Tarif ohne Biss

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Zuschläge nun auch am Samstag, alle zwei Wochen ein freies Wochenende, aber nicht unbedingt am Wochenende. Der neue Tarifvertrag ist da. Szenenfoto aus „We Want Sex“. | Foto © Tobis

Der Fortschritt kommt in ganz, ganz kleinen Schritten. Bei den Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag standen die Arbeitszeiten im Mittelpunkt. Mehr Geld gibt’s erst im nächsten Jahr. Vielleicht. 

Fünf Monate hatten sie verhandelt, diese Woche haben sich die Produzentenallianz und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) auf einen neuen Tarifvertrag für „auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende“ (TV-FFS) geeinigt. Am 1. September soll er in Kraft treten. „Blickpunkt Film“ hat die Ergebnisse zusammengefasst.

Von einem „Kompromisspaket“ und „gutem Abschluss“ spricht die Produzentenallianz, Verdi von „Fortschritten“. Auch wenn gleich darauf „bessere Arbeitszeitregelungen, längere Ruhezeiten sowie neue und höhere Zuschläge bei Wochenendarbeit“ aufgezählt werden – so richtig freudig klingt das nicht. 

Zuerst mal: Es ging nicht ums Geld. Die Honorar- und Gegenfrage hatte Verdi gleich zurückgestellt. Darüber soll erst ab September verhandelt werden. Mehr Geld, wenn überhaupt, gibt’s erst im nächsten Jahr. Was heißt: abzüglich der Inflationsrate verdienen Filmschaffende in diesem Jahr weniger.   

Im Mittelpunkt standen für Verdi die Arbeitszeiten: „ein geschütztes Wochenende beziehungsweise eine Fünf-Tage-Woche sowie ausreichend Ruhezeiten im Drehprozess.“ Zeit statt Geld – zu diesem Verhandlungsansatz hätte eine Tarifumfrage unter Filmschaffenden im Herbst geführt, hatte Verdi-Verhandlungsführer Matthias von Fintel im Interview erklärt. Dass die Arbeitszeiten (oder besser: deren Handhabung) nicht gerade familienfreundlich sind, zeigte sich in den Antworten:  und dazu beitragen, dass der Branche die Filmschaffenden abhanden kommen: „Zwei Drittel der Befragten (von Anfang 20 bis Ende 50 gleichmäßig aus allen Altersgruppen) an, kinderlos zu sein.“

Dazu seien die Dreharbeiten in Corona-Zeiten und unter Hygiene-Bedingungen noch anstrengender als ohnehin schon, hatte Verdi argumentiert. Die Tageshöchstarbeitszeit von immerhin noch zwölf Stunden, Erholungsphasen und Ruhezeiten müssten eingehalten werden. Viel ist es nicht, was Verdi gefordert hat. Erreicht wurde noch etwas weniger: 

# Aus der Fünf-Tage-Woche wurde nichts. Stattdessen gibt es zwei zusammenhängende Ruhetage „mindestens zweimal je Monat“ – also nur jede zweite Woche und auch nicht unbedingt am Wochenende. Erst bei Drehzeiten von mehr als 40 Tagen müssen ab dem zweiten Monat dreimal zwei zusammenhängende Ruhetage gewährt werden. 

# Nach einem Nachtdreh ins Wochenende muss sich mindestens zweimal je Monat nach Drehtagsende eine Ruhezeit von 48 und weiteren elf Stunden anschließen.

# Bei Arbeit am Wochenende gilt ein genereller Zuschlag von 25 Prozent, auch beim sogenannten versetzten Dreh. In der bestehenden Regelung zum Sonntagszuschlag wird dieser von 50 auf 75 Prozent angehoben. Für Samstagsarbeit (Stichwort: Nachtdreh ins Wochenende) hatte Verdi vergeblich einen Zuschlag von 50 Prozent gefordert. 

Neu ist: Eine  paritätisch besetzte Clearingstelle wird gegründet. Sie soll bei „strittigen Auslegungen des Tarifbestimmungen, insbesondere zur Anwendung der Ausnahmesituationen bei der Höchstarbeitszeit“ von jeder Tarifpartei angerufen werden können. 

Dass die Fortschritte bestenfalls klein sind, ist man nach mehreren Tarifrunden gewöhnt. Erstaunlicher ist die Verhandlungsführung der Gewerkschaft, die den Gagenteil ausklammerte und bereits mit eingeschränkten Forderungen und die Verhandlung ging. Zweimal lehnte die Produzentenallianz die Forderungen ab und bestand auf einem Moratorium für ein Jahr –  mit dem Hinweis auf die besonderen Belastungen durch die Pandemie. Erst als Verdi ein Ultimatum stellte, die Verhandlungen platzen zu lassen, kamen die Gespräche in Gang. Denn so ein Ultimatum ist eine ernste Sache, nämlich die wörtlich letzte „Aufforderung, eine schwebende Angelegenheit befriedigend zu lösen unter Androhung harter Gegenmaßnahmen, falls der andere nicht Folge leistet“, erklärt die Wikipedia. Dann verlängerte Verdi diese letzte Aufforderung um einen Monat. Und noch ein paar Tage nach dieser nun wohl allerletzten Frist war der Tarifvertrag da.  

Dabei wäre die Zeit günstig gewesen, um die Bedingungen grundlegend zu verbessern. Die Branche betet ihr Mantra von der Solidarität. Arbeitsbedingungen oder die Lage von Kulturschaffenden und Freiberuflern, geschlossene Kinos sind plötzlich Themen in einer Öffentlichkeit, sie sich sonst nicht dafür interessiert. Im Zuge der Diskussionen um Gendergerechtigkeit, Machtmissbrauch oder Diversität wird vermehrt auch hinter die Kulissen neben dem Roten Teppich geschaut. Und überhaupt ist die Frage, wie es weitergehen soll und was sich ändern muss, das große Thema in der Branche.

Auch der sollte also an attraktiven Arbeitszeiten gelegen sein. Der Arbeitkräftemangel war schon vor Corona ein Hauptthema. Als Verdi den Tarifvertrag kündigte, war die Branche „mit Hochdruck am Produzieren“, erklärte Christoph Palmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Produzentenallianz im Interview: „Wir haben in der Produktion zurzeit immensen Nachholbedarf. Viele Projekte mussten im vorigen Jahr pausieren, andere wurden abgebrochen oder verschoben.“

Und: eine Zeit ohne Tarifvertrag wäre für die Produzentenseite die schlechtere Option gewesen. Was das Arbeitszeitgesetz da vorschreibt, würde Verdi nicht zu fordern wagen. 

Die wahre Tragik ist aber: Der Tarifvertrag gilt wohl nur für die wenigsten. So hört man’s jedenfalls aus Verbänden und von Filmschaffenden. Denn weder gibt Verdi die Zahl seiner Mitglieder aus der Branche an, noch sagt die Produzentenallianz, wie viele ihrer Mitglieder überhaupt an den Tarifvertrag gebunden sind, den sie aushandelt. Immerhin: 79 Prozent wollen sich nach eigenen Angaben bei den Arbeitszeiten am Tarifvertrag „orientieren“. Palmer sieht das positiv: „Es ist doch höchst eindrucksvoll, dass nach den Ergebnissen der Produzentenstudie mittlerweile der Tarifvertrag der Goldstandard ist, an dem sich der weit überwiegende Teil der Produktionsbetriebe orientiert. Das war vor zehn Jahren sicher noch anders. Da haben wir als Tarifpartner offenbar vieles richtig gemacht.“

Das klingt ja fast zu schön um wahr zu sein. Und tatsächlich werden hier Tatsachen sehr frei interpretiert. Wer mehr als 10 Stunden drehen will – und wer will das nicht – hat sich nicht an irgendetwas zu orientieren, sondern den Punkt 5 des Tarifvertrags zum Thema Arbeitszeit und alle seine Unterpunkte 5.1 bis 5.9 in Gänze und ohne Ausnahmen umzusetzen. Und das machen sicher nicht 79 % sondern eher nur gut 30 % der Produzent*innen. Hier ist also noch viel mehr Luft nach oben, als beim Tarifvertrag selbst.

 

2 Kommentare
  1. adminot sagte:

    Lieber Hik, der Fehler ist korrigiert. Der Hinweis auf das Arbeitszeitgesetz hinkt aber etwas: „Die Arbeitszeit darf 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden.“ Und mit Durchschnittsarbeitszeiten von 8 Stunden am Tag kann die Filmbranche in der Regel nicht viel anfangen!

  2. hik sagte:

    Da hat sich leider der Fehlerteufel eingeschlichen: „Mehr Zuschläge, aber nur am Sonntag“ wird hier in der Bildunterschrift verbreitet.
    Richtig ist: Jetzt gibt es im neuen Tarif TV FFS auch für Samstagsarbeit generell Zuschläge, nämlich 25% mehr, also eben nicht nur für Sonntage.
    Außerdem: das Arbeitszeitgesetz, das schon heute nicht immer eingehalten wird, geht generell von der sechs Tage Woche aus. Ohne zwei freie Tage…
    Nun gilt im neuen TV FFS: Ab dem zweiten Drehmonat mindesten drei mal zwei zusammenhängende Tage frei. Bei einem zweimonatigen Dreh muss nach dem neuen Tarif während der Drehzeit nun mindestens 5 mal zwei zusammenhängende Ruhetage gewährt werden. Und nach dem Gesetz?: Null mal!
    Die konkreten Infos zu den Neuregelungen finden sich übrigens unter: https://filmunion.verdi.de

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