Gedanken in der Pandemie 95: Better watch out, better not cry …

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caption=“Oh-oh! Der Lockdown wird verlängert. Hier ist unser Weihnachtsfilmtipp, passend zum Zitat des Tages. | Foto © 20th Century Fox“

Optimisten und Polizisten: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 95.

„You better watch out/ You better not cry/ You better not pout/ I’m telling you why
Santa Claus is coming to town
He’s making a list,/ He’s checking it twice,/ He’s gonna find out who’s naughty or nice
Santa Claus is coming to town
He sees you when you’re sleeping/ And he knows when you’re awake/ He knows if you’ve been bad or good/ So be good for goodness sake…“

1932 von John Frederick Coots zu einem Text von Haven Gillespie 

Ja, wer kriegt denn nun den Impstoff? Als erstes? Das ist die zweite Frage, denn die erste ist, ob es denn überhaupt einen Impfstoff gibt? Vor Ostern, meine ich. 

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Risikogruppen – sagt man immer so. Vieles spricht dafür. Und dann erst das Klinik- und Pflegepersonal. Aber warum nicht umgekehrt: Erst die Leute, die noch gesund sind und sich dauernd mit Kranken auseinandersetzen müssen. Sind sie nicht noch gefährdeter, als die Risikogruppen? Und dann: Wenn es stimmt das junge gesunde Menschen „Superspreader“ sind, warum sollen sie nicht zuerst Impfstoff bekommen um das dann nicht mehr sein zu können? 

Aber diese Frage wirft uns natürlich auf das nächste Problem: Was heißt es eigentlich, geimpft zu sein? Bedeutet es dass man dann auch andere nicht mehr anstecken kann? Oder bedeutet es nur, dass man selber nicht krank werden kann? Fragen über Fragen. 

Jede dieser Entscheidungen, egal wie sie nun ausfällt, ist eine konkrete Entscheidung über Menschenleben. Wer soll leben, wer soll sterben. Und mit welchem Recht sollen alte Menschen leben und junge ein höheres Sterberisiko haben? 

Und dann natürlich die Frage, wer überhaupt Risikogruppe ist? Sind wir nicht alle irgendwie Risikogruppe? Je nach Rechnung gehört in der Bundesrepublik nämlich ein knappes Drittel der Bevölkerung zu Risikogruppen. 

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Der Lockdown-light der mal „Wellenbrecher-Lockdown“ genannt wurde, und nur bis zum 30.November dauern sollte, der aber dann, nachdem er die tatsächlich Welle gebrochen hatte, wenn auch nicht in eine Talsenke verwandelt, kurzum verlängert wurde, bis über Weihnachten hinaus, das er doch angeblich retten sollte, dieser Lockdown-Light, der jetzt schon bis zum 10. Januar verlängert ist, und garantiert noch weiter verlängert werden wird, weil er einfach nicht in der Lage ist, die Zahlen im Winter wieder auf das Sommer-Niveau zu senken, dieser Lockdown verwandelt sich langsam in einen harten Lockdown. Die Zahlen werden trotzdem nicht wirklich sinken – warum? Weil die tatsächlichen Ursachen nicht angegangen werden. Weil die Menschen sich weiterhin treffen und zwar privat. Weil die Menschen ist längst leid sind und keine Lust haben, diese Maßnahmen, die nicht richtig erklärt werden mitzumachen – und dann noch auf der Basis, ass die Politik das Mitmachen nicht belohnt. Und weil die Bürger denken: Warum sollen sie denn konsequent sein, wenn die Politiker offen inkonsequent sind?

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Bayern zieht Konsequenzen aus seinen hohen Zahlen. Als einziges Bundesland will Bayern jetzt seine Archive und Bibliotheken schließen. 

Ein gedankenloses, vollkommen unverständliches Verhindern der Wahrnehmung von existierender Kultur. Als ob Leute nicht gerade während des Lockdowns mal ein Buch gebrauchen können.

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Zu Beginn der Corona-Pandemie haben viele Länder die Schulen zeitweise geschlossen. Wie schnell sie dann wieder geöffnet wurden, hing allerdings sehr stark von der Einstellung der Länder zu berufstätigen Frauen ab, und dazu, ob und wieviel Mütter eigentlich arbeiten sollten.

Eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung belegt jetzt diesen Zusammenhang zwischen dem Ansehen berufstätiger Mütter in einer Gesellschaft und der Dauer von Schulschließung in der Corona-Pandemie. „Wir haben herausgefunden, dass die Einstellungen arbeitenden Müttern gegenüber, wie sehr Mütter arbeiten sollen, eine maßgebliche Rolle dafür gespielt haben, wie schnell die Schulen wieder geöffnet wurden“, sagte Natalie Nitsche, eine der Verantwortlichen, im Deutschlandfunk. Die Studie zeigt, dass in Gesellschaften, in denen die Berufstätigkeit von Müttern stärker befürwortet wird, die Schulen signifikant früher wieder geöffnet wurden als in Ländern, in denen diese nicht so stark unterstützt wird. „Wir hatten die Vermutung, dass die Normen und Werte, die in einer Gesellschaft dazu vorherrschen, eine Rolle gespielt haben“, so Nitsche, „wir waren aber überrascht ob der Deutlichkeit der Ergebnisse.“

Ob das jetzt deshalb gleich „Gender-Ideologie“ ist, wie die Autorin kommentiert? Der Begriff kommt mir selbst umgekehrt etwas ideologisch vor. Handelte es sich hier nicht um Europa, sondern um ein afrikanisches Land, würden die Autorinnen vielleicht eher von „gewachsenen kulturellen Vorstellungen“ sprechen, die man „natürlich berücksichtigen“ müsse. Und ist jede Einstellung eine „Ideologie“?

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Viele, die Verständnis für die Maßnahmen äußern, tun das mit dem Grundtenor: Alles halb so schlimm, außerdem vernünftig und nötig und zuhause und im Netz kann man doch viel machen. Stimmt. Ist aber eine Luxusposition. Man muss erstmal eine Wohnung haben und Verhältnisse, die groß genug sind, 

Begründet werden die Maßnahmen, die für sich genommen kaum nachweisbare Effekte haben, gern mit dem Argument der „Risikominimierung“. Davon abgesehen, dass ich offenbar ein anderes Verhältnis zum Risiko habe, finde ich, dass solche Argumente nur ein spezielles Risiko benennen, alle anderen aber ausblenden. Auch andere Risiken – soziale, ökonomische, gesundheitliche jenseits von Corona, Bildungsdefizite, Grundrechtseinschränkungen, um jetzt nur ein paar zu nennen, die mir sofort einfallen – kosten ganz konkret Menschenleben. Aber selbst wenn es nicht der Fall wäre, müsste man sie ernst nehmen. 

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Optimisten gesucht: Auf artechock spricht Dunja Bialas mit dem Münchner Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther über Kinos im Lockdown, warum er keine Berührungsängste mit Streaming-Diensten hat und weshalb das deutsche Filmfördergesetz dringend überholt werden muss. 

Kuchenreuther ist einer der wenigen Kinobetreiber, der sich von der Kino-Lobby, sprich: den Funktionären seines eigenen Verbandes, der AG Kino, nicht beeindrucken lässt. Die AG Kino gehört zu den Organisationen, die Kinobetreiber zumindest zu sanktionieren und einzuschüchtern versuchen,  wenn sie Filme von Streaming-Diensten in ihren Kinos zeigen, oder wenn sie sonstwie mit den Auswertungs-Richtlinien des Verbandes brechen.

Kuchenreuther erzählt: „Als ich ,Roma’ und ,The Irishman’ eingesetzt habe, hatte die Branche gerade zum Boykott der Streaming-Dienste aufgerufen. […] Im Grunde war das eine Fortsetzung des Boykotts, der schon 2017 in Cannes begonnen hatte. […] Als mir der Film angeboten wurde, hat mich das aber überhaupt nicht gekümmert. Mir geht es um ein möglichst gutes Programm, und ich wollte meinen Kinogängern den Film von Alfonso Cuarón nicht vorenthalten. Alles andere wäre wie eine Zensur gewesen. Ähnliches ist ein Jahr später mit ,The Irishman’ passiert.“ 

Das Auswertungs-Fenster „ist aber Bestandteil des Filmfördergesetzes (FFG). Durch Corona ist das Gesetz endgültig obsolet geworden. Es ist hinfällig und nicht mehr praktikabel. Es hat sich selbst überholt! Das ist ein Gesetz von 1967! […] Keiner will sich mehr an die Gesetzmäßigkeiten der deutschen Filmförderung halten.“

Daraus folgt für Kuchenreuther: „Es muss sich eine ganz andere Förderung finden.“

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Polizisten gefürchtet: Die neueste Folge von Jan Böhmermanns „Magazin Royale“ kann ich dringend empfehlen. Schon weil er sich diesmal der Polizei annimmt und sehr gut erklärt, wo dort die strukturellen, die politischen und die moralischen Probleme liegen. Aber auch die ästhetischen, wenn man etwa das Photo der Polizei von Mittelfranken bei Minute 23 anschaut. 

Die Polizei erscheint vielen Bürgern nicht als „Freund und Helfer“, sondern als die Leute, bei denen man besser die Seite wechselt, wenn sie einem auf der Straße entgegen kommen. 

Übergriffe sind natürlich nur Einzelfälle. „Ein Einzelfall nach dem anderen,“ sagt Böhmermann, „ich könnte den ganzen Tag Einzelfälle aufzählen.“ Nicht nur Neonazi-Netzwerke, und „Ho-Ho-Holocaust“-Weihnachtsgrüße, deren Urheber bei der Berliner Polizei noch Karriere macht. Sondern auch ganz normale Kriminalität: „Manche dealen mit Drogen, manche stoßen zum Spaß Obdachlose um. […] Die Polizei ist nicht das Spiegelbild der Gesellschaft – sie muss besser sein.“

Wichtig ist: Böhmermann es nicht grundsätzlich gegen die Polizei, wie seine früheren Videos etwa „Ich hab’ Polizei“ beweisen. Aber er legt den Finger in die offenen Wunden unserer Gesellschaft. Warum tun das die Nachrichtensendungen der öffentlich rechtlichen Sender nicht in ähnlicher Weise? Warum braucht es dafür eine sogenannte Satiresendung, die nach 23 Uhr läuft?

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