Gedanken in der Pandemie 98: Macht kaputt, was Euch kaputt macht!

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Gerührt, nicht geschüttelt: Mit seinen Romanen prägte John Le Carré den Spionagefilm wie kein anderer. Statt Martinis im Smoking beschrieb er moralische Grautöne wie in „Verräter wie wir“. Am Samstag ist er im Alter von 89 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben. | Foto © Studiocanal

Verräter wie wir: Die nur dröge Verwaltung der Katastrophe: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 98.

„Die moderne Menschheit hat zwei Arten von Moral: eine, die sie predigt, aber nicht anwendet – und eine andere, die sie anwendet, aber nicht predigt.“
Bertrand Russel

 

John Le Carré ist gestorben. Desillusionierung und moralische Grautöne konnte man von ihm lernen. Neben vielen guten Büchern bleiben tolle Verfilmungen und wunderbare Interviews. 

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Sie ist die unbekannteste Schriftstellerin Brasiliens, aber eine der besten des 20. Jahrhunderts: Clarice Lispector. Allein dieser Name macht Lust, die Romane und Geschichten zu lesen, die gerade wieder in Neuübersetzungen erschienen sind. Bis zum Freitag kann man im Deutschlandfunk die „Lange Nacht“ über Lispector hören, die auch viel über Brasiliens Geschichte erzählt. 

Überhaupt Brasilien! „Gute Manieren“ heißt einer der interessantesten basilianischen Filme der letzten Jahre, der gerade in der Arte-Mediathek zu sehen ist. 

Tropische Gedanken können im Lockdown nur helfen. 

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Aufregend ist die Hörcollage „T.A.Z. – Temporäre Autonome Zone“, die im Deutschlandfunk zu hören ist, und bei der viele gute deutsche Schauspieler mitgearbeitet haben. Zum Beispiel Alice Dwyer, Bernhard Schütz, Hans-Jochen Wagner. 

Es geht darin um den „anarchistischen Ontologisten“ Hakim Bey alias Peter Lamborn Wilson, der unter diesem Titel 1991 eine Sammlung kulturpolitischer und philosophischer Essays veröffentlichte. Hakim Bey fordert Dinge wie „Bildet keine Menschenketten – vandalisiert!“, „Protestiert nicht – verunstaltet!“ 

Das mag gewöhnungsbedürftig sei, aber vielleicht sollte man sich die – von guter Musik untermalten – knapp 50 Minuten einfach mal anhören, und überlegen, ob man da manches nicht gerade jetzt gut brauchen könnte? Als Therapie gegen das ganze Mitmachen.

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Es ist jetzt schon klar: Der neue sogenannte „Harte Lockdown“ wird nicht am 10. Januar zuende sein. Jeder weiß es. Kein Politiker sagt es aber offen. Und das ist schon das erste Problem. Als ob es bewußt darum ginge, die Leute mürbe und müde zu machen. 

Vor allem aber: Der Lockdown wird die gewünschten Ergebnisse nicht bringen. Das ist jetzt schon klar. Es wird keine wesentliche Verbesserung der Zahlen geben. Warum?
# Die meisten Ansteckungen finden unter Privatpersonen in Privatwohnungen statt. Hier greift der Lockdown nicht.
# Die meisten Toten sind wieder Menschen über 80 und besonders Bewohner von Alters- und Pflegeheimen. Auch hier greift der Lockdown nicht.
# Auf dem Land spürt man den Lockdown gar nicht. Das ist gut für die, die auf dem Land leben. Aber schlecht für die Infektionszahlen. Ein Gang zum Bäcker, die fünf Minuten beim Blumenhändler, der Sprung zum Metzger sind es… Corona-Partys gibt es nur noch wenige illegale. Aber: Wo alle alle kennen, werden gern maskenlose Schwätzchen gehalten, bei Leuten, die man kennt wird man sich „schon nicht infizieren.“ In der Provinz gehen gerade die Zahle hoch.
# Wo der Lockdown möglicherweise doch etwas greift, tut er das erst in frühestens zwei Wochen. Zugleich beginnt dann aber der Rückschlag durch die absehbaren Infektionsschübe um und nach Weihnachten.
# Größere Teile der Bevölkerung „machen nicht mehr mit“. Längst nicht mehr. Die Unterstützung des Lockdowns in weiten Bevölkerungsteilen ist brüchig. Entgegen der Mär, das alle klugen und moralisch gefestigten Menschen „für ihre Mitmenschen“ sehr gern den Lockdown annehmen, wird dieser mehr „mit der Faust in der Tasche“ geduldet, als innerlich angenommen.

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Es ist traurig, dass der Regierung eigentlich gar nichts einfällt, außer Appellen und Einsperrmaßnahmen. 

Keine Strategie, keine Belohnung bei Erfolgen, kein „Narrativ“, keine Utopie (im Sinne einer Aussicht auf bessere Zeiten), keine Erzählung. Nur bleiernes Weiter-So, nur dröge Verwaltung der Katastrophe.

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Was machen wir eigentlich, wenn der harte Lockdown auch nichts bringt? Einen noch härteren? Und dann? 

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Oder fangen wir dann mal an, den Virus wirklich zu bekämpfen und nicht nur mit Handlungs-Simulation zu reagieren? 

Was sie Lockdown nennen, sind keine Verbote, jedenfalls keine die irgendwie sanktioniert werden, außer den Masken-Zwang in einer Öffentlichkeit, die gerade heruntergefahren wird. Und auch da längst nicht in allen Bereichen – zugleich ist klar: Auch wenn jeder eine Maske tragen würde, dann wäre damit die Infektion nicht beendet, sondern nur reduziert. 

Es ist auch klar: Wenn die Leute nur noch zu Hause sein könnten – viele können es gar nicht, zum Beispiel die berühmte Frau an der Supermarktkasse – dann wäre damit nichts beendet. Man muss anders vorgehen.

Deswegen fragt man sich, warum nicht die Dinge, die kaum Geld kosten würden, aber sinnvoll sind, umgesetzt werden. Warum übernimmt man nicht zum Beispiel die Tübinger Politik mit und gegenüber den Alten und den Risikogruppen? 

Das heißt: Spezielle Zeiten im Supermarkt, die für diese Gruppen reserviert sind, um dort einzukaufen. Zweitens das Recht, statt dem öffentlichen Personennahverkehr ein Taxi zu benutzen, und die Differenzkosten werden dann öffentlich erstattet. Auch das ist eine Form der Subvention, aber vielleicht eine viel bessere als die, dass man ganze Branchen schließt, die noch nicht mal Pandemie-Herde sind, und die dann durchsubventioniert. 

Warum nicht Risikogruppen, soweit dies möglich und soweit dies freiwillig ist, in ein Lockdown nehmen? Warum nicht Zwangs-Test in Altersheimen? Für alle: Ärzte, Pfleger, Putzkolonne, etc., Besucher sowieso. 

Warum nicht kostenlose FFP-2-Masken auch für über 70-jährige außerhalb von Anstalten? 

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Wir wollen stattdessen – das ist das gemeinsame Ziel -, nicht in erster Linie die Infektionszahlen senken, sondern in erster Linie die Zahl der Intensivpatienten senken, um das Krankenhauspersonal zu entlasten. Nach wie vor bleibt es dabei: für die allerallermeisten Menschen ist eine Infektion mit Corona im Schnitt nicht gefährlicher als andere Atemwegsinfektionskrankheiten. 

Trotzdem hält man sich mit ellenlangen Debatten über Schulen und Schulschließungen und Hybrid-Unterricht und ähnlichem auf. Eine Woche wird über Luftfilter in Klassenräumen diskutiert, am besten noch selbstgebaute. In der nächsten Woche wird darüber diskutiert, ob die Kinder doch Super-Spreader sind. In der übernächsten Woche darüber, ob vielleicht die Lehrer die in den Herbstferien Urlaub gemacht haben die Infektion in die Schulklassen hinein getragen haben. In der vierten Woche geht es um die Belastung dieser Lehrer, mit denen Schüler und Eltern Mitleid haben sollen. In der fünften Woche darum, warum Hybrid-Unterricht nicht möglich ist oder eben doch möglich ist. Und in der sechsten Woche geht wieder alles von vorne los. 

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Es ist richtig, die Querdenker vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, wie es jetzt in Baden-Württemberg geschieht. Denn offensichtlich werden sie zunehmend von Rechtsextremisten unterwandert. Aber man sollte sich vor dem Trugschluss hüten, dass alle Proteste und Skepsis gegen die Maßnahmen der Regierung mit dieser Gruppe identifiziert werden. Das größte Problem in der derzeitigen Debatte scheint mir, dass es sich die klare Mehrheit, die die Maßnahmen der Regierung im großen Ganzen in Ordnung findet, viel zu einfach mit den Kritikern macht. Denn Mehrheit ist kein Argument.

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Der in Deutschland entwickelte Impfstoff wird in Großbritannien bereits angewandt. In diesen Tagen nun beginnt auch die Anwendung in den USA und in Kanada. Deutschland selbst enthält bis Ende Januar aber nur vier Millionen Impfdosen. 

Das bedeutet das bis dahin maximal – höchstwahrscheinlich weniger – zwei Millionen Menschen geimpft werden kann. Super! Wenn es in dem Tempo weitergeht, dann haben wir die nötige Mindestimpfquote von zwei Dritteln der Bevölkerung schon im April 2023 erreicht!

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Muss das eigentlich sein? Ist es jetzt nationalistisches oder anderes Ressentiment, dieses Vorgehen zu kritisieren? So eine Haltung liegt mir fern. Und es wäre auch völlig sinnlos, in einer globalisierten Welt nur ein Land impfen zu wollen. 

Aber könnte man nicht bei der Zulassung in Europa etwas auf die Tube drücken. Um damit mal anzufangen. Die Hauptprobleme liegen aber in der Produktion: Offenbar fehlen insbesondere Rohstoffe. Warum können die Wirtschafts- und Gesundheitsministerium nicht deren Beschaffung priorisieren?

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Sorry für die Impfgegner unter euch Lesern, aber für diese Position habe ich überhaupt kein Verständnis.  Ich habe einzelne Mails bekommen, in denen es zum Beispiel heißt, der Impfstoff bewirke ja „nur zu ca. 97%“ einen Schutz vor Ansteckung. „Nur“ 97%!!! Ich hab die Zahl nicht überprüft, aber was soll das heißen? Das ist ein besseres Ergebnis, als Wladimir Putin bei allen Wahlen je erreicht hat. Und selbst wenn – was bislang völlig unklar ist – Geimpfte unter Umständen trotzdem ansteckend sein können, würde eine Impfung helfen. Zudem man ja nicht Kranke impft. Pauschal gegen Impfungen zu sein, ist eine wissenschaftsfeindliche Alterative-Facts-Position und esoterisch. 

Natürlich finde ich es richtig, dass man erstmal alle die impft, die das selber wollen – am besten wäre es allerdings, wenn die Impfgegner dann auch unterschreiben, dass sie auf Corona-Behandlung verzichten, dann hätte man für die übrigen mehr Platz im Krankenhaus. 

Aber wenn es dann irgendwann für den allgemeinen Ansteckungschutz nötig ist, auch andere zu impfen, sollte man wieder eine allgemeine Impfpflicht einführen. 

Wenn es das wert ist, das komplette kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben auf Null zu stellen, und zukünftige potentielle Tode in Kauf zu nehmen, weil heute „jedes Leben zählt“, und wir jetzt zusätzliche Tode im einstelligen Prozentbereich vermeiden wollen, dann wird man auch für das gleiche Ziel die sehr geringe Möglichkeit einzelner Impfschäden in Kauf nehmen müssen. 

Ähnlich argumentiert auch Nikolas Blome im „Spiegel“: „Impfpflicht! Was denn sonst?“ heißt sein Text. Bund und Länder hätten in den letzte Monaten nicht gespart mit Ge- und Verboten, mit dringenden „Empfehlungen“ und mit Lockdown-Maßnahmen. Doch ausgerechnet in der Frage einer Impfpflicht „ziert sich die Obrigkeit und will regulatorisch außen vor bleiben, wiewohl absolut unbestritten ist: Wenn alle geimpft sind, die es gesundheitlich vertragen, sind Lockdown und hohe Infektionszahlen Geschichte. […] Aber nein, die Politik fürchtet die Impfpflicht.“ 

Aber Impfen ist „eine Pflicht wie jene, Mitmenschen in Bedrängnis zu helfen oder Zivilcourage zu zeigen, wenn es gegen Schwache oder Fremde geht. Außerdem ist das Impfen eine ökonomische Pflicht angesichts von Arbeitslosigkeit, Verschuldung und der Gefährdung zahlloser Existenzen infolge fortgesetzter Lockdowns.“ 

„Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“ 

Recht hat er. 

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Zumindest in Afrika gibt es, wie die „Berliner Zeitung“ berichtet, mehr Tote durch den Lockdown, als durch das Virus. 

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