Der ewig Radikale. Zum Tod von Jean-Luc Godard.

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Jean-Luc Godard in seinem Film „Schütze deine Rechte“ (1987). Mit seinem Debüt brach er alle Regeln des Kinos und machte auch später, was er wollte. Mit 91 Jahren ist der Mitbegründer der Nouvelle Vague freiwillig aus dem Leben geschieden: „Er war nicht krank, er war erschöpft“. | Foto © J.L.G Films

Mit seinem Spielfilmdebüt hatte Jean-Luc Godard dem Kino eine neue Freiheit verliehen. Am Dienstag ist der Mitbegründer der Nouvelle Vague mit 91 Jahren verstorben.

Jean-Luc Godard ist tot. Der Filmemacher starb am Dienstag im Alter von 91 Jahren. Wie die Zeitung „Libération“ [auf Französisch] meldete, hatte er Sterbehilfe in Anspruch genommen: „Er war nicht krank, er war erschöpft.“ 

„Das Kino soll Trauer tragen!“ fordert Patrick Straumann in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Kein anderer Regisseur hat die filmische Sprache so radikal mit ihren eigenen Möglichkeiten und Grenzen konfrontiert. Seit seinen Anfängen als Mitgründer der avantgardistischen Bewegung Nouvelle Vague brach Godard alle nur erdenklichen stilistischen, grammatischen und dramaturgischen Regeln des Films. In einem sechs Jahrzehnte dauernden Werkprozess hat er einen zerklüfteten, von brillanten Intuitionen, ästhetischen Wüsten und Meisterwerken durchzogenen Filmkatalog aufgebaut, der weder auf Modellen beruht noch auf Nachfolge zählen kann. Weit über 100 Titel umfasst sein Filmverzeichnis.“ 

Einfacher sagt es Daniel Kothenschulte in der „Frankfurter Rundschau“: „Man kann die Filmgeschichte in einem Satz erzählen: Es gibt ein Kino vor Godard und eines seit Godard. […] Als der erfolgreiche Filmkritiker 1960, mit 30 Jahren, seinen ersten Langfilm ,Außer Atem’ zeigte, verpasste er dem Medium einen Kulturschock, von dem es sich nicht mehr erholen sollte. […] Auch vor ,Außer Atem’ hatte es Autoren- und Künstlerfilme gegeben, in Frankreich fand sich damals mit Jean Cocteau eine lebende Legende in diesem Metier. Aber Godard verstand sich nicht als Filmpoet für den Kunstkontext. Sein Debüt war ein Genrefilm, ein Krimi und eine Liebesgeschichte, geboren nicht aus Opposition zum Unterhaltungsfilm, sondern aus der Lust daran. Indem Godard die Kulissen des Studiokinos zum Einsturz brachte, befreite er die Sinnlichkeit, die stets die Attraktion des Mediums gewesen war.“ 

In der Tageszeitung „Le Monde“ [auf Französisch] erinnert Jacques Mandelbaum an diesen Moment: „Das Wesentliche liegt anderswo: in der erschütterten Kunst der Montage, in der wiedergewonnenen Freiheit der Körper, der Sprache und des Geistes, im stolzen Auftreten eines selbstgebastelten und inspirierten Kinos, das an einem Tag um hundert Jahre jünger zu sein scheint. […] ,Außer Atem’ ist mehr als der Vorgängerfilm, Truffauts ,Sie küssten und sie schlugen ihn’, der Eröffnungsfilm der Nouvelle Vague, weil er die Form erfindet, die dem innovativen Geist der Bewegung am besten entspricht, und weil er den Aufstieg einer Jugend feiert, die zur gleichen Zeit ihre Werte entdeckt und in der französischen Gesellschaft durchsetzt.“ 

Der Film war „tatsächlich eine Gründungsurkunde des modernen Kinos“, findet im „Standard“ auch der Godard-Biograf Bert Rebhandl. „Im 20. Jahrhundert galt das Kino für eine Weile als die siebente und auch als die letzte Kunst: ein technisches Medium, das Literatur, Theater, Malerei, Skulptur, Musik in sich aufnahm und zu einem Gesamteindruck verband. So richtig ernst hat diesen Anspruch allerdings kaum einmal jemand genommen – mit einer großen Ausnahme: Jean-Luc Godard hat Filmkunst in genau diesem Sinn gemacht, als Gesamtkunst seiner Epoche. Und er blieb damit nicht im 20. Jahrhundert stecken, sondern machte sich bald auf die Spur der Elektronisierung, später der Digitalisierung seiner Kunst.“ 

Nach „Außer Atem“ sah es so aus, „als könnte er, der Außenseiter, ins Zentrum der Filmindustrie vorstoßen. Zumindest drehte er mit einigen der größten Stars. […] Das hochgradig Selbstreflexive dieser Filme irritierte aber nicht nur das breite Publikum“, schreibt Gregor Dotzauer im „Tagesspiegel“. „Spielfilmorientiertes Frühwerk hin, essayistisches Spätwerk her: Godard drehte Filme, wie andere Gedichte schreiben: auch im ständigen Abbrechen und Zertrümmern von Zusammenhängen formbewusst und auf ein Ganzes aus. […] Seine Methode kam einer Masche oft gefährlich nahe. Es steckt von daher auch etwas Gleichmacherisches in Godards wilden Überlagerungen von Bild, Schrift und Ton, bis hin zu seinem letzten großen Essayfilm ,Bildbuch’ im Jahr 2018.“ 

Auch Ekkehard Knörer kommt in der „Taz“ nur schwer an den berühmteren ersten Werken vorbei. Doch die Zeit danach weiß er ebenfalls ausführlich zu schätzen: „Vom Kino als bürgerlicher Institution hatte sich Godard damit allerdings verabschiedet, er drehte auf Video, filmte Revolutionäre im Gras, brachte obskur Linientreues aus Prag mit, ließ sich, um es für seine revolutionären und auch pädagogischen Zwecke zu kapern, mit dem Fernsehen ein. Das war alles durchaus faszinierend, auch in den Sackgassen noch, in die Godard sich mit hohem Tempo begab, ist aber teils bis heute schwer greifbar, ein größeres Publikum hat nichts davon je erreicht.“ 

Seine Filme sorgten immer wieder für Aufregung, oft aber auch für Ratlosigkeit: Im „Spiegel“ schildert die Kulturredaktion ihre schönsten und härtesten Stunden mit dem „Avantgardist, Provokateur, Nervensäge“ und seine „unverzichtbaren Filme“.

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