Systemwechsel: Regieassistenz oder Assistant Director?

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Für das Drama „Euphoria“ arbeiteten Produzenten aus Großbritannien, Schweden und Deutschland zusammen – da können mit dem ­deutschen System der Regieassistenz nur wenige etwas anfangen, meint Benedict Hoermann (hinten): „Man kann sich weltweit an jedes Set stellen, und sofort sind die Verantwortlichkeiten und Abläufe klar.“ | Foto © Jürgen Olcyk, Tatfilm

Assistant Director oder Regieassistent? Fast die ganze Filmwelt arbeitet nach dem ersten System, doch in Deutschland tut man sich noch schwer damit. Dabei sei es besser für die wachsenden­ ­Erfordernisse geeignet, meint Benedict Hoermann von der Assistant Directors Union.

Herr Hoermann, im Frühjahr hat sich die Assistant Directors Union (ADU) als eigenständiger Berufsverband vorgestellt. Sie vertreten die Interessen der (Assistant Directors (AD) und Regieassistent*innen. Gehören sie nicht in den Bundesverband Regie?

Das hat mit unserer Entstehungsgeschichte zu tun. Die ADU gibt es schon länger, und anfangs ging es uns nicht darum, einen Berufsverband zu gründen …

Sondern?

Die meisten von uns sind Quereinsteiger. Regieassistenz ist ja kein Ausbildungsberuf. Die Chance, von anderen zu lernen, ist kaum gegeben. Wir sind Autodidakten. Ich selbst bin 2001 in diesen Beruf „reingerutscht“, hatte aber nie die Chance, mich wirklich intensiv mit anderen Regieassistent*innen auszutauschen. oder von anderen zu lernen. So kam ich vor Jahren auf die Idee, eine Plattform zu schaffen, auf der sich Regie­assistenten und AD begegnen und Erfahrungen jeglicher Art austauschen können.

Wozu ein Berufsverband ja unter anderem ebenfalls da ist.

Natürlich. Wenn der Verband einer Berufsgruppe den nötigen Stellenwert einräumt. Für mich war der BVR die Interessenvertretung der Regisseur*innen. Wie intensiv dort die Lobbyarbeit für die Berufsgruppe Regieassistenz betrieben wird, war mir nicht klar.
Nichtsdestotrotz habe ich eine andere Auffassung von meiner Arbeit als der BVR. Dort wird dIe Regieassistenz noch als die künstlerische „rechte Hand“ der Regisseur*innen verstanden. Ich hingegen habe mich schon früh mit dem angelsächsischen AD-System identifiziert, bei dem ich die Regie nicht nur kreativ, sondern überwiegend logistisch und organisatorisch unterstütze.

Warum wird in Deutschland anders gearbeitet?

Das liegt noch an den alten Strukturen, die nie aktualisiert worden sind: die Regieassistenz als Sprungbrett zur Regie – ähnlich wie beim Theater. Daher kommt der Fokus auf den kreativen Arbeitsbereich; die Logistik hat man traditionell der Produktionsleitung überlassen.
Außerhalb Deutschlands wird jedoch nahezu weltweit nach dem AD-System gearbeitet – sogar in den ehemaligen Ostblockländern. Deutschland ist das einzige Land, dass nach dem Aufnahmeleitung-Regieassistenz-Prinzip arbeitet.

Die Assistant Directors gehören demnach in die Produktionsabteilung statt zur Regie?
Weder noch. Sie sind eine eigene Abteilung: Wir kümmern uns um Organisation, Koordination, die Sicherheit und den Ablauf eines Drehs. Wir übernehmen Aufgaben aus der Aufnahmeleitung, Set-Aufnahmeleitung und sogar aus der Produktionsleitung. Der große Vorteil hierbei ist, dass Informationen in einer Abteilung gebündelt werden und nicht über mehrere verstreut sind.

Die Organisation mag anders sein, aber auf die traditionelle Weise klappt es doch auch.

Eben nicht mehr. Mag sein, dass es vor 20 Jahren noch gut funktioniert hat, aber die Anforderungen haben sich stark geändert. Die Projekte sind komplexer und umfangreicher geworden. Die Art zu produzieren erfordert eine deutlich präzisere und fehlerfreiere Planung und Umsetzung als noch vor 20 oder selbst vor 10 Jahren. Mit dem klassischen Modell kann man heutzutage keine größeren Projekte mehr stemmen, da viele zum Beispiel mit einem Dreh im Ausland oder einem internationalem Cast verbunden sind. Und außerhalb Deutschlands kann niemand etwas mit dem deutschen System anfangen.

„In Großbritannien werde ich ganz anders behandelt“, hatten sie vor zwei Jahren auf den Regie­tagen berichtet.
International hat ein 1st AD einen viel höheren Stellenwert als hierzulande. Er oder sie ist sehr gut ausgebildet und auf Augenhöhe mit Produktionsleitung und Herstellungsleitung. Ein 1st AD genießt große Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, was zu großer Verantwortung führt. Produzenten wissen, dass gute 1st AD Pfeiler der Produktion sind und ein gutes AD-Team Sicherheit in der Planung und beim Dreh verspricht.

Wie das?

Das AD-System ist klar hierarchisch aufgebaut. Man lernt von der Set-Produktionsassistenz an und steigt Stück für Stück zum 3rd AD, zum 2nd und dann zum 1st AD auf. Dadurch hat man oft Jahre in der gleichen Abteilung verbracht und unter unzähligen „1sts“ gearbeitet, denen man bei jedem Schritt ihrer Arbeit zusehen konnte. Das AD-System hat viele Stufen. Man arbeitet sich langsam Schritt für Schritt nach oben, lernt von den anderen, mit der Erfahrung steigen die Anforderungen. Im deutschen Regieassistenz-System ist diese Form der langjährigen Ausbildung nicht möglich.

Es gibt doch auch 2. und 3. Regieassistenzen und Script/Continuity.
Eine 3. Regieassistenz gibt es nur auf dem Papier. Meist ist das ein Titel, der Praktikant*innen gegeben wird, um sie aufzuwerten und darüber hinwegzutäuschen, dass sie kaum oder wenig bezahlt werden.
Die 2. Regieassistenz ist erst seit dem vorigen Jahr überhaupt als Beruf anerkannt und in die Gagentabelle aufgenommen worden – für eine viel zu geringe Gage, die der Verantwortung des Berufes überhaupt nicht entspricht. Bei dieser schlechten Bezahlung kann niemand diesen Beruf der 2. Regieassistenz über Jahre hinweg ausüben. Zudem ist der Sprung von der 2. zur 1. Regieassistenz heute viel zu groß. Die 2. Regieassistenzen können faktisch nicht mehr das lernen, was sie zu fähigen 1. Regieassistenzen machen würde.

Es geht also um Anerkennung?

Die kann sicherlich nicht schaden. Denn Anerkennung führt zu Vertrauen. Aber es geht um mehr. Es geht darum, eine einheitliche Struktur in Deutschland zu schaffen. Denn langsam blickt man nicht mehr durch: Einige Produktionen arbeiten mit dem AD-System, andere nach dem klassischen System, manche versuchen eine Mischform … Unsere Branche ist von einem System fasziniert, dessen Fachbegriffe es nutzt, aber nicht deren Inhalte. Und das muss sich schnellstmöglich ändern.

Sie wollen dieses System auch in Deutschland „zunehmend als Drehsystem etablieren“, schreiben Sie auf Ihrer Website. Warum?

Weil es funktioniert und es weltweit etabliert ist. Weil die Anforderungen gestiegen sind und weiter steigen werden, die Produktionen immer aufwendiger, aber die Drehzeiten immer knapper werden. Weil immer mehr international produziert wird und wir wettbewerbsfähig bleiben müssen.Weil ein veraltetes System nicht zukunftsorientiert ist und wir in Deutschland auch in Zukunft noch als Produktionsland attraktiv und professionell sein wollen.

Das AD-System bringt das alles?

Die USA, Großbritannien, Südafrika, Skandinavien, Ost- und Mitteleuropa – alle arbeiten nach dem AD-System. Man kann sich weltweit an jedes Set stellen, und sofort sind die Verantwortlichkeiten und Abläufe klar. In Deutschland hingegen ist sehr vieles Diskussions- und Verhandlungssache. Was macht eine Regieassistenz? Was macht ein 1. Aufnahmeleiter? Wer macht den Drehplan? Wer ist für den Inhalt der Dispos verantwortlich? In wessen Verantwortung sind die Schauspieler? Diese Reihung an Fragen lässt sich sehr lange fortsetzen. Im internationalen AD-System sind alle sehr klar zu beantworten.
Sobald mit großen Budgets gearbeitet wird, braucht man eine größere Sicherheit. Das AD-System bedeutet Struktur, Sicherheit und Effizienz – sowohl für die Produktionen, als auch für die Regie.

Das würde auch zum Beispiel die Bavaria sagen?

Das weiß ich nicht. Das AD-System ist ein kontroverses Thema. Was man nicht kennt, verteufelt man hierzulande. Man hört immer wieder, das AD-System sei teurer. Man glaubt, das AD-System funktioniere nur bei großen Teams. Die Briten zum Beispiel beweisen allerdings das Gegenteil. Dort werden auch Low-Budget-Filme so gedreht. Dort sind die Gagen auch klar nach dem Produktionsbudget gestaffelt. Natürlich ist ein „echter“ Assistant Director teurer als eine 1. Regieassistenz, weil Erfahrung, Können und Verantwortlichkeit in der Regel deutlich größer sind.
Bei deutschen Produzent*nnen driften die Meinungen zum AD System auseinander – mache haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht, andere haben mit Mischsystemen und nicht ausgebildeten AD experimentiert und waren teils weniger glücklich.

Sie haben die Aufgaben und Verantwortungen in beiden Systemen definiert und vergleichbar gemacht.
Wir sind mitten drin, aber vieles ist noch in Arbeit. Die Berufsbilder sind definiert. In den nächsten Wochen geht unsere neue Homepage online.
Wir bemühen uns zudem um den Nachwuchs. Denn der Mangel an Fachkräften bereitet uns Sorgen: 2. Regieassistenzen verlassen die Branche, weil sie keine Perspektive sehen. Und im AD-System muss man sich Schritt für Schritt nach oben arbeiten. Man wird nicht von heute auf morgen Key 2nd AD oder 1st AD, sondern braucht Jahre, um dort hinzukommen. Deshalb ist auch eines unserer Hauptanliegen, unsere Mitglieder besser auszubilden und zu fördern. Nur wenn es uns gelingt, auf Dauer die Qualität der deutschen Regieassistenz und Assistant Directors dem internationalen Standard anzugleichen, bleibt der Filmstandort Deutschland auch für Koproduktionen oder internationale Drehs interessant.

Immerhin wurden die AD voriges Jahr in die tarifliche Gagentabelle aufgenommen.

Die 2. Regieassistenzen wurden in die Gagentabelle aufgenommen, nicht die AD. Was längst überfällig war. Trotzdem ist die Gage leider nicht in einer Höhe aufgenommen worden, die den wahren Anforderungen an eine 2. Regieassistenz entspricht. Der Beruf ist in unserer Definition mit sehr viel Verantwortung und Erfahrung verbunden und erfordert sowohl künstlerische Verständnis und Talent, als auch große logistische Fähigkeiten. Die Gage entspricht jetzt eher dem, was 2. Regieassistenzen, die gerade mal ein Praktikum absolviert haben, als Gage bei einem kleinen Fernsehfilm bekommen. Aber nicht dem, was eine über Jahre hinweg gut ausgebildete Fachkraft auf dem Markt verdienen sollte.

Sie machten damals schon bei „Verbände Pro Tarif“ mit. Diese Initiative will „eine starke Verhandlungsposition der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) unterstützen“, sagt sie. Tatsächlich kritisieren diese Verbände doch, dass Verdi in den Tarifverhandlungen zu lasch sei. Was stimmt nicht mit der Arbeitnehmervertretung?

Es geht nicht um „zu lasch“. Sondern es geht darum, dass viele Dinge im Tarifvertrag realitätsfern oder gar nicht geregelt werden, und dass die Meinungen der Berufsverbände nicht gehört oder in die Verhandlungen mit eingebracht wurden. Gerade für Regieassistenz und AD hat eine Mindestgage nur sehr wenig Sinn, wenn ein sehr großer Teil sie für eine 5-Tage Woche à 70 Stunden erhält – und die reellen Ruhezeiten der AD nur äußerst selten mit den gesetzlichen Ruhezeiten im Einklang  sind.

Wie finden Sie diesen Satz: Mehr als drei Viertel er Produktionen in Deutschland orientieren sich am Tarifvertrag.

Das finde ich sehr interessant. (lacht) Wer sagt das?

Die Filmförderungsanstalt. Und die hat es von der Produzentenallianz.
„Orientieren“ finde ich zu vage. Entweder man hält sich an einen Tarifvertrag oder eben nicht. Ansonsten müsste ja das Arbeitszeitgesetz greifen. Aber geschätzt 95 Prozent aller Teammitglieder arbeiten bei szenischen Produktionen wesentlich mehr als die tariflich vorgesehenen 50 Stunden. Genau deshalb gibt es ja den Tarifvertrag, um den Produktionen die Ausweitung der Arbeitszeiten überhaupt erst zu erlauben.

Im März 2018 hatten Sie eine Gegenumfrage gestartet. Was ist dabei herausgekommen?
Dass wir keine Pauschalverträge mehr wollen und keine mehr akzeptieren werden! Wir haben etwa 150 Projekte abgefragt. Demnach haben mehr als 75 Prozent der 2. Regieassistenzen und sogar 90 Prozent der 1. Regieassistenzen noch nie auf Stundenbasis gearbeitet, sondern immer unter Pauschalverträgen. Bei einer 50- bis 60-Stunden-Woche mag das noch in Ordnung sein. Problematischer wird das bei historischen Fernsehfilmen und ambitionierten Kinoproduktionen, die wesentlich zeitintensiver sind, wenn man dann die Pauschalgage auf den Stundenlohn umrechnet.
Wir kämpfen nicht für übertrieben hohe Gagen. Wir akzeptieren die hohen Arbeitszeiten, und rechnen sicherlich nicht jede Überstunde akribisch ab, aber wir wollen keine Pauschalverträge mehr. Schließlich werden auch alle anderen Abteilungen auf Überstundenbasis abgerechnet.
Bei einer internationalen Produktion haben mein AD-Team und ich kürzlich komplett auf Überstundenbasis gearbeitet. Wir haben gestaunt, wie selbstverständlich das war: Die Gagen wurden akkurat und kommentarlos bezahlt, ohne die Stunden in Zweifel zu stellen. Der Verdienst war deutlich höher im Vergleich zu den Pauschalgagen, die wir gewohnt waren. Trotzdem hat das bei der Produktion nicht zu Verdruss oder Unmut geführt, sondern ganz im Gegenteil: Wir haben ein sehr klares Feedback bekommen, das diese Gagen als angebracht empfunden wurden, für die Sicherheit und Qualität die man sich damit einkauft.

Ohne überlange Arbeitszeiten könne keiner mehr Filme drehen, heißt es immer wieder. Aber in den USA geht das dennoch?
Dort werden Überstunden sehr viel höher vergütet als bei uns. Das geht schnell ins Geld. Daher wird dort eine Produktion realistischer geplant und akribisch vorbereitet. Allerdings kann man diese Aussage auch nicht pauschalisieren. Denn auch dort gibt es Projekte, bei denen die Überstunden explodieren. Den Raubbau an Körper und Geist bekommt man dann aber mit viel Geld aufgewogen. Mit sehr viel Geld.

Wenigstens das …
Aber auch in Deutschland ist ein System-Wandel zu erkennen. Bei dem manche Produktionen nicht nur wirtschaften, sondern auch wertschätzen. Und die den Mehrwert des AD-Systems durchaus erkennen.

 

Benedict Hoermann kennt beide Systeme. Als 1st AD?hat er an den internationalen „Resistance”, „Trautmann“ und „­Euphoria“ gearbeitet, als Regieassistent an „Vorstadtkrokodile“,?­
„Sommersturm“ und „Mein Blind Date mit dem Leben“. Mit Laura ­Mihartescu und Petra Misovic Geschäftsführender Vorstand der ­Assistant Directors Union, die im März 2019 als Berufsverband ­gegründet wurde. Basis war ein Netzwerk von rund 150 AD und Regieassistenzen.
Auch Crew United will das angelsächsische AD-System in Deutschland fördern, darüber aufklären und informieren, um es zunehmend als Drehsystem in Deutschland zu etablieren. Ab sofort ist es möglich, auf Crew United nicht nur das deutsche Regieassistenten-System mit den betreffenden Berufen im Regie-Department abzubilden, sondern auch das angelsächsische AD-System. Dazu gibt es nun bei Crew United ein AD Departement mit entsprechenden Berufen und Credits.
Die Berufsbilder wurden von der Assistant Director Union (ADU) erarbeitet. Die Neuerung ist der Start der Kooperation von Crew United mit dem Berufsverband: „Die Stimme der ADU ist für uns maßgeblich bei der Entscheidung, ob ein Projekt im AD-System gedreht wurde und ob jemand mit einem Beruf aus dem AD-System bei Crew United gelistet wird“, teilt Crew United in einem Rundschreiben mit weiteren Informationen an die Mitglieder mit.

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