Echt übergriffig – eine Umfrage unter Schauspieler*innen 

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Wenn’s vor der Kamera intim wird, geht es oft nicht sehr professionell zu, finden die meisten Schauspieler*innen in einer Befragung. Intimitätskoordinator*innen am Set halten die meisten für sinnvoll. Szenenfoto aus „Uhrwerk Orange“ (1971). | Foto © Warner Bros.

Der Bundesverband Schauspiel hatte Kolleg*innen nach ihren „Erfahrungen mit Nacktheit und simuliertem Sex“ befragt. Die Antworten zeichnen kein gutes Bild von der Branche.

Auf dem Münchener Filmfest hatte der Bundesverband Schauspiel (BFFS) am Donnerstag einen neuen Beruf vorgestellt: „Intimacy Coordinating und die Professionalisierung der Darstellung von Intimität“. Die Aufzeichnung ist im Youtube-Kanal des BFFS zu sehen. 

Bei der Veranstaltung stellte der Verband auch die Ergebnisse einer Umfrage vor. Der BFFS hatte Kolleg*innen nach ihren „Erfahrungen mit Nacktheit und simuliertem Sex“ befragt, die Daten wurden am Institut für Medienforschung der Universität Rostock ausgewertet, das auch hinter den Diversitätsstudien der Malisa-Stiftung und den Diversitätsberichten des Regieverbands steht.

Dem BFFS hatten 417 Schauspieler*innen geantwortet. Neunmal so viele Mitglieder hat der Verband nach eigenen Angaben – so richtig „repräsentativ“ sind die Ergebnisse also nicht. Sie zeichnen gleichwohl ein Bild der Branche („die Ergebnisse sind binär, da nur wenige non-binäre Personen unter den Befragten waren und so kein auswertbares Sample geschaffen werden konnte“, wird eingangs erklärt). „Die Ergebnisse sind ernüchternd, nein, sie sind erschütternd“, schreibt Joachim Huber im „Tagesspiegel“.  

Die Mehrheit der Schauspieler*innen hat selten oder nie das Gefühl, dass Mitarbeiter*innen für den professionellen Umgang mit Intimitätsszenen oder Szenen mit sexualisierter Gewalt geschult sind. So geht es 71,7 Prozent der Frauen und 59,3 Prozent der Männer, die antworteten. Die große Mehrheit aller Befragten (75,7 Prozent der Frauen und 88,3 Prozent der Männer) hatte bisher keine schriftlichen Regelungen zu intimen Szenen und Nacktheit. Nur ein Viertel der Schauspielerinnen und ein Drittel der Schauspieler fühlen sich über den Ablauf von Intimitätsszenen rechtzeitig aufgeklärt. Und nur 10 Prozent der weiblichen und 16 Prozent der männlichen Befragten findet, dass die Regie im Umgang mit Intimitätsszenen geschult ist. Auch in der Ausbildung komme das Thema zu kurz. 4 von 5 Befragten vermissten etwa Angebote, um persönliche Grenzen für die Darstellung von Intimität, Nacktheit und sexualisierter Gewalt herauszufinden. Den Einsatz von Intimacy Coordination finden fast 9 von 10 Schauspielerinnen und knapp 8 von 10 Schauspielern sinnvoll. 

Frauen sind erheblich stärker betroffen. Das ist keine Überraschung, aber es verblüfft doch, wie schlicht die Kreativwelt mitunter tickt: „An mehr als die Hälfte der Schauspielerinnen wurde beim Casting für einen Spielfilm beziehungsweise ein Theaterstück die Bedingung gestellt, eine Szene nackt oder teilweise nackt zu spielen, bei den Schauspielern war es ein Drittel.“ 20 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer sollten beim Casting schon mal ohne Absprache intime Szenen spielen.  

Vollständiger wird das Bild durch die Antwort auf eine andere Frage: Fast 70 Prozent  der Schauspielerinnen und rund 35 Prozent der Schauspieler haben Angst, als schwierig zu gelten, wenn sie Details der Darstellung von Intimität, Nacktheit oder sexualisierter Gewalt nicht oder nur zu bestimmten Bedingungen zustimmen würden.

Die weiteren Ergebnisse verdüstern den Eindruck weiter: 

# 4 von 5 Frauen und etwa die Hälfte der Männer haben im Beruf Erfahrungen mit Grenzverletzungen, sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt gemacht. 

# Bereits während der Ausbildung haben 1 von 3 Schauspielerinnen und etwas mehr als ein Sechstel der Schauspieler bei der Darstellung von Intimität, Nacktheit und sexualisierter Gewalt Grenzüberschreitungen erlebt. 

# Im Rahmen der Darstellungen von Intimität, Nacktheit oder sexualisierter Gewalt haben über die Hälfte der weiblichen Befragten mindestens einmal Grenzverletzungen erfahren, ebenso mehr als ein Fünftel der männlichen Befragten.

Auch nach den Gründen für die „Schweigekultur“ wurde gefragt: Jede zweite Schauspielerin und jeder fünfte Schauspieler hat Angst, keine Arbeit mehr zu bekommen, falls sie sich zu einem Vorfall äußern würden. Immerhin: „4 von 5 der Befragten stimmen nicht zu, dass solche Vorfälle zur Branche gehören und hingenommen werden müssen.“ Andersherum gesagt: Ein Fünftel findet das doch. Das aber ist sicherlich kein Lob für die Branche.

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