Gedanken in der Pandemie 79: Schluss mit lustig! 

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Wir wiederholen ein Foto aus dem Frühjahr. Leider. Ab Montag werden die Kinos wieder dichtgemacht. | Foto © Elisabeth Nagy

Geht ins Kino: Und dann Winterschlaf oder doch Aufwachen: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 79.

„Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Es ist richtig, und es ist wichtig, und es ist unverzichtbar, dass die Maßnahmen, die die Pandemie bekämpfen sollen, und die teilweise erheblich sind, und erheblich in unsere Freiheitsrechte eingreifen, öffentlich diskutiert, öffentlich kritisiert und öffentlich auf ihre Angemessenheit hin befragt werden. Das begreife ich als Zeichen unserer offenen Gesellschaft.“
Angela Merkel, Regierungserklärung am 29. Oktober 2020

„Hurra, hurra, die Schule brennt!“
Extrabreit

 

Es ist wieder Corona! Im letzten kurzen Sommer gab es öfters Momente, da habe ich gedacht: Wie schön war doch eigentlich Corona! Wie schön waren diese zwei Monate oder ein bisschen länger zwischen Anfang März und Anfang Mai, in denen das Leben zwangsweise stillgelegt war. Jetzt ist es wieder soweit. Der große Unterschied ist, dass wir in die Dunkelheit hinein reisen. In die Dunkelheit des Winters. In den nasskalten November, den Monat, in dem sich schon ohne Corona die meisten Menschen, übers Jahr gerechnet, umbringen. In Berlin, das sich zu dieser Zeit auch nicht groß von Warschau unterscheidet, ist es alles noch viel schlimmer, als wenn man in München oder Freiburg oder Köln oder Mannheim wohnte, aber dort ist es auch schlimm genug. Jetzt ist es wieder soweit. Viel Zeit zum Lesen, Fersehgucken, Schlafen. Aber ich gebe es zu: Die Freude bleibt aus.

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Der Lockdown ist da. Aber erst ab Montag. Ich weiß: Viele werden jetzt noch einmal richtig ausgehen. Noch einmal das Wochenende nutzen zum Leute-sehen, feiern, tanzen, sich öffentlich betrinken, Essengehen, Ausgehen. Die meisten von uns wissen, dass das Ganze erst der Anfang ist von diesem „langen Winter“, den die Kanzlerin uns bereits prophezeit hat. Die meisten von uns glauben, ahnen, fürchten, dass am 30. November nicht alles vorbei ist, sondern dass der Ausnahmezustand sich selbstverständlich verlängern wird, verlängert werden wird von den Regierenden, die es ja nur gut mit uns meinen. Hinein in den Dezember, hinein vielleicht bis zum 23.12., damit wir es dann Weihnachten richtig krachen lassen können. Denn das Weihnachtsfest, das ist den Deutschen heilig. Da wird selbst Corona sich zurückhalten und uns nichts Böses tun. 

Bis es soweit ist, ist das kommende Wochenende, dieses Wochenende das allerletzte schöne des schon vergangenen Sommers. Danach ist Schluss mit lustig. Darum verstehe ich jeden, der dieses Wochenende Besseres zu tun hat. Wer aber irgendwie dafür Zeit und Muße und Lust aufbringt, dem möchte ich dringend raten: Geht ins Kino! Geht an diesem Wochenende noch einmal ins Kino!! Nicht einmal, nicht zweimal, sondern mindestens dreimal!!! Es gibt eine ganze Menge guter Filme, die sich lohnen. Gerade in den letzten Wochen sind viele gestartet. Manche von ihnen kann man, wie das mit guten Filmen halt leider so ist, nur in den Kinos der Großstädte sehen. Oder in den mittelgroßen Städten. Einige mit Glück auch noch woanders. 

Aber zumindest für die, die die Filme sehen können, möchte ich einfach die Titel nennen. Die Filme, von denen ich ganz ganz sicher glaube, dass man sie unbedingt im Kino gesehen haben muss (und, wenn es irgendwie möglich ist, auch in Originalversion), sind in der Reihenfolge meiner Präferenz: „Zombi Child“ von Bertrand Bonello; „Beanpole“ (oder auf deutsch: „Bohnenstange“) von Kantemir Balakov; „Ema“ von Pablo Larain; und „Rojo“ von Benjamin Naishtat. 

Wenn man diese Filme gesehen hat, oder wenn man diese nicht sehen kann, und sich etwas anderes anschauen will, dann wünsche ich einem deutschen Film auch einen glücklichen Filmstart: „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz – viele von euch haben sicher schon gelesen, dass dieser Film von denen, die dafür zuständig sind, zum deutschen „Oscar“-Kandidaten ernannt wurde. Ob der wirklich bessere Chancen hat als „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani oder „Enfant Terrible“ von Oskar Röhler, weiß ich nicht. Aber auch darüber könnt ihr alle am besten nachdenken, wenn ihr ihn gesehen habt.

Also: Geht noch einmal ins Kino. Solange es das noch gibt. 

Dies wäre die erste, leichteste Tat zum Erhalt unserer Kulturstätten.

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Der Lockdown ist da. Darum sind wir auch wieder da! Als Newsletter, also in einer direkteren und regelmäßigeren Form. Schön! Das gibt uns die Gelegenheit, einerseits euch, liebe Leser, wieder wie im Frühjahr und Frühsommer etwas näher zu begleiten durch diese nicht immer angenehme Zeit. Mit euch und für euch Medien zu lesen, zu hören oder anzusehen, also Medien zu beobachten, mit euch gemeinsam abzuwägen, zu reflektieren. 

Und euch auch ein etwas breiteres Spektrum der Meinungen und Urteile zu präsentieren. Es geht hier (das habe ich zwar schon öfter geschrieben, aber besser einmal zu oft, und auch zur Erinnerung an alle, die es vergessen haben und für die, die neu dazu gekommen sind) weder darum, „alternative Fakten“ zu präsentieren, oder gar Fake-News, noch darum, zu meckern. Sondern genau, wie es Kanzlerin Angela Merkel, an der es viel zu kritisieren gibt, aber auch manches zu loben, in ihrer gestrigen Bundestagsrede gesagt hat: „Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Es ist richtig, und es ist wichtig, und es ist unverzichtbar, dass die Maßnahmen, die die Pandemie bekämpfen sollen, und die teilweise erheblich sind, und erheblich in unsere Freiheitsrechte eingreifen, öffentlich diskutiert, öffentlich kritisiert und öffentlich auf ihre Angemessenheit hin befragt werden. Das begreife ich als Zeichen unserer offenen Gesellschaft.“ 

Es geht in diesem Medien- und Gedankenblog darum, die allgemein zugänglichen Medien, also nicht irgendwelche Fake-News-Produzenten oder das Darknet oder jene, die sich als Apostel der Wahrheit gegen die „Lügenpresse“ aufspielen, zu durchforsten, aber sehr wohl darum, auch vom Mainstream, den wir eh kennen und alle konsumieren, wegzugehen und das sichtbar zu machen, was an den Rändern der Öffentlichkeit geschieht, was oft übersehen wird – so wie man auf einen Independent-Film oder  Experimentalfilm oder ein Arthouse-Werk, das unter den 15 bis 20 Kinostarts pro Woche leicht untergeht, oder nach Mitternacht in den öffentlich-rechtlichen Sendern versendet wird, aufmerksam macht. 

Das wollen wir etwas sichtbarer machen. 

Was ihr liebe Leser, dann mit diesem Sichtbaren tut, das bleibt euch überlassen, und das kann euch auch niemand abnehmen. 

Das bedeutet nicht, dass wir nicht eine ganz klare Haltung haben. Das wichtigste Element dieser Haltung ist: Selber denken! Sich nicht vom Urteil anderer abhängig zu machen, sich nicht dumm machen zu lassen durch Filterblasen, Meinungs-Ströme und (tatsächliche oder vermeintliche) Mehrheiten, sondern genauso, wie man irgendwelche marginalen Produkte besser zwei- oder dreimal anschauen würde, bevor man ihnen glaubt, auch das, worüber sich scheinbar alle einig sind, zu überprüfen, und auch hier ein zweites Mal hinzuschauen. Noch wichtiger ist mir, darauf aufmerksam zu machen, dass diejenigen, die vorgeben, genau Bescheid zu wissen, das meistens überhaupt nicht tun. Und darauf aufmerksam zu machen, dass es in den ganz allgemeinen von allen veröffentlichten und geteilten Positionen oft massive Widersprüche gibt. 

Diese Widerspüche sind gerade das Salz in den Debatten. 

Denn keiner weiß Bescheid. Auch nicht Christian Drosten. Auch nicht Angela Merkel. Und wir schon gar nicht. Darum fragen wir nach. 

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Das gilt natürlich nicht für alle. Manche wissen ja gerade oder sogar schon seit Februar ganz genau Bescheid. Sie sollten sich bitte alle bei mir melden und mir Bescheid geben, damit ich endlich auch Bescheid weiß. Danke!

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Oft genug zitieren wir hier ja von „taz“ bis „FAZ“, von „Markus Lanz“ bis „Anne Will“-immer-noch sehr wohl totalen Mainstream. Oder gibt es Mainstreamigeres? 

Da wollen wir eben dann im Mainstream das sichtbar machen, was auch hier mal untergeht, überhört worden ist oder eben einfach so interessant, dass es den zweiten Blick wert ist. Dann kommt natürlich noch dazu, dass ein paar Menschen doch in einer Weise arbeiten oder mit ihren Freunden, ihren Kindern und ihrer Familie so beschäftigt sind, dass sie eben nicht bis weit über Mitternacht hinaus „Markus Lanz“ gucken können. 

Oder sie feiern gerade eine Party – zehn Leute, zwei Haushalte, Masken und auf Abstand, was sonst? Wow. 

Wir mache hier keine Werbung für Verbotenes, am Ende kommt noch Klabauterbach mit seinem Rollkommando.

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Zur Genüge debattiert wurde auch der Aufruf von Till Brönner zum Erhalt der Kulturstätten. Was ich selbst dazu zu sagen habe, ist hiermit verlinkt, brauche ich hier nicht zu wiederholen.

Was daraus folgt, dazu in der kommenden Woche Weiteres.

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Auch die Akademie der Künste fordert mehr Differenzierung bei den Maßnahmen. In einer noch sehr diplomatisch formulierten Pressemeldung der Akademiepräsidentin und Filmregisseurin Jeanine Meerapfel vom 30. Oktober heißt es: „In Zeiten einer sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft sind Kunst und Kultur substantiell für unseren sozialen Zusammenhalt. Sie müssen daher ebenso wie Bildung eine zentrale Rolle spielen bei allen strategischen und strukturellen Überlegungen. Es gilt, die Vielfalt einer Gesellschaft zu erhalten, um Krisen zu überwinden und Konflikte auf friedliche Weise zu lösen. Die Akademie der Künste erklärt sich nach wie vor solidarisch mit den von Politik und Wissenschaft vorgegebenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Die erneute Schließung von Museen und Ausstellungen, Theatern, Konzertsälen, Kinos u.a. verursacht jedoch gesellschaftlichen und kulturellen Schaden kaum absehbaren Ausmaßes. Die Akademie der Künste fordert, dass den hervorragenden Hygienekonzepten der Institutionen und Einrichtungen bei den künftigen Entscheidungen Rechnung getragen wird.“

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Schön gesagt. Und alles, um das deutsche Weihnachten zu schützen – den Infektionsherd Nummer eins. Wenn sich die Familien dann treffen nach einem langen Lockdown, wird es wieder hoch gehen. 

Schon jetzt wird alles weiter hoch hergehen, weil die Lokale und Kultureinrichtungen nicht die Ursachen und nicht die Verbreitungsorte der Pandemie sind. Dies sind Familienfeiern. Und die kann man nicht kontrollieren. Hier kann man nur die Bürger überzeugen. Und genau diese Überzeugung gelingt den Regierenden immer weniger.

Ausgetragen wird das alles, vor allem das gute Gewissen der Untätigen und die Handlungssimulation der Politik, auf dem Rücken der Kultur. Es ist ein Trauerspiel. Es macht zornig. Es wird hoffentlich schon nächste Woche von den Menschen, Parteien und Verbänden in Grund und Boden geklagt, und von den Gerichten aufgehoben. 

Aber das ausgerechnet die Judikative, die Justiz und das Recht, sich zum Hort des Widerstands gegen Regierungspolitik entwickeln, ist auch absurd. 

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Leseempfehlung fürs Wochenende: Weiter Don DeLillo. Und Klaus Brinkbäumer: „Nachruf auf Amerika!“ Nicht das neue Buch mit Stephan Lamby, sondern das von 2016, das gerade im Modernen Antiquariat verramscht wird. 

Sehempfehlung: Nicht „Hausen“, da war ich schwer enttäuscht – außer man ist komplett bekifft und betrunken. 

So kann man natürlich auch Maybrit Illner und Markus Lanz der vergangenen Woche angucken, und die komplette Bundestagsdebatte mit und zu Merkels Regierungserklärung. Aber das geht auch nüchtern. „Komplett“ heißt ganz ausdrücklich (und es tut mir selbst leid, dass ich das hier so schreiben muss) mit den zehn Minuten Alexander Gauland. Der sich im Ton, kaum überraschend, komplett vergreift und hyperventiliert, aber auch leider leider der einzige ist, der im Bundestag mal Friedrich Schiller zitiert. 

Das ist sozusagen meine Hausaufgabe an euch, liebe Leser 😉

Ein besonders schönes Wochenende!!!

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