Das richtige Timing der Ingrid Koller 

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Mehr als 60 Langfilme und gut dreimal so viele Serienfolgen hat Ingrid Koller in den vergangenen 40 Jahren montiert. Die Liste der erfolgreichsten Kinofilme in Österreich ist zu großen Teilen auch ihre Filmografie. | Foto © Ritzfilm

Ingrid Koller ist die wohl erfolgreichste österreichische Filmeditorin. Beim Edimotion-Festival in Köln wird sie nächste Woche mit dem „Ehrenpreis Schnitt“ für ihr Lebenswerk gefeiert. Ein Porträt von Werner Busch, Kurator beim Edimotion.

Das Filmmontage-Festival Edimotion in Köln zeichnet in jedem Jahr mit dem „Ehrenpreis Schnitt“ das Lebenswerk herausragender Filmeditor*innen aus. Erstmals wird mit der wunderbaren Ingrid Koller eine Editorin aus Österreich geehrt. Sie ist die erfolgreichste Filmeditorin des Landes und wahrscheinlich auch die mit der größten Berufserfahrung: Über 100 Produktionen, darunter mehr als 60 Langfilme für Kino und Fernsehen und etwa 200 Serienfolgen hat sie durch ihre Montage gestaltet. Ingrid Koller hat dabei häufig mit bekannten Regisseuren wie Harald Sicheritz, Robert Dornhelm, Niki List, Reinhard Schwabenitzky, Olaf Kreinsen oder Peter Hajek zusammengearbeitet. 

Gleichzeitig waren viele ihrer Filme große Publikumserfolge: Die Liste der erfolgreichsten heimischen Kinofilme in Österreich ist zu großen Teilen die Filmografie von Ingrid Koller: „Sei zärtlich, Pinguin“ (1982), „Echo Park“ (1985), „Müllers Büro“ (1986), „Hinterholz 8“ (1998) und „Die Beste aller Welten“ (2017), um nur einige zu nennen. Fast alle Filme, die sie mit Regisseur und Drehbuchautor Harald Sicheritz realisierte, wurden zu den jeweils besucherstärksten österreichischen Filmen des Jahres. Und „Hinterholz 8“ ist bis heute der publikumsstärkste Film aus Österreich überhaupt. Die schwarze Komödie um einen Häuslebauer und insbesondere auch die Noir-Krimi-Parodie „Müllers Büro“ werden bis heute als Kultfilme und nationale Kulturdenkmäler gefeiert. 

 

Ernste Rollen und sichere Berufsfelder | Der Film war Ingrid Koller bereits in die Wiege gelegt worden: Ihr Vater Fritz Koller hatte als Kameraschwenker bei Graf Sascha Kolowrat-Krakowsky gelernt, der mit seiner Firma Sascha-Film die größte österreichische Filmproduktionsgesellschaft der Stummfilmzeit und der frühen Tonfilmzeit gegründet hatte. Kolowrat gilt als Begründer der österreichischen Filmindustrie. Schon ihr Großvater war Fotograf gewesen. In der Familie wurde musiziert, Film war allgegenwärtig, und so verwundert es nicht, dass die junge Ingrid Koller in den 1960er-Jahren eine Schauspielkarriere anstrebte. Sie begann auf der renommierten Schauspielschule Krauss ihre Ausbildung und war schnell auf ernste Rollen festgelegt.

Da die Eltern um die Erschwernisse des Berufszweiges wussten, versuchten sie der Tochter außerdem einen etwas gesicherteren Job im Metier zu verschaffen. Ein befreundetes Schnitt-Ehepaar ermöglichte es Ingrid Koller schließlich, bei der Firma Telefilm in der Schnittabteilung anzufangen. Die Telefilm war zu dieser Zeit, in den 1960er-Jahren, eine der größten Produktionsfirmen und stellte weite Teile des ORF-Programms her. Dort wurde Ingrid Koller die zweite Schnitt-Assistentin von „Onkel Joe“, der als einziger Mann in der ansonsten ausschließlich weiblichen Abteilung von sieben Cutterinnen mit ihren jeweils zwei Assistentinnen, viel Zeit darauf verwandte, sich mit den Kolleginnen zu unterhalten. Für die junge Schnittassistentin Koller bedeutete dies, dass die Arbeit von Onkel Joe bei ihr liegen blieb. Etwas, das sie damals natürlich hasste, heute aber als großes Privileg empfindet. Denn mit dieser frühen Arbeitspraxis wurde sie in den 1970er-Jahren eine der jüngsten Filmeditor*innen in Österreich, die alleinverantwortlich schnitt. 

 

Am Anfang war … die Komödie | Viele prestigeträchtige Produktionen liefen so zunehmend über ihren Schneidetisch, darunter etwa die satirische Krimi-Reihe „Kottan ermittelt“, von denen sie einige der frühesten Episoden ab 1976 montierte. Hier beschäftigte sie sich zum ersten Mal intensiv mit der Arbeit an Komödien und lernte deren Wirkmechanismen kennen. Denn das waren die Krimis in allererster Linie: mit viel Musik, irren Ideen und ungewöhnlichen Charakteren angereicherte Fernsehkomödien, wie sie in dieser Unverkrampftheit im vergangenen Jahrhundert selten waren. Das Kriminalkommissare auch ernste Tötungsdelikte mit Schmäh angehen, dabei auch etwas trottelig agieren, wahlweise durch Slapstick oder beinahe loriotschen Humor, löste damals Kontroversen aus. Die Polizeigewerkschaft kritisierte die Darstellung der Beamten, hunderte wütende Anrufe wurden beim ORF nach den ersten Folgen jeweils verzeichnet. Die Serie von Helmut Zenker (Drehbuch) und Peter Patzak (Regie) erreichte bald Kultstatus und sicherte Ingrid Koller zusammen mit anderen frühen Arbeiten einen formidablen Startschuss für eine Editoren-Karriere, die bis heute einmalig geblieben ist.

 

Am Scheideweg: „Echo Park“ und „Müllers Büro“ | Mit „Seit zärtlich, Pinguin“ folgte 1982 schließlich der erfolgreiche Sprung zum Kinofilm. 1985 sollte zu einem entscheidenden Wendejahr in ihrer Karriere werden. Quasi zeitgleich arbeitete Ingrid Koller an dem amerikanisch-österreichischen Drama „Echo Park“ des Oscar-nominierten Regisseurs Robert Dornhelm und der Noir-Krimi-Musikfilm-Satire „Müllers Büro“ von Niki List. Aus den USA importierte Ingrid Koller viel Know-How durch den bekannten Produzenten Walter Shenson, der in den 1960er-Jahren mit den beiden Beatles-Filmen „A Hard Day’s Night“ und „Help!“ bekannt geworden war. Sie erinnert sich, dass sie unter anderem sein Verständnis dafür übernommen hatte, wie man Szenen kürzt: „Man kann eigentlich nur in der Mitte einer Szene kürzen, fast nie aber ihren Anfang oder ihr Ende“. Eine Szene zerfalle ansonsten meistens und bis heute erlebe sie es immer wieder, dass Regie oder Produktion eine Szene auf ihren Höhepunkt allein verkürzen wollen, ohne die Anbahnung oder die Reaktion darauf (den Anfang und das Ende) behalten zu wollen. Im Zweifelsfalle sei es ohnehin am besten, eine Szene ganz herauszunehmen, wenn sie den Film verschleppt oder andere Probleme mache. Solange der Film insgesamt weiterhin funktioniert. 

Auch dies war eine Lektion, die ihr der Produzent Shenson vermittelt hatte: „Jeder einzelne Schnitt hat Bedeutung für den gesamten Film“. Als sie im finalen Schnitt-Prozess von „Echo Park“ mit Shenson den ersten Akt des Films durch einige wenige Änderungen angepasst hatte, und sie nach diesem Akt den Sichtungssaal der Vorstellung verließ, rief Shenson sie zurück. Man müsse sich den Film bis zum Ende anschauen, um zu sehen, wie der Rest des Films mit diesen Änderungen nun wirkt. „Und damit hatte er natürlich absolut recht“ sagt Ingrid Koller heute. 

„Echo Park“ war trotz des bekannten Hauptdarstellern Tom Hulce, der gerade für einen Oscar in Miloš Formans „Amadeus“ (1984) für einen „Oscar“ nominiert worden war, und vieler positiver Kritiken, auch von Kritikerpapst Roger Ebert, kein Erfolg in den USA beschieden. In Österreich entwickelte er sich mit knapp 100.000 Zuschauern immerhin zu einem Achtungserfolg, trotz einer schaurigen Synchronfassung. In seiner englischen Originalfassung wird er der Eröffnungsfilm des Edimotion-Festivals am 15. Oktober sein.

Im Gegensatz dazu war dem schrillen „Müllers Büro“ ein enormer Erfolg beschieden. Er entwickelte sich schnell zum erfolgreichsten heimischen Film aller Zeiten in Österreich und wird noch bis heute als Kultfilm gefeiert, der immer wieder aufgeführt wird. 

 

Kollaborationen mit Harald Sicheritz | Erst 13 Jahre später nahm eine andere Komödie den Platz von „Müllers Büro“ ein und wieder war es Ingrid Koller, die ihn montiert hat: „Hinterholz 8“ (1998) war einerseits eine One-Man-Show für die Kabarettisten-Legende Roland Düringer, der als Häuslebauer erst das Dach seiner Bruchbude verliert und dann seine Familie. Gleichzeitig war der Film bis in kleine Nebenrollen mit Stars aus Film und Theater besetzt. „Hinterholz 8“ von Regisseur und Drehbuchautor Harald Sicheritz war nicht sein erster und nicht sein letzter Film, der zum jeweils erfolgreichsten Film des Jahres in der Alpenrepublik wurde. „Freispiel“ (1995), „Qualtingers Wien“ (1997), „Wanted“ (1999), „Poppitz“ (2002) reihen sich hier ein und können allesamt durch tolle Drehbücher, die spritzige Komödie mit ernsten Themen vereinten, und einem herausragenden Cast überzeugen. Und natürlich durch die gekonnte Montage von Ingrid Koller, die alle Schauspielleistungen auf den Punkt bringt und das Tempo der Gesamterzählung immer wieder zwischen Ernsthaftigkeit und Humor austarieren musste. 

 

Was ist lustig? | Aber was zeichnet eigentlich einen guten Schnitt aus? Einen guten Komödienschnitt insbesondere? Das ist auch für Ingrid Koller nicht immer einfach zu beschreiben. Natürlich gibt es Regeln an die man sich halten kann, und bestimmte Herausforderungen die man beachten muss. Etwa, Dialoge anders zu timen, wenn sie Pointen beinhalten, die ein Lachen des Publikums auslösen sollen. Dann muss auch der Schnitt diesen berücksichtigen und dort eine längere Pause machen, damit der nächste Dialogsatz, der wichtig für den Rest der Szene ist, auch akustisch wieder wahrgenommen werden kann. 

Die Fallhöhe ist beim Komödienschnitt größer. Entweder ist er gelungen oder peinlich, es gibt nur wenige Nuancen dazwischen. Framegenau muss manchmal das Timing eines Schnitts sein, damit ein bestimmter Witz beim Publikum ankommen kann. Was ist für das Gelingen aber wesensbestimmend? Was ist lustig? Was nicht? Am Ende ist die eigene Erfahrung und der eigene Geschmack des Filmeditors oft entscheidend dafür, was komödiantisch gelingt und was nicht. Ingrid Koller hat ihren hervorragenden Geschmack immer wieder durch ihre erfolgreiche Arbeit bewiesen. 

 

Regie – Schnitt – Drehbuch | Nicht nur bei der Komödie, sondern bei allen Filmwerken ist das Verhältnis von Regie und Editor im Schneideraum ein besonderes. Ingrid Koller erzählt: „Du bist hier unter vier Augen mit dem Regisseur. Und dort sieht er, was er oder sie für einen scheiß gedreht hat. Wo es nicht funktioniert. Bei den 35 Leuten am Set ist die Regie der Held. Aber im Schneideraum habe ich schon einige verzweifelte Helden gesehen, die mit leeren Augen vorm Monitor sagten: ‘Das geht sich nicht aus’. Gerade für junge Regisseure ist es ein Problem, wenn sie und das was sie tun, in Frage gestellt werden. Sie haben Angst, dass es am Ende nicht mehr ihr Film ist, wenn sie zu sehr auf einen erfahrenen Editor hören würden.“ In ihrer Arbeitspraxis hat Ingrid Koller darum stets eine erste Schnittfassung komplett alleine gestaltet, um erst anschließend mit der Regisseurin oder dem Regisseur in die Szenenarbeit einzusteigen. 

Drehbücher waren in ihrer Karriere immer nur ein reines Arbeitsinstrument, auf das sie nur sehr vereinzelt zurückgriff, um die Reihenfolge von Szenen oder die Übergänge zwischen ihnen zu gestalten. Meistens aber sichtete sie ausschließlich das Material und ließ es durch ihre Montage für sich sprechen: „Denn aus dem Spiel der Schauspieler heraus muss ja schon klar sein, wer der Mörder ist zum Beispiel. Sonst haben wir ein großes Problem“, sagt sie und lacht. Neue Filmangebote kamen eigentlich immer von selbst, abgelehnt habe sie nicht viele und nie ein Drehbuch gelesen, um eine Entscheidung für das nächste Projekt zu treffen. Schließlich könne man ja in der Montage auch weniger gelungene Bücher wieder auf den Punkt bringen. 

 

„Für Komödien kriegt man keine Preise“ | Obwohl sich Ingrid Koller durch ihre bekannten Filme in den 1990ern als eine der besten Filmeditorinnen des Landes etabliert hatte, waren und blieben ihr die Weihen eines großen Filmpreises für Schnitt vorerst verwehrt. Der Regisseur Reinhard Schwabenitzky hatte ihr einmal gesagt: „Kränk dich nicht, Ingrid. Für Komödien kriegt man keine Preise“. Und tatsächlich hat es Genrekino insbesondere im deutschsprachigen Raum schwer bei den wichtigen Preisen, egal wie groß der Erfolg bei Publikum oder Kritik war. Im Gegenteil: Erfolg und Publikumszuspruch sind verdächtig.  

Auch die Wahrnehmung von Ingrid Koller veränderte sich erst mit „ernsteren Projekten“ wie dem großen TV-Zweiteiler „The Ten Commandments“ (2006), wieder mit Regisseur Robert Dornhelm, wofür sie eine Emmy-Nominierung erhielt. 2017 erneut mit dem auf internationalen Festivals gefeierten Drama „Die beste aller Welten“. Der autobiografische Film von Adrian Goiginger erzählt die Geschichte einer drogensüchtigen Mutter, die ihren kleinen Sohn mit der Welt der Fantasie von der harten Wirklichkeit ablenken will. Erstmals war Ingrid Koller für einen „Österreichischen Filmpreis“ nominiert und beim „Schnittpreis“ in Köln wurde sie 2018 die große Gewinnerin des Abends. Es war ihr erster Filmpreis für Filmmontage. 

Nun, im Oktober 2021, wird ihr zweiter großer Filmpreis folgen: Mit dem allerersten Ehrenpreis Schnitt für eine*n Editor*in außerhalb der Landesgrenzen Deutschlands unterstreicht das Festival die enorme Bedeutung des Schaffens von Ingrid Koller für das Kino. 

Das Edimotion-Festival zeigt „Echo Park“ (15. Oktober, in Anwesenheit von Regisseur Robert Dornhelm) sowie „Hinterholz 8“ und präsentiert ein ausführliches Werkstattgespräch mit Filmausschnitten. Am Abend des 18. Oktober wird Wolfgang Ritzberger, Produzent von „Die beste aller Welten“, die Ehrenpreisträgerin mit einer Laudatio ehren und ihr den Preis überreichen. Es ist eine längst überfällige Würdigung, nicht nur in Deutschland. Für eine Frau, die durch ihre Biografie mit der frühesten Filmgeschichte des Landes verbunden ist, die die erfolgreichste und meistbeschäftigste Editorin ist, und die nicht nur durch ihre herausragende Arbeit begeistert hat. Sondern auch als eine der großen Charakterköpfe der Wiener Filmszene, die jeden für sich einnimmt, dem sie mit ihrer Intelligenz, ihrem Charme und Witz begegnet. 

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