Warum es Sinn macht, auf der Berlinale rum zu stehen #calltoaction

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Ganz so einfach ist es nicht...

Leider nicht meine Füße. Weil mein Fotograf krank ist, hab ich hier auf das COVER meines Kooperationspartners: MAX-BROWN-HOTEL-MAGAZIN zurück gegriffen. Das Motiv stammt von Maxime Ballesteros.

#calltoaction #thefutureisunwrittennow #tellyourstory

Dieses Jahr war ich auf der Berlinale zu ein paar Empfängen eingeladen. Natürlich bin ich hingefahren. Ich habe meine schönsten Kleider angezogen, meine höchsten Schuhe (an dieser Stelle ein großes, ernst gemeintes Dankeschön an meine Füße). Meine Recherche nach dem Festival hat ergeben, dass Botoxeinspritzungen in die Fußsolen das Schmerzempfinden längerfristig senken können. Ich hatte „Lokalanästesie Fuß“ gegoogelt. Und war wenig überrascht, dass so was längst praktiziert wird, nur noch krasser. Meine Güte. Tut das nicht. Eine kurze, spontane Vollnarkose reicht doch völlig aus.

Letztes Jahr konnte man, äh frau ja auch in Turnschuhen gehen,

da gab es die Initiative #nowbodysdoll, (über die hab ich HIER geschrieben, sie waren gegen sexistische Klamotten und zu hohe Schuhe auf dem roten Teppich) dieses Jahr hab ich von denen leider nix gehört und hab mich deshalb freundlich lächelnd auf brennenden Sohlen zwischen all den anderen Berlinale-Gästen eingereiht.

Ich habe einige Hände schütteln dürfen

und es hat sich oft genug angefühlt, wie eine kleine Audienz. Immerhin. Nicht JEDER war bereit, seine Zeit in ein Gespräch mit mir zu investieren. Dafür hab ich jede Menge Kolleginnen und Kollegen ebenso porös rumstehen sehen, wie mich selbst. Und habe innerlich jedem von Ihnen für sein Standing applaudiert. (Und das nicht nur wegen der super-hohen Schuhe, die die meisten Frauen trugen. Mein Applaus galt auch den männlichen Kollegen). Ihr wisst, es ist mein Lieblingsthema: Sich selbst zu Markt zu tragen ist sehr diffizil.

Du stehst da rum, eingekeilt zwischen den anderen Veranstaltungsbesuchern,

den Regisseuren, Produzenten, Politikern und Branchenstars, die alle irgendwelche Projekte pitchen, oder ihren neusten Film lancieren, du überlegst, ob dir dein Preisschild vielleicht gerade hinten aus dem Kragen rutscht, als immerhin ein Fotograf sein Objektiv in deine Richtung wendet. Wahrscheinlich wegen deiner super Beine, zahlt sich halt aus, die Schmerzen und die hohen Schuhe denkst du dann, drückst deinen Rücken durch, pustest kaum merklich einen winzigen Atemstrom Richtung Kamera (macht man, um die Lippen voller wirken zu lassen und die Wangen schmaler) da sagt der Fotograf:

„Könnten sie bitte zur Seite treten junge Frau, hinter Ihnen steht EIN STAR“.

Naja. Hinterher ist es lustig. Wenn man darüber schreibt. (Darüber wie TOLL, wie AMAZING, und EXITING alles war, könnt ihr auf all den anderen Profilen lesen).

Auf der Schauspielschule mussten wir vor Publikum den Satz sagen: „Hier stehe ich, ich bin ganz offen, aber bitte tut mir nicht weh“. Das ist immer noch das Darsteller-Credo. Wir kommen. Wir stehen dort herum. Wir übernehmen gern die Rollen, für die wir vorgeschlagen werden. Auch die ganz kleinen. Wir leihen ihnen unsere Stimme, unseren Körper, das Gesicht – und die echten, großen Emotionen. Warum? Um Geschichten zu erzählen, zu unterhalten und davon zu leben. Leider sind dabei nicht unsere Fähigkeiten das Entscheidende, es ist unsere Verpackung auf die wir nur sehr wenig Einfluss haben.

Wer sucht sich das schon aus?

Sein Alter, sein Geschlecht? Die Nasengröße, Haarfarbe, Beinlänge, diese ganzen Dinge. Was ist mit denen, die nicht in das Schema passen? Den Dicken, den nicht ganz so Hübschen, den Erfolglosen, den Kinderreichen, den Traurigen, den Frauen ab 40, denen mit dunkler Hautfarbe, oder denen, die sich überhaupt nicht kategorisieren lassen? Eigentlich sind es doch die, die die Geschichten zu erzählen haben, oder nicht?

Um raus zu finden, wie das andere so sehen, habe ich die Veranstaltung der PRO QUOTE FILM besucht.

Die PRO QUOTE FILM vereint die Stimmen der Filmschaffenden in Deutschland, die für eine ausgewogenere Teilhabe diverser und vielfältiger Bevölkerungsgruppen vor und hinter der Kamera eintreten. Zu einer dieser Gruppen, der Frau ab 40 VOR der Kamera, gehöre ich. (Die aktuelle Studie sagt:“ Ab dem 30. Lebensjahr verschwinden Frauen sukzessive von Bildschirm und Leinwand“). Die anderen Gruppen, deren Teilhabe verbessert werden soll, haben es, wie ich dort erfahren habe, sogar noch schwerer: Weibliche Asian-, Black- und Latino-Charactere sind in Deutschland immer noch eher die Ausnahme, vor allem kämpfen sie mit den gängigen Stereotypen (Afrikanische Putzfrau/Prostituierte, türkische Hausfrau mit Kopftuch usw.). Darsteller/innen mit Behinderung schaffen es nur in Ausnahmefällen überhaupt vor die Kamera.

Ich hab euch hier mal ein Piktogramm abfotografiert,IMG_20190218_094146_resized_20190218_094221924-e1550481510321-768x576

es sieht nicht gut aus, für uns Frauen und zwar egal ob vor der Kamera oder dahinter.
(Sehr irritierend fand ich z. B. die Tatsache, dass es letztes Jahr keine Tatort Drehbücher von weiblichen Autoren gab. Schreiben die keine?! Ich glaub’s ja nicht).

Die Initiatoren von PRO QUOTE FILM (im Veranstaltungsraum saßen ca. 85% Frauen, die anwesenden Männer konnte man an einer Hand abzählen) haben ein ganzes Heft drucken lassen, ein Dokument der Ungleichheit und Dominanz.

Als Gastrednerin war Deborah Williams eingeladen, Executive Director des Creative Diversity Network für das British Film Institute, kurz BFI. Sie hat die Diversitätsstandards für das BFI entwickelt und erschien als quicklebendiger Beweis für alles was uns vorenthalten wird: Deborah ist schwarz, sie hat nur eine Hand, sie ist eine Frau in den 50ern und sie hat die witzigste und inspirierendste Rede gehalten, die ich seit langem hören durfte. Ihre Aufforderung: „Was man nicht sieht, kann man nicht ändern, also zeigt euch gefälligst“ hat mich sehr ermutigt.

Natürlich tut es weh, zu den „Betroffenen“ gezählt zu werden.

Frau ab 40. Stark unterrepräsentiert auf der Leinwand, steht herum auf Filmbranchen-Empfang, trägt ein schönes Kleid, in dem das Preisschild innen klebt, lächelt, schüttelt Hände, bekommt kurze Audienzen, wird manchmal ignoriert, fragt sich, ob ihr Auftritt auf der Berlinale nicht eigentlich total sinnlos ist. Ob sie da nicht lieber zu Hause bleibt und ein paar richtig gute Filme guckt und dann sagt eine: „Zeigt euch. Und zwar alle!“. „Die Zukunft ist noch unbeschrieben, werdet Autorinnen eurer eigenen Geschichten“. „Seid aktiv!“

Das hat sehr gut getan. Alles doch nicht sinnlos, selbst die Blasen an den Füßen:

Ich habe mich gezeigt. Hab meinen Platz behauptet. Hab gelächelt und gekämpft. Und ich gehöre jetzt dazu. Zu den PRO QUOTE FRAUEN. Antrag auf ordentliche Mitgliedschaft läuft. (Ist nicht teuer, man kann einmalig spenden, ruhig auch symbolisch, es geht erstmal um die Sache). Und ich hab meine Geschichte hier öffentlich gemacht. Meine persönliche Berlinale-Lern-Erfahrung. Siehe da, es war eine Gute.

Kleiner Nachtrag: Natürlich akquiriert man auf der Berlinale keine ROLLEN. Wer das erwartet, kann wirklich zu Hause bleiben. Leider. (Ausnahmen bestätigen die Regel). Darum geht es nicht. Es geht, sagen wir, um die FARBE. Des Ganzen. Der Veranstaltung an sich. Wenn da diejeniegen von vorneherin fehlen, die nachher auch nicht besetzt werden, sortiert sich die Farbe selber aus. Bin ich verständlich? Keine Ahnung. Erst die Schuh-Metapher, jetzt irgendwas mit Farbe… Ach, ich veruch’s mit Deborah Williams Worten: „You shouldn’t be there in order to just change YOUR world, try to change THE world instead“.

Traut euch! Männer! Frauen! Mädchen! Jungs! Erzählt eure Geschichten! Folgt dem #calltoaction #thefutureisunwrittennow

P.S. Wen’s interessiert: Hier habe ich mich mit den LICHT und SCHATTEN -Seiten unseres Berufes beschäftigt

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