Kino in Zeiten von Corona 27

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„Blackbird – Eine Familiengeschichte“ | Foto © Leonine

Alles Kino und noch mehr … in der Woche vom 24. September 2020 – Teil 2.

Eine nervenaufreibende Familiengeschichte, die seit einem Urteil des Verfassungsgerichtes in Sachen Sterbehilfe auch hierzulande an Wichtigkeit gewonnen hat, ist die des dänischen Drehbuchautors Christopher Torpe und des Regisseurs Bille August aus dem Jahr 2014, die Roger Michell („Notting Hill“) für das Hollywood-Kino neu auf die Leinwand setzt: In „Blackbird – Eine Familiengeschichte“ laden Lily (Susan Sarandon) und ihr Mann Paul (Sam Neill) die erwachsenen Töchter Jennifer (Kate Winslet) und Anna (Mia Wasikowska) in jenes Landhaus am Meer ein, mit dem die Familie so viele Erinnerungen verbindet. Susan, unheilbar erkrankt, möchte ihrem Leben ein Ende setzen. Doch bevor sie das tut, verlangt sie von ihren Töchter, dass sie wieder zueinander finden. Wer hier zueinanderfindet ist ein Hochglanz-Cast, das dem Zuschauer nahezu einen theaterhaftes Erleben eines Kammerspiels beschert – und dass noch am Schluss durch einen narrativen Makel getrübt wird.

 

Keine fehlgeleitete Schlusspointe, dafür die flachste narrative Fallhöhe wählte die Autorin Ayn Carrillo Gailey für ihr Memoire „Pornology: Der Pornoführer für anständige Mädchen“, den die Brüder Christ Riedell und Nick Riedell ins Kino bringen. Unter dem deutschen Titel „Brave Mädchen tun das nicht“ machen sie aus der gut gemeinten Erkundung von ungewöhnlichen und noch mehr gewöhnlichen Dingen im Sex-Alltag etwas, was, sagen wir mal, als Höhepunkt des Biederen bezeichnet werden kann.

Ein Herz für Außenseiter hatte der Brite Charles Dickens. Er setzte nicht nur „Oliver Twist“ in die Welt, sondern auch „David Copperfield“. In dem namentlich hier stark verkürzten Werk half er seinem Helden aus dem Arbeitermilieu im viktorianischen London heraus, so wie er sich selbst am liebsten als Schriftsteller aus der Armut geschält hätte. Dabei verlebte Copperfield davor auch eine schöne Kindheit, was auch an seiner Nanny Peggoty (Daisy May Cooper) lag. Die lebte in einem auf dem Kopf stehenden Boot und scharte adoptierte Kinder um sich. Das Leben von Copperfield (Dev Patel) nimmt jedoch wieder eine Wendung: Aus der Armut wird er durch den Tod seiner Mutter zur wohlhabenden Tante Betsey Trotwood (Tilda Swinton) geschickt. Hier begegnet er auch dem exzentrischen Mitbewohner Mr. Dick (Hugh Laurie). Was Charles Dickens seinerzeit nicht ahnte: Der von ihm als monatliche Fortsetzungsgeschichte erstveröffentlichte Bildungsroman gibt nun die Vorlage für die serielle Narration des Briten Armando Iannucci („The Thick Of It“). Und der jagt so furios und virtuos durch die Szenerie des Schriftstellers, dass es eine helle Freude ist.

Ein Herz für Aufreißer hat wiederum die Jugendliche Luka (Lou von Schrader), die in „Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht“ selbst nichts anbrennen lässt. Doch als sie auf Ben (Max Kuess) trifft, ist es plötzlich anders. Einen eher biederen Weg schlägt ihre Freundin Momo (Melissa Irlowa) ein, die sich per Videochat in einen Jungen verliebt. Der hütet jedoch ein Geheimnis: er sitzt im Rollstuhl. Völlig losgelöst von konservativen Lebenswerten sind wiederum Jakob (Kerem Abdelhamed) und Anna (Sara Toth), die online Sex vor anderen haben und damit viel Geld verdienen – auch wenn oder weil Anna erst 16 ist. Die Drehbuchautorinnen und Regisseurinnen Iliana Estanol und Johanna Lietha kennen die Problemlagen der Digital Natives gut und haben ihren Cast auch in Clubs oder anderen Locations gefunden. Beim Max Ophüls Preis wurden sie mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet.

Diesen lustigen Teil hat die Bibel leider nicht überliefert: Nämlich dass schon nach 147 Tagen die Lebensmittelvorräte auf der Arche zur Neige zu gehen drohen. Der junge Nestrier Finny (Daniel Kirchberger) und seine beste Freundin Leah (Maximiliane Häcke) vernichten aus Versehen auch die letzten Reste, gehen dann auch noch vom Schiff und: „Ooops! 2 – Land in Sicht“! Auf einem Floß erreichen sie eine geheimnisvolle Insel, auf der sich eine eigene Tierart vor fleischfressenden Artgenossen zurückgezogen hat. Was die Bibel auch nicht vorausgesagt hat: Der erste Teil der frei erzählten Geschichte, für rund 8,4 Millionen Euro entstanden, hatte 2015 weltweit fast 20 Millionen Euro eingespielt.

Von Mutterliebe biblischen Ausmaßes erzählt auch die Regisseurin Katrin Gebbe („Tore tanzt“) in „Pelikanblut“ ohne eine kitschige Tonlage anzuschlagen. Wiebke (Nina Hoss) betreibt einen eigenen Reiterhof, auf dem sie Polizeipferde auf ihren herausfordernden Arbeitsalltag vorbereitet. Sie hat schon ein Kind adoptiert und will noch eines aufnehmen. Doch die kleine Raya (Katerina Lipovska) ist viel mehr als ein Windfang. Sie ist gewalttätig und terrorisiert ihr Umfeld und ihre Mitmenschen. Wiebke führt das auf eine Traumatisierung zurück und möchte dem Mädchen helfen. Wie extrem diese ausfallen kann, dekliniert die Filmemacherin Gebbe gekonnt mit filmstilistischen Mittel. Und setzt dem Unterfangen ihrer Protagonistin ein ungewöhnliches erzählerisches Ende.

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