Gedanken in der Pandemie 129: „Ach, lass es noch mal die Angela machen.“

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Vor genau 700 Jahren vollendete Dante Alighieri seine „Göttliche Komödie“. Als Filmvorlage dient sie immer noch – etwa 1998 für „Hinter dem Horizont“. | Foto © Universal

Was wäre, wenn … Planspiele vor der Wahl und der Versuch, Corona mit 9/11 kurzzuschließen – Gedanken in der Pandemie, Folge 129.

„Die Nacht steigt auf, s’ist Zeit, wir müssen fort, denn alles haben wir nun gesehen.“
Dante, „Die Göttliche Komödie“

„Auch hier sah ich ein Volk von verlorenen Seelen, weit mehr, als oben waren: sie drückten ihre Brüste gegen enorme Gewichte, und mit wahnsinnigem Gebrüll rollten sie aufeinander zu. Dann in Eile rollten sie sie zurück, und die einen schrien: ,Warum hortet ihr?‘, und die anderen: ,Warum verschwendet ihr?‘“
Dante, „Die Göttliche Komödie“

Die Spannung steigt: Wird der Scholzomat, also der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der neue Bundeskanzler? Und wenn ja: Warum wird er es? Und wenn nein: Warum wird er es doch nicht?

Beginnen wir einmal mit diesen im Prinzip schlichten Fragestellungen. Falls Olaf Scholz bis zum Ende des Wahlkampfes, also noch die nächsten zwei Wochen, durchhält und neuer Bundeskanzler wird, dann wird er dies vor allem aus zwei Gründen. 

Der eine Grund ist der, dass die  aktuellen Umfragen, die wie ein Seismograf immer einen augenblicklichen Ist-Stand abbilden, schon in den letzten vier bis sechs Wochen einen mehr oder weniger klaren Vorsprung von Scholz in der Kanzlerpräferenz anzeigen, und in der (für manche bedauerlichen und von ihnen bedauerten) Folge solcher Personalisierung sogar für die SPD eindeutige Vorsprünge prognostizieren. Da es durch Urlaub und vor allem durch die Pandemie einen bisher nie gekannt hohen Anteil an Briefwahlstimmen gibt, zeigen viele dieser Umfragen und vermeintlichen Prognosen bereits wie eine Hochrechnung das kommende Wahlergebnis an. Schlichter formuliert: Es ist schon vieles entschieden.

Der zweite Grund liegt in der systemischen Differenz zwischen den drei Wahlkämpfern, die vermeintliche Chancen auf die Kanzlerschaft haben. (Von „vermeintlichen Chancen“ spreche ich hier, weil die Chancen, die Annalena Baerbock noch übrig geblieben sind, tatsächlich nur minimal sein dürften. De facto geht es vor allem darum: Wird Scholz Kanzler, oder wird es doch Laschet?) Gegenüber Laschet und Baerbock hat der Scholz einen Amtsbonus. Der Vizekanzler rückt an die Stelle Angela Merkels. In der Wahrnehmung vieler Wähler wissen sie, was sie an Scholz haben, während Laschet und Baerbock eher Ungewissheit repräsentieren, und nicht genug Vertrauen genießen. 

Lieber einen Langweiler, den man kennt, als zwei Unbekannte, von denen alle möglichen Überraschungen zu erwarten sind. 

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Sollte Scholz doch nicht Kanzler werden, dürfte dies vor allem an den Grünen liegen. Denn die größte Unbekannte für Scholz und die SPD liegt in deren Verhalten nach der Wahl. Denn nicht die FDP sondern die Grünen sind diesmal das Zünglein an der Waage. Und so eng, wie die Parteien derzeit beieinander liegen, beeinflussen wenige Prozentpunkte bereits sämtliche Koalitionsoptionen. 

Wenn es für die Grünen einigermaßen gut läuft, könnte sich, eine Wahl zwischen zwei Optionen eröffnen: Einerseits eine Ampel mit einem Bundeskanzler Scholz, andererseits eine Schwarz-Grüne Koalition mit einem Bundeskanzler Laschet. In einer solchen Konstellation könnten die Grünen, auch wenn die Union vermeintlich der ungeliebtere Partner ist, trotzdem die Konstellation Schwarz-Grün bevorzugen. Weil es für die Grünen die koalitionsarithmetisch attraktivere Möglichkeit wäre: Sie hätten im Zweifelsfall mehr Minister, und sie können sich als liberale, offene Partei und als Antreiber gegenüber einer trägen Union profilieren. 

In einer Dreierkonstellation mit Scholz in der Mitte zwischen FDP und Grünen gäbe es einerseits zwei Antreiber, die miteinander in dieser Rolle konkurrieren, zugleich den Wettbewerb um die Zustimmung der besserverdienenden und bessergebildeten Mitte, als auch ein vorhersehbares Hick-Hack um die jeweilige Position im politischen Lager. 

So sehr ich die Grünen einerseits schätze, glaube ich, dass sie im Zweifelsfall eine schwarz-grüne Koalition aus den genannten und anderen Gründen bevorzugen werden. 

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Der entscheidende Vorteil für Scholz liegt allerdings gegenüber Laschet darin, dass er als einziger mehrere Optionen hat. Im Idealfall sogar vier: Rot-Grün-Rot, Ampel, Rot-Schwarz-Gelb und und Große Koalition.  

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Noch etwas anderes zu den Umfragen: Das Meinungsforschungsinstitut Forsa geht jetzt vor Gericht gegen den Bundeswahlleiter vor. Der hatte dem Institut die Einbeziehung von Briefwählerbefragungen strikt untersagt, und mit einer Geldstrafe von 50.000 Euro gedroht. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“  berichtet, dass die Institute aus Sicht der Behörde gegen das Wahlgesetz verstoßen, wenn sie Briefwähler befragen. Denn dieses verbietet, „Ergebnisse von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung vor Ablauf der Wahlzeit zu veröffentlichen“. Wähler könnten mit dieser Veröffentlichung manipuliert werden. 

Diesmal könnte jeder zweite Wähler seine Stimme per Brief abgeben. Das Meinungsforschungsinstitut will nun beim Verwaltungsgericht Wiesbaden gerichtlich feststellen lassen, dass Briefwählerbefragungen sehr wohl einbezogen werden dürfen. Andere Institute wie die Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF die Umfragen erhebt, zogen nach dem Schreiben offenbar die Konsequenz, ihre Ergebnisse nur eingeschränkt zu veröffentlichen. Man bedauere es sehr, dass man die politischen Stimmungen, die normalerweise nach der Sonntagsfrage aufgeführt werden, nicht mehr veröffentlichen dürfe, heißt es. 

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Die Tatsache, dass so viele Wähler bereits gewählt, oder sich entschieden haben, bedeutet auch, dass die Trielle zwischen den Kandidaten weniger wichtig sind, als es vielen Parteistrategen lieb wäre. Die derzeitige „heiße Phase“ des Wahlkampfs ist tatsächlich eher lau. 

Laut einer Online-Befragung des Meinungsforschungsinstituts Insa haben sich 74 Prozent der repräsentativ Befragten Anfang September bereits entschieden, wem, sie ihre Stimme geben wollen – deutlich mehr als vor vier Jahren. 

Zugleich reagieren viele Menschen auf Umfragen. Umfrageergebnisse beeinflussen also das Wahlergebnis. 

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Zeit für Gedankenspiele: Josef Schnelle, Autor und politischer Beobachter aus Köln, kam im Gespräch auf eine wunderbare Idee: „Ich würde gerne mal ein Spiel spielen: Was würde passieren, wenn die Union eine Woche vor der Wahl die Idee aus der Tasche ziehten würde ,Ach, lass es noch mal die Angela machen‘? Laschet hat geloost. Was würde dann passieren?“ 

Ich glaubem, es würden dann die bürgerlichen Wähler natürlich erleichtert aufjauchzen, und die CDU wählen. Das ist ja klar. Josef Schnelle ist sich weniger sicher: „Meinst du so beweglich sind die Menschen? Was würde denn passieren, wenn die Grünen plötzlich sagen würden: „Wir lassen es doch den Habeck machen“? 

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Wenn man versuchen will, sich das vermeintlich Unerklärliche des „11.September“ doch zu erklären ist die viele Teile umfassende „WTC Conspiracy“-Serie, die Mathias Bröckers [https://www.broeckers.com/] seit dem 13.09.2001 auf telepolis schrieb [https://www.heise.de/tp/thema/the-wtc-conspiracy/], nach wie vor eine großartige und unüberholte Quelle. Weiterentwickelt wird sie nur durch die Bücher des Autors. Zuletzt erschien „Mythos 9/11. Die Bilanz des Jahrhundertverbrechens – 20 Jahre danach“. 

Man muss nicht alles glauben, was Bröckers dazu schreibt, aber die Lektüre ist mindestens sehr anregend, ein intellektuelles Vergnügen und eine notwendige Korrektur der allzu einfachen Narrative, die auch nach zwanzig Jahren zu 9/11 vorherrschen. Zu vielen einzelnen Fragen muss und kann man ausgehend von Bröckers weiter recherchieren und sich sein eigenes Urteil bilden. Das Buch ist im Grunde ein Kommentar zu seinem bisherigen Büchern, vergleichbar hier Oliver Stones neuem Film über das Kennedy-Attentat 1963. 

Es nützt den Kritikern des Autors nichts, dass sie Matthias Bröckers, den deutsche Mainstreammedien schon vor 20 Jahren als Verschwörungstheoretiker bezeichnet haben, neuerdings, seit etwa eineinhalb Jahren, „Verschwörungsideologe“ nennen.

Denn die Fragen die er stellt, und die Merkwürdigkeiten, die er konstatiert, bleiben. Zum Beispiel: Wie kam es zum Zusammenbruch der Hochhäuser, der ein in der Geschichte des Stahlbaus einzigartiges Phänomen war. Bisher gibt es dafür plausible Theorien, aber keine schlüssigen Belege. 

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Es gibt eine Füllle von Details, die jedes für sich merkwürdig waren, in ihrer Summe aber deutlichen Anlaß zu Zweifeln an der offiziellen Version des Ereignisablaufs geben, zumal diese Fakten im Abschlussbericht der US-Untersuchungskommission von 2009, dem „9/11 Commission Report“, konsequent ausgeblendet bleiben. Der Ausschuss habe alles, was nicht ins Bild passte, einfach ignoriert. Hinzu kommt: Daten wurden vernichtet. Zeugenbefragungen und Vorhörprotokolle bleiben unzugänglich. 

Bröckers stellt, wie auch Franziska Augstein schon vor Jahren in der „Süddeutschen Zeitung“  konstatierte, „gute Fragen“. Warum packt einen Attentäter sein Testament in einen Koffer, der in einem Flugzeug befördert werden soll, das ins World Trade Center fliegt? Oder: „Wie kann drei Monate nach der aus Ägypten kommenden Warnung vor einem Anschlag die logistische Meisterleistung gelingen, vier Flugzeuge gleichzeitig zu entführen?“ Oder: „Passagiere konnten aus den Maschinen mit ihren Angehörigen telefonieren – aber das Militär, dessen globalem Schnüffelsystem kein Furz eines indischen Reisbauers entgeht, hat nichts mitbekommen?“

Wie kommt es, dass mehrere der von den USA namentlich identifizierten Attentäter in einem Rekrutierungsprogramm der CIA genannt wurden, und dort als potentielle Spitzel auftauchen. Dass das angebliche 9/11-Mastermind, der saudische Millionärssohn Osama Bin Laden, 15 Jahre zuvor unter dem Namen „Tim Osman“ CIA-Agent war? 

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Hart kritisiert der Autor die eigene Zunft: „Die gesamte journalistische Branche schaute nach 9/11 einfach gar nicht hin oder sogar weg. Denn sonst hätte jedem zweiten Kollegen auffallen müssen, dass hier eine lupenreine, vor haarsträubenden Ungereimtheiten, unbewiesenen Behauptungen und irrsinnigen Zufällen nur so strotzende Verschwörungstheorie als offizielle Wahrheit entfaltet wurde.“

Er kämpft gegen den „Spiegel“ und andere große Medien. Sie mussten ihre Märchen erzählen, damit ihr altes Weltbild von der freiheitlichen demokratischen Führungsmacht USA nicht zusammenbricht. Der Autor konstatiert eine „Zwickmühle der kognitiven Dissonanz“.

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Gegen Ende seines neuen Buches spricht Bröckers dann auch Corona an. Die Pandemie verstärke den Eindruck, dass im Notfall durchregiert werden muss, keine langwierigen demokratischen Debatten geführt werden können, dass mit solchen Notstandsverordnungen starke Einschränkung der allgemeinen Grundrechte und Freiheiten verbunden sein können. Das verstehe sich „von selbst“, „gegen eine solche Außerkraftsetzung der Gewaltenteilung ist überhaupt nichts einzuwenden, solange eine Gefahrenlage gegeben ist.“ 

Im Zuge der Pandemie lasse sich aber ähnliches beobachten wie im Fall von 9/11: Mit dem „Phantomteufel Virus“ könne noch viel mehr gemacht werden, als mit Terrorakten. Die neuen Gesundheits- und Infektionsschutz-Verordnungrn griffen auch sehr viel brachialer in die Grundrechte ein.

„Mit der Pandemie hat die Desinfektion des Meinungsspektrums geradezu groteske Formen angenommen und wie die Rodelpolizei im Winter Kinder jagte, die mit dem Schlitten absurde Ausgangssperren ignorierten, wurde nun multimedial an hundertprozentiger Diskurshygiene gearbeitet … selbst leise Zweifel an der Pandemie-Politik und der Hinweis, dass es darauf ankommt, den Schaden auf ein Minimum zu reduzieren, wurde den missionierten Massen als lebensgefährlicher Verrat eingebläut. … Auf Fakten kommt es dabei, wie der 9/11-Report gezeigt hat, nicht wirklich an, sondern allein auf eine prosaische Erzählung, die autoritativ verkündet, massenhaft eingetrichtert und als Dogma betoniert wird.“ 

Ich möchte das einfach nur zitieren, nicht kommentieren; sowieso geht es m.E. auch darum, begründete und ernstzunehmende Positionen vorkommen zu lassen, worauf sich mündige Leserinnen ihre Meinung bilden können.

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Am 14. September vor 700 Jahren starb Dante Alighieri (1265-1321). An den italienischen Dichter mit der gewaltigen Wirkung erinnert jetzt eine „Lange Nacht“ im Deutschlandfunk, sowie ein Portrait in der „Welt am Sonntag“. Dante galt schon Zeitgenossen als Wiedererwecker der toten Dichtkunst der Antike. 

„Die phantasmagorischen Bilder, die Dante in der ,Göttlichen Komödie‘ malt, wird niemand, der sie gelesen hat, vergessen“, schreibt der Historiker und Italienexperte Bernd Roeck in seiner tollen Renaissancedarstellung „Der Morgen der Welt“: „Die Szene etwa, wie sich aus einem der Flammensärge, in denen Ketzer brennen, Farinata degli Uberti erhebt, um von Dante die Schicksale seines Sohnes zu erfahren; oder auch die Erzählung von Ugolino della Gherardesca, der seinem Todfeind, Erzbischof Ruggieri von Pisa, in Ewigkeit das Fleisch vom Schädel nagen muß – die Strafe dafür, daß er zu Lebzeiten, von Ruggieri in einen Turm geworfen und wahnsinnig vor Hunger, die Leichen seiner eigenen, mit ihm eingemauerten Kinder verschlang. Alle Sinne werden angesprochen. Man riecht stinkenden Kot, hört das Schreien und Klagen der Verdammten aus dem hohlen Höllentrichter, sieht schwarze Orkane und die im Pech kochenden Bestechlichen. Eine Schar bizarrer Ungeheuer antiker Abkunft wird aufgeboten: Der schmerbäuchige Zerberus bellt aus seinen drei Kehlen, am Rand des Sandmeeres lauert der furchtbare Geryon mit Menschenkopf, Löwenpranken und Schlangenleib, um dann den mutigen Höllenfahrern als Flugdrache zu Diensten zu sein. Kentauren schnellen ihre Pfeile auf Mörder und Räuber, die in einem Strom aus kochendem Blut gesotten werden, und Harpyien fressen von den Büschen, zu denen die Seelen der Selbstmörder mutiert sind.“

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