Filmemachen in der Cloud

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„In einem Jahrzehnt werden die Kameras überhaupt keine Wechselmedien mehr haben“, meint Michael Cioni. Der „Hollywood Reporter“ hat ihn neulich als einen der einflussreichsten Technik-Experten Hollywoods ausgezeichnet. Cioni war Mitbegründer und CEO des Postproduktionshauses Light Iron, Produktdirektor für das 8K-Kamera-Ökosystem „Millennium DXL” von Panavision und schließlich bei der Videoplattform frame.io für „globale Innovationen“ zuständig. | Foto © MTH Conference

Um Medientechnik der nächsten Generation geht’s bei der  MediaTech Hub Conference am 10. und 11. November in Babelsberg und Online. Da kennt Michael Cioni sich aus. Er leitet zahlreiche Workflow-Innovationen, darunter die Camera-to-Cloud-Technik. Am kommenden Mittwoch erklärt er, wie effiziente Workflows zu mehr Kreativität verhelfen.

Michael, Sie sind sicherlich einer der bekanntesten Innovatoren in Hollywood, und die Produktionsbranche verändert sich noch immer massiv. Wo stehen wir?
Die Leidenschaft für meine Arbeit war und ist immer durch die Verschmelzung von Technik und Kreativität motiviert, um die kreative Kontrolle für Filmemacher zu verbessern. Ich nenne es „Technative“, weil es Technologie kreativ einsetzt, um neue Workflows zu entdecken und aufzuzeigen, sodass das Machen von Filmen und Fernsehen sowohl einfacher als auch besser wird. Aus meiner Sicht gibt es alle fünf oder sechs Jahre einen neuen Technologieschub, und ich liebe es zu erkennen, was sich am Horizont abzeichnet und ein Early Adopter zu sein.
Bei jeder technologischen Transformation gibt es Hindernisse, die überwunden werden müssen und die Akzeptanz in der kreativen Gemeinschaft erfolgt in kleinen Schritten. Wenn es darum geht, Produktion und Postproduktion vollständig in die Cloud zu verlagern, gibt es Herausforderungen wie Bandbreite, Cloud-Codec-Unterstützung, Sicherheit und virtuelles Asset-Management.
Als ich die Möglichkeiten der Cloud evaluierte, war Frame.io bereits das weltweit am schnellsten wachsende professionelle Cloud-Collaboration-Tool und ich war inspiriert, mich den Gründern Emery Wells und John Traver anzuschließen, weil sie die Vision, das technische Talent und das Fundament hatten, auf dem sie aufbauen konnten. 

Was kann man mit Frame.io machen kann? Wofür ist dieser Dienst gedacht?
Frame.io ist nicht nur ein Tool, sondern ein Tool, das die Zusammenarbeit mit anderen Tools ermöglicht. Frame.io kann selbst als Cloud-Reviewing-Plattform verwendet werden, aber es funktioniert auch wie ein Betriebssystem, das alle möglichen Tools miteinander verbindet.
Mit anderen Worten: Sie veröffentlichen nicht nur Ihre Assets in Frame.io, sondern Sie verbinden Ihre Assets und Ihre Tools über Frame.io hinaus miteinander. Frame.io verfügt außerdem über eine öffentlich zugängliche API, sodass es buchstäblich jedem zur Verfügung steht, um eigene Funktionen zu integrieren und zu erstellen. Im Gegensatz zu vielen anderen Tools ist Frame.io kein geschlossenes Ökosystem, es schließt niemanden aus.
Einige der wichtigsten Funktionen sind die direkte Verbindung Ihrer Medien mit Schnitt-Plattformen. Mit Camera-to-Cloud können Sie die Mitarbeiter am Set einer Produktion mit den Mitarbeitern und Prozessen in der Postproduktion verbinden. Sie können alle Ihre Assets zentralisieren und Ihre Originaldateien und Rohdateien an einem Ort in der Cloud speichern. Sie können Kommentare, Anmerkungen oder Zeichnungen direkt auf dem exakten Videobild anbringen, damit niemand bei der Bearbeitung verwirrt ist, worüber Sie sprechen. Sie können alles mit höchster Sicherheit erledigen und Sie können benutzerdefinierte Aktionen festlegen, damit Ihre Arbeit tatsächlich in alle Abteilungen gelangt. Und es ist unglaublich einfach zu bedienen, selbst wenn Sie gerade erst anfangen.

Kommen wir also zum Workflow von der Kamera in die Cloud. Wir träumen schon seit Jahren davon, Kamerasignale, Bilder, Material nicht erst auf einer Kamerakarte zu speichern und diese dann zu kopieren und dann umzuwandeln und dann wieder hochzuladen. Mit dem Kamera-zu-Cloud-Workflow von Frame.io geht das. Wie?
Die Roadmap für ein vollständig integriertes Camera-to-Cloud-Erlebnis wird eine Reise von zehn Jahren sein. Heute beginnen wir mit externen Proxy-Dateien. Das heißt, wir verwenden ein externes Gerät, um die Daten der Kamera zu erfassen und in die Cloud hochzuladen. Das ist es, was Produktionen im Moment tun, um Cloud-Workflows aufzubauen.
Bis 2026 werden die Kameras diesen Prozess übernehmen, also in der Lage sein Proxy-Dateien direkt aufzuzeichnen. Da sich das Internet und die Bandbreite für 5G, Wi-Fi6 und Satelliteninternet jedes Jahr verbessern, wird es möglich sein, dass die Kamera nach jedem Cut eine Proxy-Datei direkt in die Cloud hochlädt.
Im Jahr 2028 wird die Bandbreite für viele Kameras ausreichen, um ihre Original-Kameradateien hochzuladen, und die Original-Kameradateien werden aufgezeichnet und intern gespeichert. In einem Jahrzehnt werden die Kameras also überhaupt keine Wechselmedien mehr haben. Wechselspeicher werden verschwinden und Filmemacher werden unabhängig vom geografischen Standort sofortigen Zugriff auf alles haben. Und Frame.io wird das Betriebssystem mit dem Cloud-Speicher und der Interaktion bleiben, um all dieses Material zu erfassen.
Was in den nächsten zehn Jahren stattfinden wird, ist die Umstellung von externen Proxy-Dateien auf interne Rohdateien und schließlich auf überhaupt keine Wechselmedien mehr. Wenn man darüber nachdenkt, bedeutet das, dass die Zusammenarbeit in der Zukunft keine Grenzen zur physischen Welt mehr kennt. Falls Sie sich jemals fragen, was die Cloud in der Medien- und Unterhaltungsbranche so mächtig machen wird, dann ist es die totale Freiheit in der physischen Welt um die es geht. Beseitigen Sie jede physische Barriere oder Einschränkung – und die Kreativen gewinnen. Jedesmal.

Alle Produzenten sind mit der Frage der Sicherheit konfrontiert. Sie laden das Material direkt auf einen Speicher in der Cloud hoch. Was sagen Sie den Leuten, die sagen: Schauen Sie – Cloud-Speicher sind nicht wirklich sicher?
Sicherheit beginnt mit der Einhaltung internationaler Regeln. Frame.io ist in den Augen von Drittanbietern sicher, die unsere Sicherheitsprotokolle nicht nur bewerten, sondern uns dafür sogar Auszeichnungen verliehen haben. Wir haben eine benutzerbasierte Authentifizierung, Autorisierung und Zugriff. Jeder Benutzer hat seine eigene Sicherheitsfreigabe. Außerdem können die Administratoren auf Kontoebene entscheiden, wer mehr oder weniger Sicherheitsberechtigungen hat, und das ist sehr, sehr wichtig. Als Nächstes bauen wir Verfallsdaten für Überprüfungslinks ein. Alle gemeinsam genutzten Links, die in Frame.io generiert werden, können sich automatisch selbst löschen.
Was aber wirklich wichtig ist, ist die Tatsache, dass die meisten Sicherheitsverstöße von Personen begangen werden, die die Erlaubnis hatten auf die Daten zuzugreifen. Bedenken Sie das. Die meisten Sicherheitsverstöße passieren, wenn etwas durch jemanden nach außen dringt, der die Erlaubnis hatte, es überhaupt zu sehen. Manchmal ist das eine Nachlässigkeit oder ein Versehen, vielleicht aber auch eine bewusste Entscheidung, in böser Absicht zu handeln. Der Punkt ist: Wenn Sie Ihre Mitarbeiter persönlich dafür verantwortlich machen, worauf sie zugreifen können, und ihnen beibringen, wie sie sicher handeln, ist die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes durch eigene Mitarbeiter, der immer das größte Risiko darstellt, viel geringer. Und wenn Sie gute Sicherheitsprotokolle in Ihren Dienst eingebaut haben, schützen Sie sich vor externen Verstößen.

Es gab hier eine große Nachricht, die viele Leute auf Frame.io aufmerksam gemacht hat: Frame.io wurde gerade von Adobe für etwa 1,2 Milliarden gekauft. Was ist das Interesse von Adobe an Frame.io?
Die Creative Cloud von Adobe hat mehrere zehn Millionen Nutzer und es geht um Integrationen und die Verbindung von Kreativ-Tools untereinander. Was diese Community aber noch nicht hat, ist ein zentralisiertes Netzwerk zur Überprüfung und Genehmigung. Die meisten Adobe-Tools sind nicht Cloud-basiert, so dass Frame.io eine neue Dimension der Cloud-Zusammenarbeit darstellt. Als Teil der Adobe-Familie wird Frame.io nicht nur in die aktuelle Adobe-Produktlinie integriert. Wir werden weiterhin Adobe-Produkte in die Produkte aller anderen Hersteller integrieren. Es ist also wichtig zu betonen, dass es bei der Übernahme durch Adobe nicht darum geht irgendein anderes Kreativitätswerkzeug zu eliminieren. Es geht vielmehr darum, sie in ein völlig neues, größeres Ökosystem einzubinden.
Filmemacher*innen wollen ihre Kameras selbst auswählen. Sie wollen ihre eigenen Tools für Schnitt, visuelle Effekte, Drehbuchüberwachung, Datenbank und Vorvisualisierung wählen. Und Frame.io ist das Betriebssystem, das all diese Tools miteinander verbindet, sodass Sie – unabhängig davon, welches Tool Sie genau bevorzugen – größtmögliche Leistung, Zugriff, Kontrolle und Verlässlichkeit über sämtliches Material in der gesamten Film-Prozesskette bekommen. Das ist das große Ganze. Deshalb freue ich mich so sehr, hier zu sein. 


Dieses Interview erscheint in „Unfold“, dem „Magazin für Medientechnologien und Digital Transformation“, das zur MediaTech Hub Conference herausgegeben wird. Peter Effenberg ist Produktionsleiter und Geschäftsführer der MediaTech Hub Conference.  

 

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