Neustart der Kinokultur

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Emsige Kinogänger waren die Deutschen schon vorher nicht. Es wird spannend, ob sie nach der Pandemie überhaupt noch vom Sofa runter wollen. | Foto © Adobe Stock

Rund acht Monate mussten die Lichtspielhäuser in der Pandemie geschlossen bleiben. Seit heute haben sie bundesweit wieder geöffnet. 

Es ist der 1. Juli 2021. Die Wiedergeburt des Kinos in Deutschland hat begonnen. Auch Universal freut sich und hat zur Einstimmung ein kleines Video zusammengeschnitten.

Das ganz große Vergnügen dürfte der Kinobesuch noch nicht werden, denn die Auflagen sind streng. Für Hamburg etwa erklärt die dortige Filmförderung  Moin: Eintritt gibt es nur für Geimpfte, Genesene oder Geteste samt Kontaktdaten. Nur jeder zweite Platz wird besetzt, eine medizinische Maske muss auch auf dem Sitzplatz getragen werden, sie „darf zum Essen oder Trinken jedoch abgenommen werden.“

Die Bedingungen sind „teilweise noch ungeklärt, intransparent oder nicht verhältnismäßig“, hatte der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF Kino) am Montag beanstandet und an die Länder appelliert, bis zum 1. Juli noch nachzubessern. Dabei geht es dem Verband der Kinobetreiber um vier Punkte:
# Der Abstand soll überall nur einen freien Platz neben jedem besetzten Platz betragen.
# Der Verzehr am Platz muss überall erlaubt sein.
# Entsprechend darf es keine Maskenpflicht am Platz geben.
# Eine Beschränkung des Zugangs auf Geimpfte, Genesene und Getestete soll bei weiter fallenden Inzidenzen (wie teilweise bereits bei den Restaurants) aufgehoben werden.

Noch sei nicht endgültig abzusehen, wie hoch die Verluste bei den Kinos trotz Überbrückungshilfen und Sonderfonds sind, sagt Christian Bräuer von der AG Kino im Interview mit „Medienpolitik“. „Wir hoffen, diese bleiben überschaubar. Was allerdings fehlt, sind die Überschüsse, aus denen Darlehen getilgt und Investitionen finanziert werden. Diese für die Eigenkapitalbildung so entscheidenden verlorenen Gewinne werden wir nicht mehr ausgleichen. Dies trifft gerade für Filmkunsttheater und Kinos im ländlichen Raum mit einem hohen gesellschaftlichen und kulturellen Engagement zu, die schon in Normalzeiten über Geschäftsmodelle verfügen, die nicht allein auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Daher ist für diese die nun angekündigte Aufstockung des Zukunftsprogramm I von herausragender Bedeutung. […] Bislang trugen die Förderprogramme wie Schwimmflügel. Wir sind damit zwar nicht untergegangen, aber immer noch nicht an Land. Entscheidend wird sein, dass die Kinos rasch wieder auf eigenen Füßen stehen können, andernfalls besteht die Gefahr, dass sie der erste starke Gegenwind umbläst.“

39 Kinos hatten bereits vor dem „Bundesstart“ den Betrieb wieder aufgenommen. Das seien  15 Prozent aller deutschen Standorte, rechnet „Blickpunkt Film“ vor und sah am vorigen Wochenende „weitere Belebung im deutschen Kinomarkt“: „Auch wenn die Abstände zu wichtigen Besucher-Benchmarks noch zu groß sind, um von richtig guten Zahlen zu sprechen, stimmt doch zumindest der Trend.“ Hoffnung geben auch „großartige Resultate“ von nebenan: In den Niederlanden seien bereits die Zahlen des „schlechtesten Wochenendes vor Corona“ verdoppelt worden. Allerdings: „Zum ,mittleren‘ Wochenende als echtem Meilenstein fehlten nur noch 40 Prozent an Besuchern und lediglich 29 Prozent Boxoffice – trotz der geltenden Restriktionen.“

Dass 40 Prozent ziemlich nah an der Hälfte ist, bis zur Normalität also noch ein ganzes Stück Weg zu bewältigen ist, bemerkt die „Berliner Zeitung“ und findet: „Das Wörtchen ,nur’ klingt hier ungewohnt euphorisch.“  Zurzeit sei jeder Filmstart mit guten Kartenverkaufszahlen aus den USA eine Meldung wert – etwa die 68 Millionen Dollar, die „Fast and Furious 9“ an einem Wochenende einspielte. „Das war ein Erfolg, auch wenn in Vor-Corona-Zeiten die Siebenfache der Maßstab an der Spitze war. Die Kinos sind bescheidener geworden, zumal ihre Branche dem digitalen Wandel genauso unterliegt wie Musikbusiness oder Medien. […] Ab 1. Juli wird sich zeigen, ob das monatelange Streamen das Sehverhalten des Publikums verdorben hat.“

Ja, wollen die Leute überhaupt vom Sofa runter? Die Frage stellt „Monopol“ eher rhetorisch, denn für das Kulturmagazin ist klar: „Es gibt gar keine Alternative zum Filmtheater. Wir haben uns zwar an die Kino-Ersatzdrogen gewöhnt: an Spielfilme im Fernsehen längst, ans Streaming spätestens zu Pandemie-Zeiten, weil es nun mal nicht anders ging. Doch im Kino zu sitzen bedeutet, den spezifischen Blick der Filmemacherinnen und Filmemacher auszuhalten, von der ersten bis zur letzten Minute. Film im Kino prägt uns auf eine Weise, wie es mit der Fernbedienung im Anschlag oder dem Schnelldurchlauf der Internet-Player einfach nicht funktioniert. Selbst die Pausentaste, die es erlaubt, mal eben aufs Klo oder zum Kühlschrank zu laufen, gefährdet die Filmdramaturgie. […] Es wäre freilich naiv, technische Entwicklungen zurückdrehen zu wollen. Digitale Angebote sind da, also werden sie genutzt. Auch Filmklassiker schaut man sich eigentlich besser im Filmtheater an, hat aber kaum noch die Chance dazu – und muss daher auf DVD-, Blu-Ray- oder neuerdings 4K-Silberscheiben zurückgreifen. Der Unterschied zwischen solchen Speichermedien und Streamingportalen wie Netflix ist allerdings noch einmal eklatant.“

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