#allesdichtmachen, Folge 4: Von Boykott, Recherche und Satire 

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Jan Josef Liefers im „Tatort: Rhythm and Love“. Es gibt tatsächlich Menschen, die zum Boykott der Sendung aufriefen, weil ihnen die Meinung des Hauptdarstellers nicht gefällt. Doch im wahren Leben läuft’s anders als im Netz: Die Folge erreichte eine Rekord-Einschaltquote. | © WDR/Martin Valentin Menke

Noch immer gibt’s viel zu sagen über die Kunst- oder Protestaktion #allesdichtmachen. Damit wäre die Debatte doch angestoßen. Nur dreht die sich nicht um die vergessenen Kulturschaffenden während der Pandemie. Unser Überblick.

Heftig wurde gestritten um die Aktion #allesdichtmachen. Und weil die meisten Diskussionen in Kommentarspalten und Sozialen Medien stattfinden, gab’s auf beiden Seiten auch die bekannten Reaktionen, die zur Wahrheitsfindung wenig beitragen. Da wollen doch tatsächlich Menschen den „Tatort“ boykottieren, weil ihnen die Meinung des Hauptdarstellers nicht gefällt. Sie bleiben aber in der Minderheit, berichtet „Der Tagesspiegel“ aus der Twitter-Welt. „Daneben gab es den Boykott des Boykotts. ,Ich erlaube mir, diesem #TatortBoykott-Blödsinn nicht zu folgen. Und ich behalte mir vor, den #Tatort aus Langeweile abzuschalten.‘ […] Die große Mehrheit der Twitter-Nutzer kehrte unter dem Hashtag #tatort sehr schnell zum üblichen Meinungsaustausch zurück. […] Um die Zukunft des Münster-„Tatort“ muss sich ohnehin niemand sorgen: Der WDR hat sechs weitere Folgen mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl bestellt.“
Das „Altpapier“ des MDR macht sich trotzdem Gedanken über Boykott-Aufrufe: „Damit wäre man also mitten drin in der Kunst-und-Künstler-Diskussion. Dabei ist ein Film doch ein kollektives Kunstwerk, ein Produkt aus der Expertise, Kreativität und Leidenschaft von 13 Gewerken mit sehr vielen Mitarbeiter*innen, die man, wenn man es wegen der Ablehnung eines einzelnen ignoriert, alle mitbestraft.“
Doch solchen Reflexen gibt in der richtigen Welt offenbar doch niemand nach: Der aktuelle Münster-„Tatort“ brach am Sonntag den Jahresrekord, meldet „Der Spiegel“: 14,22 Millionen Zuschauer*innen schauten Liefers bei der Suche nach der Wahrheit zu, der Marktanteil der Folge „Rhythm and Love“ betrug damit 39,6 Prozent.
Besser schnitt in den 39 Folgen aus Münster bislang nur der Fall „Fangschuss“ ab – der erreichte im April 2017 sogar 14,56 Millionen Menschen zu. Allerdings relativiert „DWDL“ den Vergleich: Gleich nach der Erstausstrahlung hatte die ARD am Sonntag die Folge „Rhythm and Love“ bei One wiederholt, weitere 780.000 Zuschauer*innen schalteten ein, was die Quote auf insgesamt rund 15 Millionen Zuschauer*innen brachte. Und: „Keine andere Sendung, außer der ,Tagesschau‘, hat in diesem Jahr bislang mehr Menschen erreicht.“

„Der Tagesspiegel“ hat mit vier Reportern und Recherchehilfe nach „ominösen Drahtziehern“ hinter der Aktion gesucht. In zwei langen Artikeln skizziert sie einen Plan aus dem „Querdenker-Milieu“, die Linien sind aber noch dünn. Am Dienstag hat „Netzpolitik“ nachgelegt: Der Schauspieler Volker Bruch habe einen Mitgliedsantrag bei der Querdenker-Partei „Die Basis“ gestellt. Bruch gilt als einer der Initiatoren von #allesdichtmachen: „Netzpolitik.org konnte eine auf Mitte April datierte Mitgliederliste einsehen, die vorläufige Mitgliedsnummer des Schauspielers endet auf ,967‘. Als Eintrittsdatum wird der 13. März 2021 genannt. Laut dem Medienbeauftragten der Partei David Claudio Siber ist Bruchs Eintrittsverfahren noch nicht abgeschlossen, da seine Identität noch entsprechend einem parteiinternen Prozess verifiziert werden müsse. Neumitglieder müssten demnach zunächst ihren Personalausweis vor einer Webcam zeigen. Es klingt, als sei das bei Bruch aber eher eine Formalie. Siber sagt, man könne bereits mit Gewissheit sagen, dass es sich bei dem Antragsteller tatsächlich um den Schauspieler handele. Die Mitgliederliste stammt aus einem massiven Leck, das im vergangenen Monat bekannt wurde. ,Die Basis‘ hatte zum Teil sensible Daten von rund 15.000 Personen ungeschützt ins Netz gestellt […] Bei der Aktion war der Schauspieler nach Recherchen von Netzpolitik.org Ansprechpartner für eine Reihe von Teilnehmenden, nach der Veröffentlichung wurde der Vorwurf laut, die Verantwortlichen hätten Informationen zurückgehalten. Zu seiner eigenen Rolle schweigt Bruch. Eine Anfrage von netzpolitik.org ließ er unbeantwortet, auf Instagram schreibt er […]: ,Wir haben entschieden, nichts über die Aufgabenverteilung preiszugeben, um jeden Einzelnen zu schützen.‘“

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fasst die Rechercheergebnisse nochmal grob zusammen.

Der Jazz-Musiker Till Brönner hat den Schauspielerprotest #allesdichtmachen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung in Schutz genommen, berichtet die Deutschen Presse-Agentur zum Beispiel im „Tagesspiegel“: „Man kann Menschen wie Ulrich Tukur oder Jan-Josef Liefers nicht unterstellen, dass sie alle abgedriftet sind, sondern darf durchaus neugierig sein, warum gerade sie mit von der Partie waren“, sagte der Trompeter und Komponist. Dabei sei eine Debatte über die Frage, was 50 unzweifelhaft demokratische Künstler sagen wollten, hinter dem „absurden Verdacht“ der Verhöhnung der Corona-Toten in den Hintergrund geraten. Er habe bereits im November 2020 ein längeres Video zur Misere der Kultur- und Veranstaltungsbranche gepostet. „Ich wurde ins „Heute Journal“ und zu Anne Will eingeladen, wurde im Kulturausschuss des Bundestags als Sachverständiger gehört. Der Erdrutsch für die Kultur blieb aber ganz klar aus“, sagte Brönner. Der Föderalismus habe ein Kommunikations- und Administrationsproblem, das vielen Kulturschaffenden in der freien Szene den Garaus gemacht habe. Auf Bundesebene seien zwar Hilfen bewilligt worden, aber die Auszahlung habe nicht funktioniert. Dies sei dem Ruf Deutschlands als Kulturnation nicht würdig. „Dabei bleibe ich“, sagte Brönner. 

In der „Taz“ beendet Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, seine Kolumne und macht sich Gedanken, was Satire darf und soll. „Die Schauspieler*innen, die sich unter dem Hashtag #allesdichtmachen versammelt haben, wollten ihre Beiträge als Satire verstanden wissen. Sie sind aber auch künstlerisch gescheitert. Satire darf alles, sagt ein Merkspruch, nur nicht langweilen. Nachdem wir jede Wochen Querdenken-Veranstaltungen sehen, auf denen mit Anne-Frank-Vergleichen, KZ-Uniformen und Judensternen provoziert wird, bin ich ehrlich gesagt gelangweilt, wenn die Allesdichtmacher Corona mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen. Satire tritt nicht nach unten, lautet ein anderer Merkspruch. Ich kann mir nicht vorstellen, was mehr Nachuntentreten symbolisiert als ein reicher Schauspieler, der die Geräusche der Beatmungsmaschinen imitiert, an denen derzeit Menschen in Todesangst hängen. Satire ist eine Kunstform, aber die Mittel, derer sich die 53 bedienten, sind begrenzt; bis auf triefende Holzhammer-Ironie kommen mir die Beiträge künstlerisch äußerst schlicht vor. In der Aktion sehe ich das Satire-Label eher als Schutzbehauptung für Gepöbel.“
Satire brauche einen „Generalkonsens“, auf den sie sich beziehen kann. Sie „markiert und bestraft die Ab­weich­le­r*in­nen vom Konsens, die ,Wahnsinnigen‘ – in der Abgrenzung entsteht überhaupt erst die kulturelle Konstruktion von Wahn und Vernunft. In Zeiten einer stark polarisierten Gesellschaft, von Fake News und alternativen Fakten, gibt es aber nicht den einen Konsens. Das missfällt mir auch an moralischer Satire, die von links kommt. Wenn sich ein Jan Böhmermann aufs Kollektiv der Vernünftigen bezieht, zu denen Querdenker lediglich die verrückten Abweichler sind, unterschätzt er, dass die Gegenseite sich ebenfalls erfolgreich als vernünftiges Kollektiv konstruiert, das den ,Irrsinn der Maßnahmen‘ aufheben möchte.“
Wie es richtig geht, weiß Mendel auch: „Gute Satire zeichnet sich nicht aus durch Bescheidwissen und überlegene Vernunft, sondern durch Selbstzweifel, Unsicherheit, bewusste Naivität, sokratische Fragen und die Ausstellung der eigenen Fehlbarkeit.“

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie führen zu heftigen Diskussionen und polarisieren. Wie sich das auf das Infektionsgeschehen auswirkt, haben Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung am Beispiel der USA untersucht, berichtet der „Informationsdienst Wissenschaft“: „Die Studienergebnisse zeigen, dass eine politische Aufladung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung kontraproduktiv wirken und das Infektionsgeschehen auch ,befeuern‘ kann.“
Auch für Deutschland waren zwei Forscher der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Corona-Leugner auf die Entwicklung des Virusgeschehens haben. Sie verglichen die regionalen Fallzahlen mit den Busfahrplänen der Bewegung „Honk for Hope“, die anfangs für die Interessen von Busunternehmen protestierte und inzwischen als Unterstützerin der „Querdenken“-Demonstrationen gilt. Viele Teilnehmende seien mit „Honk-for-Hope“-Bussen zu den großen Demos nach Leipzig und Berlin gefahren, die Busse stoppten auch in kleineren Städten, so die Forscher. Ihre (bislang nicht extern begutachtete) Beobachtung: In den folgenden Wochen seien die Sars-Cov-2-Fallzahlen in den Heimatregionen der Demonstrierenden „erheblich“ gestiegen. Das Magazin „Katapult“ liefert die Info-Grafik dazu. 

Spielt die Wissenschaft in der Pandemie eine zu große Rolle? „Die Zeit“ findet solche Bedenken schon in der Antike. „Leider muss man sich heute fragen, wieso den Naturwissenschaftlern noch immer so viel Skepsis und Misstrauen entgegengebracht wird. Es liegen schließlich Jahrhunderte mit überwältigenden Erfolgen hinter ihnen. Auch im Moment leisten sie kaum Erträumtes und stellen in kürzester Zeit Impfstoffe gegen eine Seuche zur Verfügung. Dennoch stehen Virusleugner auf den Straßen und demonstrieren gegen eine Politik, die sie vor der Infektion mit Corona-Viren schützen soll. […] Aber auch in den Eliten tobt eine Diskussion über vermeintliche Wissenschaftsgläubigkeit. […] Vermutlich nicht zufällig sind es oft Großdenker anderer Disziplinen, gerne Philosophen und Historiker, die die Leistungen der sogenannten exakten Wissenschaften relativieren und letztlich diskreditieren wollen. Pikanterweise geben sie sich dann als etwas aus, das sie kaum sein können: Experten des Infektionsschutzes.“
Und dann erklärt die Zeitung die Sache mit der Wissenschaft und ihren Alternativen nochmal ganz langsam: „Ein Naturgesetz ist etwas anderes als der willkürliche Erlass eines Gottes oder seines stellvertretenden weltlichen Patriarchen, der nur bis zum Widerruf gilt. Ein Naturgesetz ist zuverlässig. Er ist nicht von einem Menschen gemacht worden und nicht von einem den Menschen ähnlichen Gott. Deshalb ist die oft gehörte Ansicht, es gebe nicht nur die eine Wissenschaft, man solle alle Meinungen hören, mindestens äußerst ungenau, vielmehr aber ganz falsch. Da keine zwei Wahrheiten zu ein- und derselben Sache nebeneinander bestehen, gibt es als Lehre von der Wahrheit am Ende auch immer nur die eine Wissenschaft. […] Anders als auch die Popkultur behauptet, ist nicht alles relativ. […] Wer nicht weiß, worüber er redet, und immer, wenn ihm etwas nicht passt, das Thema wechselt, kann auch nichts entscheiden.“

Auf „Artechock“ widerspricht Dunja Bialas ihrem Kollegen Rüdiger Suchsland: „Man kann von der Aktion halten, was man möchte. Das Anliegen scheint aber doch ziemlich klar zu sein: Es ging darum, aus Kunst- oder Künst­ler­per­spek­tive (hier Schau­spieler) zu kriti­sieren, dass seit über einem Jahr die Kunst übersehen wird. […] Nun kann hoch­ge­halten werden, dass, nur weil der Beifall aus der falschen Ecke kommt, dies nicht auto­ma­tisch heißt, dass auch das Argument falsch ist. Proble­ma­tisch ist jedoch, dass die Aktion gar kein Argument formu­liert hat. […] Viel wurde geredet und geschrieben über die Aktion und die Miss­ver­ständ­nisse, kaum aber ging es dabei um die Kultur und ihr Verges­sen­sein während Corona.“ 

Was man stattdessen alles mit solch einer Aktion hätte machen können, hatte „Publikum“ schon gleich nach dem Start vor zwei Wochen aufgezählt. Die Liste an Ideen ist lang, denn „es ist ja nicht so, dass es keine Anlässe für das Lachen gäbe, das einem dann im Halse stecken bleiben kann.“

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