Tarifverhandlungen: „Tarifvertrag ist Goldstandard der Branche“ 

,

„Produzieren in Corona-Zeiten ist für alle Beteiligten ein Produzieren unter erschwerten Bedingungen“, sagt Christoph Palmer, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen. | Foto © Produzentenallianz

Die Branche verhandelt zurzeit über einen neuen Tarifvertrag. Bislang noch ohne Ergebnis. Wir nutzen den Stillstand, um die Positionen, Probleme und Folgen zu klären. Den Standpunktder Produzentenallianz erklärt Christoph Palmer, Vorsitzender der Geschäftsführung.

Herr Palmer, Die Verhandlungen zum TV FFS stehen still. Die Produzentenallianz habe die Forderungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) abgelehnt und will den alten Tarifvertrag um ein Jahr verlängern. Das erfahren wir von Verdi. Die Produzentenallianz hat sich noch nicht dazu geäußert. Warum?
Die Verhandlungen stehen mitnichten still. Wir hatten erst vor Ostern wieder eine gute, substanzielle Verhandlungsrunde und werden diese zeitnah fortsetzen. Wir sind In der Regel zurückhaltend, was die Verlautbarung von Zwischenergebnissen von Verhandlungen betrifft, weil das häufig nichts erleichtert.

Verdi ist mit relativ zahmen Forderungen angetreten: Die Frage nach höheren Gagen stellte die Gewerkschaft bis zum Sommer zurück. „Top-Priorität“ sollten erträgliche Arbeitszeiten haben. Da ist Ihnen doch Verdi sehr entgegengekommen.
Hier sollte man differenzieren. Die Forderungen im Kontext des Gagentarifvertrags halte ich für „verantwortungsvoll“, da sie die finanziell durch Corona sehr belasteten Produktionsunternehmen mit einem Gagenmoratorium etwas entlasten. Es gab in den vergangenen Jahren zudem eine Art Konsens im deutschen Filmgeschäft: Flexibilität der Arbeitszeiten werden durch insgesamt gute Verdienste für die Gewerke am Film kompensiert. Wenn nach einem ausgesprochenen Corona-Krisenjahr 2020, wo insbesondere im zweiten Quartal die Produktionen massiv beeinträchtigt waren, jetzt beim Gagentarifvertrag eine gewisse Zurückhaltung geübt wird, ist das auch der Marktsituation geschuldet. Vergleichbare corona-bedingte Zurückhaltung haben andere Gewerkschaften 2020 auch in anderen Branchen geübt. Demgegenüber sind allerdings die Forderungen im Bereich des Manteltarifvertrags sehr ambitioniert und würden, wenn man sie realisieren würde, zu Mehrkosten führen, die einer Tariferhöhung von mehr als 10 Prozent gleichkämen.

Über die Arbeitszeiten an manchen Sets wurde ja schon vor Corona diskutiert. Nun wird unter den Hygienevorschriften gedreht, die vieles langsamer und umständlicher machen. Ausreichende Ruhezeiten und die Obergrenze von zwölf Arbeitsstunden pro Tag seien da umso wichtiger, sagt Verdi.
Produzieren in Corona-Zeiten ist für alle Beteiligten ein Produzieren unter erschwerten Bedingungen. Die Hygienevorschriften verlangen den Filmschaffenden, aber auch den Produzentinnen und Produzenten viel ab. Der bisherige Tarifvertrag regelt natürlich auch Ruhezeiten, im Übrigen auch die gesetzlichen Vorschriften. An dieser Stelle muss aber auch erwähnt werden, dass die Produktionen unter erheblichem Kostendruck stehen. Die Auftraggeber haben sich zwar zur Übernahme der Hygienekosten verpflichtet, in der Praxis tauchen aber Abgrenzungsthemen auf.
Zusätzliche Drehtage sind in der Kalkulation schwer vermittelbar. Die erfreulicherweise erreichten Schutzschirme der Sender und die Ausfallfonds für Kino und Fernsehproduktionen sehen erhebliche Eigenbeteiligungen der Produzentinnen und Produzenten vor. Die Eigenkapitaldecke Ist jedoch traditionell sehr dünn. Wie gesagt: Produzieren in Corona-Zeiten findet unter sehr erschwerten Bedingungen statt.

Die Krise trifft alle. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen sogar verkraften, dass der Rundfunkbeitrag nicht erhöht wurde. Trotzdem halten einige ARD-Sender an versprochenen Honorarsteigerungen fest. Für den Öffentlichen Dienst hat Verdi im Herbst eine Lohnsteigerung verhandelt, die zumindest die zu erwartenden Inflationsraten ausgleicht. Viel mehr gab es auch nicht im jüngsten Tarifvertrag für die Film- und Fernsehschaffenden. Nun will die Gewerkschaft sogar auf den Inflationsausgleich verzichten. Das heißt, nach Kaufkraft würden die Film- und Fernsehschaffenden sogar weniger verdienen als bisher. Stattdessen geht es ihr allein um Arbeitszeiten. Was stört Sie daran?
Wir haben in der Produktion zurzeit immensen Nachholbedarf. Viele Projekte mussten im vorigen Jahr pausieren, andere wurden abgebrochen oder verschoben.  Erst in der zweiten Jahreshälfte kam das allmählich wieder in Gang, im vierten Quartal waren wir mit Hochdruck am Produzieren. Und da kündigte Verdi den Tarifvertrag und kam mit Forderungen nach Arbeitszeitverbesserungen, wo die Produktionen gerade wieder in Fahrt kamen. Das ist vielleicht auch ein Grund, dass sich die Verhandlung verhakt hatten. Hier hatten wir schon etwas Entgegenkommen erwartet. Und was Ihre Anmerkung zum Öffentlichen Dienst angeht: Dieser ist von den Auswirkungen der Pandemie keinesfalls so betroffen wie unsere Branche und daher nicht unbedingt ein Maßstab. 

Die Arbeitszeiten waren ja in jeder Tarifrunde ein großes Streitthema. Inzwischen gelten zwölf Stunden am Tag als Obergrenze – Ausnahmen möglich. Und selbst dagegen hatte sich die Produzentenallianz lange gewehrt. Nach jedem Tarifabschluss der vergangenen zwölf Jahre betonte sie, wie wichtig „flexible Arbeitszeiten“ seien, weil nur so der deutsche Film gegenüber „den USA oder vielen europäischen Ländern“ wettbewerbsfähig bleibe mit seinen „im internationalen Vergleich hohen Produktionskosten. Bloß: in den USA sind die Regelungen besonders streng und die Produktionskosten braucht man gar nicht erst zu vergleichen. Und im benachbarten Filmland Frankreich, wo die Budgets gleich groß sind wie in Deutschland, arbeiten Filmschaffende weniger und verdienen mehr. Ein Erster Kameraassistent rechnet in Deutschland mit einer 50-Stunden-Woche, seine französische Kollegin hat da eine Arbeitszeit von 39 Stunden. Das macht laut Gagentabelle einen Stundenlohn von 32,77 Euro in Frankreich gegenüber 27,20 Euro in Deutschland.
Die Flexibilität bei den Arbeitszeiten ist ein zentrales Argument dafür, dass in Deutschland überhaupt gedreht wird, und dass internationale Produktionen hier drehen. In vielen anderen Ländern gibt es völlig unterschiedliche Fördermodelle, steuerliche Optionen, auch die Lebenshaltungskosten variieren von Land zu Land. Die Filmförderung und die steuerlichen Möglichkeiten in Deutschland hinken vergleichsweise hinterher. Also warum ist der DFFF so erfolgreich? Wegen dieser Flexibilität bei den Arbeitszeiten. Das verlangt den Beschäftigten sicherlich Kompromissbereitschaft ab.
Andererseits sind viele zurzeit ohne Beschäftigung – wir brauchen also ausreichend Projekte, darum sollte jeder Interesse daran haben, dass produziert wird. Und vergleicht man die Handwerke in den verschiedenen Filmgewerken mit denen in anderen Branchen, können sich die Einkommen in unserer Branche durchaus sehen lassen. So sind die Realgagen in der Regel höher als die Tarifgagen, ein gutes Beispiel dafür sind Kameraassistenten. 

Verdi hat der Produzentenallianz ein Ultimatum gestellt: Bis zum 31. März stehe man noch für „intensivierte Verhandlungen, im Sinne von echter Suche nach Kompromissen zur Verfügung. Und jetzt? Suchen Sie schon nach Kompromissen?
Wir verhandeln konstruktiv und ergebnisorientiert. Ein Ultimatum ist da nicht hilfreich. Die Forderungen liegen ja auf dem Tisch. Verdi will zum Beispiel zwei Ruhetage pro Drehwoche und Zuschläge einführen beziehungsweise ausbauen. Wir haben für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen bereits einen Zuschlag von 50 Prozent, für die Samstage nicht. Darüber wird intensiv debattiert, das ist kein Geheimnis.

Wenn kein neuer Tarifvertrag geschlossen wird, gilt unter anderem das Arbeitszeitgesetz. Das heißt maximal zehn Stunden am Tag, feste Ruhepausen, freie Wochenenden und kaum Überstunden. Das wäre eine weit größere Einschränkung als das, was Verdi fordert.
Auch bei einem ausgelaufenen Tarifvertrag gibt es eine Nachwirkung. Gleichwohl sind wir – wie auch in der Vergangenheit – am Abschluss von Tarifverträgen sehr interessiert. Sie geben Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Arbeitnehmer wie Unternehmer partizipieren an der freien Aushandlung von Kompromissen. Es ist immer ein Abwägen, ein Geben und Nehmen. Die Sozialpartnerschaft in Deutschland hat sich bewährt, auch im Film. Und wir wissen selbstverständlich, dass flexible und vernünftige Arbeitszeiten für uns Arbeitgeber ein hohes Gut darstellen.

Die Produzentenallianz vertritt rund 270 Produktionsunternehmen. Gut drei Viertel davon „orientieren“ sich am Tarifvertrag, haben Sie in der „Produzentenstudie 2018“ geschrieben. „Orientieren“ ist ein ziemlich weiter Begriff. Wie viele ihrer Mitglieder sind denn tatsächlich an den Tarifvertrag gebunden, den die Produzentenallianz aushandelt?
Wir führen darüber keine Statistik und haben das auch nicht in unserem Aufgabenkatalog. Richtig ist jedenfalls, dass nur ein Teil der Verbandsmitglieder tarifgebunden ist und nur dieser Teil auch verpflichtet ist, den Tarifvertrag einzuhalten. Nicht tarifgebundene Unternehmen orientieren sich zwar ebenfalls am Tarifvertrag, allerdings unterschiedlich: Sie dürfen nicht außer Acht lassen, dass die Film- und Fernsehproduktionswirtschaft in Deutschland weit überwiegend von kleinen und mittleren Betrieben geprägt ist. Als Beispiel: Eine nicht tarifgebundene Doku-Firma, die mit kleinen Budgets und Teams arbeitet, tut sich da nachvollziehbarerweise eher schwerer als ein großer Fiction-Produzent.

Bei den Gagen orientieren sich 72 Prozent ihrer Mitglieder am Tarifvertrag, bei den Arbeitszeiten sogar 79 Prozent, hatten sie in der „Produzentenstudie 2018“ ermittelt. Diesen Unterschied sollte es aber gar nicht geben, weil Tarifverträge ganz oder gar nicht gelten. 2018 haben Verdi und Produzentenallianz sogar eine Klausel eingefügt, die diese Selbstverständlichkeit nochmal festschreibt. Ich kann die Frage leider nur so formulieren: Was läuft hier falsch?
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Es ist doch höchst eindrucksvoll, dass nach den Ergebnissen der Produzentenstudie mittlerweile der Tarifvertrag der Goldstandard ist, an dem sich der weit überwiegende Teil der Produktionsbetriebe orientiert. Das war vor zehn Jahren sicher noch anders. Da haben wir als Tarifpartner offenbar vieles richtig gemacht. 

Es müsste doch auch im Interesse der Produzentenallianz liegen, wenn im Wettbewerb ein verbindlicher Standard für alle gilt und nicht nur zur Orientierung  dient. Bei einigen Länderförderungen ist die Einhaltung von Tarifvereinbarungen oder entsprechendem bereits ein Förderkriterium. Verdi und andere fordern das auch für die Förderungen des Bundes. Manche wollen sogar den TV FFS für allgemeinverbindlich erklären. Dann würde er für alle in der Branche gelten – ob tarifgebunden oder nicht.
Zunächst mal muss auch die Heterogenität der Branche Betrachtung finden, von Firmengröße bis Genre. Die Allgemeinverbindlichkeit hat Vorteile, es muss aber beispielsweise auch beachtet werden, dass etwa im Bereich des Dokumentarfilms, wo sich Hunderte von kleinen Produzenten bewegen, damit sehr hohe Standards verbunden sind, die in diesem Bereich kaum zu erfüllen sind. Dokumentarfilmer müssen oftmals mit geringen Budgets und Förderungen arbeiten, da setzt der Tarifvertrag hohe Standards. Für größere Betriebe ist die Tariftreue wiederum kein Problem. Und die halten sich auch in allen Bereichen daran – mit Augenmaß.  

Kurz vor Corona klagte die Branche über ein massives Personalproblem. Menschen wandern in andere Branche ab, es mangelt an Fachkräften und an Nachwuchs. Fragt man Verdi oder auch die Filmschaffenden selbst, erhält man meist dieselbe Antwort: Es liegt an den Arbeitsbedingungen, vor allem den Arbeitszeiten, der Familienfeindlichkeit und der immer noch weiter verbreiteten unfairen Bezahlung. Schließt sich hier nicht ein Kreis?
Der Film ist nach wie vor als Berufsfeld hochattraktiv. Junge Menschen studieren die Filmfächer unverändert mit hoher Nachfrage, die handwerklichen Gewerke erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit. Vor Corona war der Fachkräftegewinn aber in der Tat ein bedeutsames Thema. Gegen einen Nachwuchsmangel bei den Produktionsberufen arbeiten wir schon seit 2012 mit PAIQ, unserer „Produzentenallianz-Initiative für Qualifikation“, an. Die begleitet Volontariate mit einem Seminarprogramm, bietet Workshops zur Weiterbildung im Bereich Produktion an und ist inzwischen ein fest etablierter Akteur im Bereich der Ausbildung. Andere Firmen aus unserer Branche haben etwa zusätzliche Studien angeregt, es werden neue praxisorientierte Studiengänge an Fachhochschulen angeboten, neue Einrichtungen entstehen, denken sie an die praxisorientierte Akademie in Görlitz.
Die Attraktivität unserer Filmberufe kommt durch einen Mix zustande, es ist nicht alleine die Bezahlung, es sind auch die Lust an der Mitwirkung am spannenden Projekt, die Begegnung mit interessanten Kolleginnen und Kollegen, die Faszination des Genres Film und anderes mehr. Im Übrigen halte ich es nicht für besonders praxisnah, zu glauben, dass die meisten Filmschaffenden ganzjährig beschäftigt sind oder sein wollen. Wir sind nun mal ein Projektgeschäft und da sind die Realitäten oftmals die: Zwischen zwei Projekten gibt es eine Pause, auf eine höchstintensive Arbeitsphase folgt eine Phase ohne Arbeit. Diese kann aus Sicht der Betroffenen auch viel zu lange dauern. 

1 Kommentar
  1. David sagte:

    Es ist nicht so, dass sich Produktionen am Tarifvertrag orientieren um von den flexiblen Arbeitszeiten die dieser ermöglicht zu profitieren. Ansonsten würden die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes gelten.
    Es klingt wie ein Hohn wenn Herr Christoph Palmer sagt, dass „flexible und vernünftige Arbeitszeiten für uns Arbeitgeber ein hohes Gut darstellen“.
    Falls eine 60-70 Stunden Woche (hinzu kommen häufig noch An.- und Abfahrt zum Set) für ihn vernünftig ist, dann sind ihm offensichtlich die Gesundheit und die familiären Verhältnisse seiner Arbeitnehmer*innen egal.
    In anderen europäischen Länder gilt die Prämisse, Freitags pünktlich Drehschluss zu machen damit die Crew rechtzeitig bei ihren Familien sein kann. Das ist vernünftig denn nur so kann neben dem Job auch ein intaktes Familienleben funktionieren was wiederum ein motiviertes Arbeiten ermöglicht.
    Ganz davon abgesehen besteht im Moment, entgegen den Aussagen von Herrn Palmer, Personalmangel in allen Departments da sich viele Produktionen aufgestaut haben.
    Es ist also an der Zeit das sich die Produzent*innenallianz ihrer sozialen Verantwortung bewusst wird und den Forderungen der Gewerkschaft und Arbeitnehmer*innen zustimmt.

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Noch nicht registriert? Als eingeloggter User wird Ihr Name automatisch übernommen.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte lösen Sie diese Aufgabe, bevor Sie den Kommentar abschicken.
Dies dient dem Schutz vor Spam.

Was ist 8 addiert zu 8?