Corona: Brancheninfo 35

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Kinos im Stillstand 5: Das „Cinema Paris“ in Berlin. | Foto © Elisabeth Nagy

Die Kulturschaffenden haben’s in der Krise schwer, für die auf Projektdauer Angestellten sieht das Hilfsangebot noch etwas enttäuschender aus. Wie es ihnen geht, was sie bekommen und was sie bräuchten, versuchte eine Umfrage zu ermitteln. Die Ergebnisse stellen wir heute vor. 

Wir danken Ihnen für Ihre Informationen, Ergänzungen und Korrekturen, Fragen und Kommentare. Und bitten um Verständnis, wenn wir nicht alle persönlich beantworten können. 

 

Der Schauspieler Thommi Baake hat seine Corona-Zuhause-Zeit in einen Song gepackt – die Musik stammt von The Knack: „Dieses Video kostete so viel, wie ich als Künstler gerade verdiene.“

 

In der Krise sind viele Filmschaffende in einer besonders prekären Situation: Wer auf Projektdauer angestellt ist, kann mitunter aufs Kurzarbeitsgeld setzen, doch all jenen, die zwischen zwei Projekten standen, bleibt lediglich das Arbeitslosengeld, oft in der „Grundsicherungs“-Version 2. Doch wie viele sind das überhaupt? Wie stark sind sie betroffen? Welche Maßnahmen wurden bereits ergriffen, welche versprechen Erfolg und was ist wünschenswert für eine Bewältigung der Krise? 1.145 Filmschaffende haben sich vom 23. bis 26. April an einer Umfrage beteiligt, initiiert von Alexander Spohn, Administrator der Interessengemeinschaft Licht und Bühne München. Die Ergebnisse in sieben Punkten:

1. Gegenwärtige Vertragssituation:
25,8% der auf Produktionsdauer beschäftigten Filmschaffenden steht zurzeit unter Vertrag.
22,1% haben einen Vertrag, der zwischenzeitlich ausgelaufen ist oder noch auslaufen wird (Spohn: „Erfreulicherweise wurden nur 7% aller Verträge gekündigt“).
30% hat eine mündliche Absprache oder ein so genanntes Dealmemo für ein geplantes Projekt.
11,9% haben im Zeitraum der Krise keinen Vertrag.

2. Unterbrochene Projekte (bei dieser Frage waren mehrere Antworten zur Auswahl möglich):
21,7% haben ein Vertragsverhältnis, das bis zur Wiederaufnahme des Drehs bestehen bleibt.
14,0% der Vertragsverhältnisse werden hingegen nicht aufrechterhalten.
34,4% sind zu einer Wiederaufnahme des Drehs (und somit dem Fortbestand des Vertragsverhältnisses) noch unklar.
31,1% wurde frühestens zur Wiederaufnahme des Projekts ein erneuter Vertrag angeboten.

3. Vereinbarte Projekte:
43,9% werden frühestens zum neuen Startdatum eines zukünftigen Projektes angestellt.
8,1% wurde eine zukünftige Anstellung abgesagt.
3,7% werden zum ursprünglich vereinbarten Zeitraum regulär angestellt.
16% werden zum vereinbarten Termin in Kurzarbeit genommen.
„Zusammengerechnet bricht also über der Hälfte der Teilnehmer zumindest vorerst ihr vereinbartes Projekt weg“, so Spohn. 

4. Vertragsverhältnisse:
33% geben an, dass die Produktionsfirma nicht darum bemüht sei, das Vertragsverhältnis bis zum Dreh aufrecht zu erhalten.
14% geben an, dass dies im Moment noch unklar sei.
30% bleibt der Vertrag erhalten.
23% gaben hier an: „Trifft auf mich nicht zu“.

5. Gage und Kurzarbeitergeld:
17% erhalten ihre volle Gage bis zum Vertragsende.
44,2% erhalten eine verminderte Gage.
10,9% ist dies noch unklar.
27,9% sind nicht davon betroffen. 

Fast der Hälfte (46,6%) der auf Produktionsdauer Beschäftigten wurde Kurzarbeit (KUG) angeboten beziehungsweise angeordnet. Ein Großteil davon erhalte KUG „voraussichtlich nicht bis zur Wiederaufnahme des Projekts“, so Spohn.

6. ALG 1 und Hartz IV:
38,8% beantragen während der Krise ALG 1.
4,3% beantragen direkt ALG 2/Hartz IV.
5,3% haben keinen Antrag gestellt.
18,7% müssen sich nicht arbeitssuchend melden.
28,7% gaben „nicht zutreffend“ an.

7. Finanzielle Situation (bei dieser Frage waren mehrere Antworten möglich):
58,8% leben überwiegend von ihren Rücklagen.
49,3% leben von ALG 1.
24,4% von KUG.
10% von ihrem regulären Gehalt.
10% beziehen ALG 2/Hartz IV oder eine andere Unterstützung. 

In seinem Fazit macht Spohn „noch viele Unsicherheiten“ aus: Bei der Kurzarbeit, die für die Branche neu ist, sei „eine klare Richtungsweisung seitens der Politik sehr wichtig.“ Ähnlich bei den mündlich vereinbarten Projektzusagen, den Dealmemos: Die seien zwar in der Branche üblich, auch hier müsse aber juristisch geklärt werden, ab welchem Punkt hier ein Vertragsverhältnis zustande gekommen ist. 

„Aus Sicht der Filmschaffenden wäre es wünschenswert, wenn Kurzarbeit zur Überbrückung bis zum Drehstart deutlich mehr in Anspruch genommen werden würde“, so Spohn. Damit würde man auch diejenigen erreichen, die in dieser schwierigen Zeit keinen Anspruch auf ALG 1 haben. Glücklicherweise gehen einige Produktionen diesen Weg bereits. Die Sender haben ebenfalls Unterstützung für Produktionsausfälle zugesagt. So dürfte auch die Aufstockung in vielen Fällen keine große Hürde mehr darstellen.
Eine klare Befürwortung der Kurzarbeit für die kulturell wichtige Filmbranche seitens der Politik würde den Produktionsfirmen Sicherheit geben und dazu beitragen, langfristig Arbeitsplätze in der Branche zu erhalten. Die auf Produktionsdauer beschäftigten Filmschaffenden behalten ihre Jobs, und die Filmproduktionen auch in Zukunft ihre Fachkräfte.“

 

Vor zwei Wochen bereits hatten wir von Plänen der Bundesregierung berichtet, unter anderem die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld 1 (ALG) zu verlängern. Das Bundeskabinett hat am vorigen Mittwoch den Gesetzentwurf zum sogenannten „Sozialschutz-Paket II“ beschlossen – darin enthalten ist auch die Verlängerung der Bezugsdauer fürs ALG 1). Auch „Der Spiegel“ berichtete.
Nun müssen Bundestag und Bundesrat dem Gesetzentwurf noch zustimmen. Als Drucksache 19/18966 liegt er (mit dem Datum von gestern) dort bereits vor.  

 

Es soll wieder gedreht werden – doch mit ausreichendem Arbeits- und Gesundheitsschutz. Welche Schutzmaßnahmen erforderlich sind, beschreibt ein Katalog von sieben Berufsverbänden: Kinematografie (BVK), Fernsehkameraleute (BVFK), Montage (BFS), Beleuchtung & Bühne (BVB), Filmton (BVFT), Schauspiel (IDS) und Stunt (GSA) hoffen, mit den „aus der Praxis und auf der Basis der RKI-Vorgaben entwickelten Maßnahmen einen Beitrag zum Re-Start unserer Filmbranche zu leisten.“ Unter der Überschrift „Wir wollen drehen – aber sicher!“ sprechen die Filmschaffenden auch Grundsätzliches an, ohne das alle Vorkehrungen nichts bringen:
„Alle Beteiligten akzeptieren, dass die ,normale’ Produktionsgeschwindigkeit in einer Pandemie aufgrund des Gesundheitsschutzes nicht zu erreichen ist. Letztlich werden mehr Drehtage und zum Beispiel eine zweite Kamera notwendig sein. Die dafür nötigen Mittel müssen von den Auftrag gebenden Sendern und Filmförderern zur Verfügung gestellt werden. Die Produktionsfirmen können diese Maßnahmen nicht aus ihrem ,Standardbudget’ finanzieren. Alle Beteiligten akzeptieren, dass ein erhöhter Personalbedarf besteht.“

 

Wie ist die Situation der Postproduktions-Unternehmen? „Das Jahr ist gelaufen.“ Das Fachmagazin „Film & TV Kamera“ sprach mit Andreas Fröhlich, Geschäftsführer von Act Head Quarter, über die aktuelle Lage der Filmdienstleister.

Zu alt für den Film? Weil Menschen über 60 Jahre zur Risikogruppe für Corona-Infektionen zählen, sollen Drehbücher jetzt so umgeschrieben werden, dass Schauspieler in diesem Alter gar nicht mehr vorkommen. Aber wollen wir wirklich auf Helen Mirren, Judi Dench und Harrison Ford verzichten? fragt die „FAZ“.

„Action!“ – so lautet das klassische Kommando, wenn der Regisseur dem Ensemble am Set den Einsatz für die Szene gibt. Handlung gehört zum Film. Aber muss in Filmen immer etwas passieren? fragt Rüdiger Suchsland im „Deutschlandfunk“: Schon mit den Dokumentarfilmen in den 1920er-Jahren gewann schließlich das kontemplative Kino an Bedeutung.

Noch müssen sich Kinobetreiber in Bayern gedulden: Bei der Pressekonferenz des Ministerpräsidenten blieb diese Kultursparte noch völlig außen vor. Auf Nachfrage machte das Gesundheitsministerium aber immerhin den Weg für Open-Air-Kinos wieder frei.

Mit einem Pop-Up-Autokino in Heilbronn war man erfolgreich, nun beteiligt sich die Stuttgarter Kinostar an drei weiteren Autokinos in Haßloch, Schwäbisch Hall und Limbach.

„Die Zeit läuft uns weg“: Vor der heutigen Bund-Länder-Konferenz zum weiteren Vorgehen in der Coronavirus-Krise hatte der Deutsche Kulturrat eindringlich dazu aufgerufen, Perspektiven für das Wiederanlaufen von Kulturangeboten zu schaffen.

 

„Die Corona-Krise hat die Filmbranche schwer getroffen, und die Hilfsmaßnahmen von Bund und Ländern greifen nur unzureichend“, schreibt Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik und Verbraucherschutz der Grünen im Bundestag. Darum formulierte sie Maßnahmen, wie die Bundesregierung die Branche unterstützen soll. Vieles davon geht auf bestehende Vorschläge und Kritiken ein. Unter anderem fordert die Grünen-Politikerin „Planungssicherheit und einen Zeitplan für die schnellstmögliche Wiedereröffnung der Kinos“, eine Absicherung von Drehausfällen, Rettungsfonds für Kulturschaffende und Solo-Selbstständige und „im Rahmen der Soforthilfe einen monatlichen Pauschalbetrag in Höhe der Pfändungsfreigrenze – von 1.180 Euro“ nach dem Vorbild Baden-Württembergs. Mit Hilfen allein soll es aber nicht getan sein: „Darüber hinaus“ fordern Rößner und ihre sechs Mitunterzeichner aus Bundestag und Länderparlamenten einen „Runden Tisch zur Rettung der Kinos und der Filmbranche: „Die Filmbranche ist sehr divers. Die derzeitigen Fördermaßnahmen werden dieser Vielfalt nicht gerecht. Filmschaffende und Betriebe der Filmbranche fallen oft sowohl durchs Raster der Kulturförderung als auch der Wirtschaftsförderung.“

Auch in dieser Woche lädt die Deutschen Akademie für Fernsehen (DAFF) zur Masterclass. Der Fernsehfilm „Ein Dorf weht sich“, eine Koproduktion von ORF, ZDF und Arte, erzählt die wahre Geschichte vom Widerstand der Bergarbeiter von Altaussee gegen die Sprengung ihrer Salzmine gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und von der Rettung der dort versteckten Beutekunst.

Im Livestream spricht Pit Rampelt vom ZDF mit Gabriela Zerhau (Regie und Drehbuch), Carsten Thiele (Bildgestaltung), Dominik Giesriegl (Musik) und Monika Hinz (Kostüm) über die Produktion. Die Materials läuft am morgigen Donnerstag, 7. Mai, um 17 Uhr. Den Link zur Teilnahme gibt es mit der Registrierung.  

 

Die Zukunft ist online. Auch „cinearte“ macht zurzeit Pause für diese Brancheninfos. Darum schreibt Christoph Brandl seine Doku-Kolumne „Das wahre Leben“ solange hier: 

Daniel Sponsel und Adele Kohout, die Leiter des Münchner Dokfests@home sind hin- und hergerissen, so kurz vor dem Start der ersten Online-Ausgabe dieses renommierten Publikumsfestival. Haben sie richtig entschieden, das Filmfestival online anzubieten? Wird es sich rechnen, bei einer Gebühr von 4,50 Euro pro Film? Haben sie das Festival gerettet? Vielleicht auf Kosten der Kinos, die der Zuschauer allerdings mit einem freiwilligen Solizuschlag von einem Euro pro Film unterstützen kann?
Ähnliche Fragen mit unterschiedlichen Antworten haben sich auch die Macher der Filmfestspiele von Cannes (in den Herbst verschoben), die der Filmfestspiele von Venedig (soll stattfinden statt wie geplant), des Filmfests München (abgesagt), des Trickfilm-Festivals Stuttgart (online), der Visions du Réel aus der Schweiz (online), des IDFA (beides, online und im Herbst in den Kinos) gestellt.
Während die Europäer also noch unentschlossen sind, ob sich in der Krise schon eine Vision für die Zeit danach entwickeln liesse, setzt man in den USA auf die Streaming-Variante. Nicht nur das: die Corona-Zeiten scheinen in den Amerikanern einen nicht zu stillenden Hunger auf Online-Kino auszulösen, oder sie sind der zahllosen Amazon-, Netflix- Disney- und Apple-Mainstreamangebote vielleicht auch überdrüssig geworden. Die Filmabteilung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York hat kürzlich eine derartig umfassende Streaming-Liste erstellt, dass man wohl Krise bis ans Lebensende haben müßte, um auch nur einen Bruchteil dieses Angebot wahrnehmen zu können. Gelistet werden die Webadressen zu Online-Filmfestivals, Corona-Festivals, Web-Adressen von Zusammenschlüssen national und international arbeitender Produzenten und Verleiher, Filmarchiven aus Berlin, Korea, Japan und Sundance, Frauenfilmzusammenschlüsse in Russland, Scorseses privater Filmsammlung, Sammlungen prämierter französischer Kurzfilme etcetera. Gefühlt ist alles online zu sehen, was in der über 100-jährigen Filmgeschichte an Dokumentar- und Spielfilmen weltweit jemals produziert wurde, ob kurz oder lang, stumm, in UHD, Schwarzweiß, auf Suaheli oder in Ost-Timor, für Arthouse, für die LGBTQQIAAP-Community, für Blinde oder Hörgeschädigte. Auf der Homepage des MoMA heißt es hierzu: „Lassen Sie die exotischen Possen von Joe Exotic und Carole Baskin hinter sich und entdecken Sie ein ganzes Universum klassischer und innovativer Filme direkt an Ihren Fingerspitzen. Hier finden Sie eine umfassende Liste einiger unserer bevorzugten Streaming-Sites, von denen viele kostenlos oder für ein paar Pennys verfügbar sind. Und wenn die Quarantäne aufgehoben wird und wir aus unseren Höhlen herauskommen dürfen, werden Larisa Shepitko, Apichatpong Weerasethakul, Carroll Ballard und Mati Diop bekannte Namen sein … zumindest bei Ihnen zu Hause.“
Frohes Bingen, kann man da nur wünschen.

Ohne Mundschutz: Wie aus dem Dokfest München ein Online-Festival wurde – an dem die berühmte Geigerin Hilary Hahn in Massachusetts ebenso teilnehmen kann wie Zuschauer aus Köln oder Hamburg.

 

Kreativ in der Krise. „Aktuelle Lebensumstände“ ist ein Filmwettbewerb auf filmrebell.tv. 17 Kurzfilme sind bereits zusammengekommen – zum Beispiel der Familiencoronakurzfilm „Les enfants et l’invité non invité“: „Entstanden unter strengsten Corona-Hygiene-Richtlinien in Berlin, Graz und Ludwigshafen. Der Kontakt zur Außenwelt bestand nur über Telefon, Internet und über das Fenster zum Hof“, versichert der Producer Thomas Theo Hofmann. Einreichungen sollen noch bis 15. Mai möglich sein. 

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