Gedanken in der Pandemie 104: Die dritte Welle ist da

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Eben erst gewählt, schon anderer Meinung: Der neue CDU-Chef Armin Laschet (Mitte) will wieder lockern. | Foto © BR

Schubumkehr: Kampfansagen an das Corona-Regime – Gedanken in der Pandemie 104.

„Den Lockdown macht man ja nur, weil man keine Kenntnis hat.“
Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates

„Ich glaube, dass es ist falsch ist, dass wir immer nur über Risikovermeidung sprechen. Wir müssen über Risikomanagement sprechen. Über das Leben mit dem Risiko, nicht über die komplette Vermeidung jedes möglichen Risikos.“
Carsten Linnemann, CDU-Bundestagsabgeordneter

 

Es ist ein politischer Paukenschlag, auch wenn er im Mehltau der dumpf-morbiden Lockdown-Hauptstadt  vorerst zu verhallen scheint. Die, für die er bestimmt war, werden ihn sehr genau vernehmen. 

„Immer neue erfundene Grenzwerte“; „alles verbieten“; „Bürger behandeln wie unmündige Kinder“; „Verhinderung des Lebens“; „das Leben nicht nur an Inzidenzwerten ausrichten“ – dies sind, sehr grob gesagt, die wichtigsten Stichworte aus Armin Laschet Rede vor dem baden-württembergischen Landesverband des CDU-Wirtschaftsrat. 

Dies ist, was hängenbleibt.

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Im Zusammenhang klingt das Zitat etwas moderater: „Populär ist immer noch die Haltung, alles zu verbieten, streng zu sein, die Bürger zu behandeln wie unmündige Kinder. Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern dass das Leben wieder stattfindet. Wir können unser ganzes Leben nicht nur an den Inzidenzwerten abmessen.“

Dieses Zitat ist, wenn man es in Ruhe durchdenkt, eine Kampfansage; es formuliert einen kompletten Paradigmenwechsel der Corona-Politik des NRW-Ministerpräsidenten. 

Es spricht aus, was immer mehr Menschen in Deutschland schon lange denken, was sich manche aber selbst im Freundes- und Bekanntenkreis nicht auszusprechen trauen: Über 100 Tage Lockdown sind genug! Es muss eine Pause geben, ein Aufatmen. Auch wenn das mit Risiken für Leib und Leben einiger weniger verbunden ist. Gewisse Risiken gehören zum Leben. 

Man kann das nun populistisch finden. Man kann sich darüber wie die linksalternative „Taz“ luftschnappend empören. Man kann wie andere Medien der liberal-konservativen Mitte sich darüber echauffieren, dass hier einer aus den Reihen tanzt. 

Man kann Laschet bestimmt auch nachweisen, dass er einen Großteil dieser Politik bisher kritiklos mitgetragen hat. Und man kann ihm Opportunismus unterstellen, Populismus im Hinblick auf seine Ambitionen als Kanzlerkandidat der Union. Das ist alles aber nicht wirklich interessant. Denn selbstverständlich haben Politiker Ambitionen. Selbstverständlich geht es ihnen auch um Macht. Selbstverständlich möchte Armin Laschet Kanzlerkandidat der Union werden. Genauso wie dies Friedrich Merz gewollt hat, genauso wie dies Markus Söder immer noch will, genauso wie dies einige andere gerne wollen würden. Ist das interessant? Nein! Interessant ist, dass hier einer sich selbst korrigiert. Besser spät als nie.

Endlich spricht das jemand aus. Die Corona-Politik der Bundesregierung ist gescheitert. Sie ist mit Karacho gegen die Wand gefahren. Man simuliert Handeln und hält sich mit Nebensächlichkeiten auf, anstatt das Versagen einzugestehen und zu korrigieren. Das Versagen bei der Frage der Selbsttests, des Impfstoffs, der Absicherung der Alters- und Pflegeheime, der Ermöglichung des Unterrichts an den Schulen und der Betreuung in den Kitas.

Laschet spricht es aus: Die scheinbar objektiven Inzidenzwerte sind politische Zahlen, nicht sachlich gerechtfertigte. Das wird daran deutlich, dass diese Werte von jenen Virologen, von denen Angela Merkel sich beraten lässt, und den Politkern, die ihnen folgen, im Zweiwochentakt „nachgeschärft“ und in ihrer Bedeutung verändert werden. So auch einen Tag später im „Heute-Journal“: „Manche sagen, eigentlich brauchen wir ,Zero Covid’, oder ,Null Covid’, manche sagen 10, manche sagen 25 – es wird immer wieder etwas Neues ins Gespräch gebracht. Ich bin schlicht und einfach dafür, dass das, was wir sagen, jetzt auch mal eingehalten wird.“ 

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Armin Laschet sagt, was viele denken. Er beschreibt mit deutlichen Worten wie die allermeisten Politiker der Regierungsparteien seit Monaten mit den Bürgern kommunizieren: „Ich glaube, dass wir auch in der Sprache uns bemühen sollten, die Bürger ernst zu nehmen, über die Gefährlichkeit reden, aber nicht so von oben nach unten herab. Das stört mich zuweilen.“

Und dass es ein Leben jenseits der Grenzwerte gibt. Jenseits des Virus. Das Leben kennt keine Grenzwerte. Das Leben kennt auch keine Inzidenzzahlen. Das Leben lebt diffus, in Schwarmform oder singulär. Und alles, was lebt, ist irgendwann tot – das gilt auch für alle, die jetzt Corona überleben.

Trotzdem muss und sollte und darf es weitergehen. Auf eigenes Risiko. 

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Warum gibt es keine Schulbusse von der Bundeswehr oder vom Technischen Hilfswerk, wie in einer Katastrophe? Denn Corona ist eine Katastrophe. Das Technische Hilfswerk könnte auch die fehlenden Luftfilter einbauen. Dass man so etwas erst umständlich beantragen muss, dass die Schulen so etwas selbst bezahlen müssen und dafür erst einmal zusätzliche Mittel bei den Ämtern der jeweiligen Bundesländer beantragen – das ist alles eine so schreckliche Bürokratisierung, dass man nur den Kopf schütteln kann.

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Politisch links stehende und linksliberale Parteien und Medien sind für den harten Lockdown, auch jetzt noch, selbst in Großbritannien. Die „Taz“ schreibt, wie es die Figuren in Orwells „1984“ nicht besser sagen könnten, im Zusammenhang mit vorgezogenen Impfungen und Zugangsmöglichkeiten für Geimpfte von „Privilegien erteilen“ und von „Sonderrechte einführen“, wo es doch nur darum geht, dass die Leute wieder das machen dürfen, was sie immer machen dürfen: ihre zurzeit ausgesetzten uneingeschränkten Grundrechte ausüben.

Auf Ungleichbehandlung zu verzichten, ist nicht zwingend moralischer. 

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Schubumkehr so nennt man in der Fliegerei den aktiven Prozess, wenn der Pilot die Bewegungsrichtung ändert – wenn zum Beispiel mehr gebremst werden muss oder sogar die Bremsen ausgefallen sind.

Es kann sich aber auch insbesondere bei der automatisch ausgelösten Schubumkehr und den Moment handeln, indem ein Flugzeug manövrierunfähig wird und abstürzt. 

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Immer nur Verhinderung. Warum müssen erst Fachleute eigens geschult werden, damit der Schnelltest in Deutschland erlaubt wird? Der Schnelltest wird einerseits „nur als Ergänzung“ diffamiert, andererseits beharren die Funktionäre der deutschen Medizinindustrie darauf, dass es dann nur ihr Personal macht, dass sie die Vorherrschaft über die Schnelltests behalten. 

Dabei: Worum geht es denn wirklich? Die Schnelltest erlauben es, die Super-Spreader zu fast hundert Prozent mit Sicherheit zu erkennen. Das ist das Wichtigste. Die Leute mit schwächeren Infektionsanteilen werden immerhin auch zu einer über 80-prozentigen Sicherheit erkannt. Das ist zwar weniger, als bei den viel teureren und umständlicheren PCR-Tests, aber eben auch: viel weniger teuer und weniger umständlich. 

Aber Deutschland ist nicht das Land des Möglichkeitssinns, sondern des Unmöglichkeitssinns, das Land der Argumente, die gegen irgendetwas sprechen. 

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Die dritte Welle ist schon da. Es ist die Insolvenzwelle.

1 Kommentar
  1. philine.conrad sagte:

    Lieber Herr Suchsland,

    vorhin am Abend sprach ich noch mit Bekannten – in einer Runde, die sich trifft, weil sie in ihren Freundes-, Bekannten und Familienkreisen nicht mehr offen sprechen können – und empörte mich, dass aus der Kulturszene zu wenig Aufstehen zu vernehmen, zu wenig Aufschreien zu hören ist. Zwei Stunden später empfange ich den Verweis auf Ihren Artikel in meinem E-Mail-Postfach und bin positiv überrascht. Ich falte die Hände und sage laut und deutlich: Danke! Es ist Zeit, umzudenken. Es ist Zeit, umzulenken. Schon längst. Zu lange waren wir geduldig. Verständnisvoll. Vorsichtig. Verängstigt. Mutlos. Sich mit unwürdigen Ausdrücken beschimpfen zu lassen weil man schon früher diese dritte Welle herannahen sah, – ist zu verkraften und wird vergessen sein. Es soll, nein, es muss endlich etwas in Bewegung kommen. Aufrichtigkeit. Anstand. Klarheit. Verzeihen. Zu viele Opfer hat diese gescheiterte Politik zu verzeichnen. Tränen sind geflossen, Mitgefühl wurde verschenkt, Kraft und Zuversicht gegeben. Ich meine nicht nur die wirtschaftlichen Opfer. Ich meine auch die vielen Todesopfer, die Opfer von Gewalt, etc.
    Ich spreche es gerne klar und deutlich: In den letzten 12 Monaten wurde zu viel toleriert in diesem Land, auch von uns, und Entscheidungen getroffen, die sehr viel Leid und Schaden gebracht haben – mehr als Schutz, Beruhigung und Zuversicht. Die Justiz definiert klar, was ein Verbrechen ist. Es gilt jetzt, den Umgang mit der Situation zu finden – wie Sie es auch in Ihrem Artikel schreiben – und auch die einzelnen Entscheidungen aufzuarbeiten.
    Und diese Aufgabe hat unsere Justiz: Klarheit schaffen. Ohne Meinung, ohne Wertung. Und zu überprüfen, wo und wann Informationen bewusst nicht beachtet wurden. Ich denke da nicht nur an das BMI-Papier, das einfach übergangen wurde.

    Und ich denke auch, es ist ein gesunder Gedanke: Den Blick in die Zukunft richten und die Botschaft verbreiten: „Es muss und sollte und darf weitergehen. Auf eigenes Risiko.“ Das Leben.

    Herzliche und aufrichtige Grüße aus Köln,
    Philine Conrad

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