und schufen mit Hilfe der D-Mark und der erwähnten fleißigen Hände gemeinsam das Wirtschaftswunder. Es dauerte lange, bis durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt war, dass Familien wie die Flicks und die Quandts ihre Kriegsgewinne in satte Friedensdividenden ummünzen konnten. Die gegenwärtige Freude des Fernsehens an zeitgeschichtlichen Stoffen rührt auch an diese Geschichte. Wenn es Julia von Heinz vor allem darum geht, Georg Karg, der eine Hauptrolle bei ihr spielt, ,als Mensch zu begreifen‘, geht es für die von ihm gegründete Stiftung nicht um Kunst, sondern um Verantwortung, von der sie bis vor Kurzem noch nicht viel wissen wollte. In der Diskussion wurde beiläufig erwähnt, dass die Erforschung der eigenen Geschichte erst intensiviert wurde, nachdem sich Studierende der Hertie School an die ,Süddeutsche Zeitung‘ gewandt hatten.“

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