„Lost sind wir ja alle“: Durch die Nacht mit … Oskar Roehler und Lars Eidinger

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Hasi, Du nicht! Im Januar ließ Arte den Regisseur Oskar Roehler durch die Nacht treiben. Das „Fast Forward Magazine“ schilderte dessen nächtliche Gedankenwelt. | Foto © Christoper Rowe

Hasi, Du nicht! Im Januar ließ Arte den Regisseur Oskar Roehler durch die Nacht treiben. Das „Fast Forward Magazine“ schilderte dessen nächtliche Gedankenwelt. | Foto © Christoper Rowe

Das Konzept der Dokumentationsreihe „Durch die Nacht mit …“ ist gleichermaßen einfach wie erfolgserprobt: zwei Prominente treffen aufeinander, verbringen gemeinsam einen Abend und werden dabei von zwei Kamerateams begleitet. Seit 2002 besteht das Format des deutsch-französischen TV Senders Arte, das mit seinen nächtlichen Aktionen oftmals zu unerwarteten Begebenheiten führt. Bei „Durch die Nacht mit …“ wissen alle Beteiligten, dass es im Nachhinein keinerlei Abnahmen geben wird. Sonst wäre das Ergebnis nicht so unverblümt echt und schlichtweg auch gar nicht realisierbar. Was einmal auf Kamera gebannt ist, hat somit die Möglichkeit, in der Sendung zu landen. Entsprechend ist das auch das eigentlich Spannende an „Durch die Nacht mit …“: es passiert immer mal wieder, dass die Protagonisten sich von einer der Öffentlichkeit bis dato eher unbekannten Seite zeigen.

Die aktuelle Folge von „Durch die Nacht mit …“, die heute Abend am 29. Januar 2018 um 23.20 Uhr erstmals auf Arte ausgestrahlt wird wurde und bereits in der Mediathek oder auf Youtube abrufbar ist, ist ein Paradebeispiel dafür, wohin das Konzept unerwartet führen kann. Die beiden Hauptakteure wirken auf den ersten Blick wie ein Perfect Match: der exzentrische Regisseur und Autor Oskar Roehler trifft auf den nicht minder speziellen Schauspieler Lars Eidinger.

Roehler hat sich Eidinger gewünscht, man lernte sich bereits bei einem Casting kennen, Lars Eidinger beschreibt es als „Liebe auf den ersten Blick“. Bei den beiden Künstlern, die in ihrem Schaffen Extreme nicht scheuen und augenscheinlich kein Problem damit haben, auch mal mit kantigen Aussagen aufzufallen, kann man sich das gut vorstellen. Aber schon während der ersten Autofahrt tut ein Riss sich auf. Irgendwie kommt man auf die Einstellung zur aktuellen politischen Lage, und Roehler scheut sich nicht kundzutun, er sei „mehr rechts als links“. Eloquent wie er ist, tut er sich auch nicht schwer, diese Aussage zu untermauern. 90 Prozent der liberalen Werte teile er, ihm erschließe sich alles „was der Vernunft obliegt“. Und die „Multi-Kulti-Politik“ der Grünen gehöre für ihn nicht dazu.

Wenn ein Roehler so etwas sagt, dann meint er es auch. Sein aktueller Roman „Selbstverfickung“ ist eine einzige Wutrede aus der Sicht eines am Leben und seiner Arbeit verzweifelnden Filmregisseurs, der voller Hass ist, auf Obdachlose, Homosexuelle und Immigranten. Natürlich ist das eine Romanfigur, warum soll man so etwas nicht schreiben. Gegenüber Moritz von Uslar im Gespräch für die „Zeit“ distanzierte sich Roehler konkret von der ihm nachgesagten Sympathie mit der AfD, über die man bei ihm spekuliert, seitdem bekannt wurde, dass er den Roman „Subs“ von Thor Kunkel verfilmen würde (kommt am kam am 3. Mai 2018 als „HERRliche Zeiten“ in die Kinos). Kunkel unterstützte im letzten Jahr als Berater die Wahlkampfkampagne der AfD.

Es ist die mehr denn je aktuelle Gewissensfrage, wie weit man den Privatmensch von seiner Kunst trennen sollte. Kann man einen Oskar Roehler noch gut finden, wenn er vor laufender Kamera auf seine eloquente Art elaboriert, warum er die Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung als vernunftwidrig bezeichnet? Lars Eidinger zumindest ist einen Moment lang erst einmal völlig von den Socken. Der gebürtige Westberliner sieht sich „eher links“, das, was Roehler sagt, versetzt ihn in Schweigen, sein Unvermögen, diese Aussagen wegzustecken ist durch den Bildschirm hinweg greifbar. Aber irgendwie muss die Show ja weitergehen, weshalb man immer wieder versucht, sich anzunähern. Es ist verstörend zu beobachten, wie die beiden versuchen, einen Zugang zueinander zu finden. Beim Essen im Diener Tattersall, anschließend im Atelier des Künstlers John Bock, einem Freund und künstlerischen Weggefährten Eidingers, entspannt die Situation sich etwas.

Richtig unerträglich wird es, als das Gespann sich auf ein Bierchen und Billardspiel mit Schauspieler Oliver Masucci trifft, der die Hauptrolle in Roehlers neuem Film „HERRliche Zeiten“ spielt und für die geplante Verfilmung von „Selbstverfickung“ als die Verkörperung Gregor Samsas gesetzt ist. Masucci trifft auf Eidinger, dass das interessant werden könnte, lässt Oskar Roehler schon zu Beginn der Sendung blicken. In „Er ist wieder da“ gab Masucci den Hitler, Eidinger äußerte sich vor zwei Jahren auf der Berlinale während eines Podiumsgesprächs amüsiert über Masuccis von ihm selbst als exzessiv beschriebene Vorbereitung auf die Rolle. Auch macht er keinen Hehl daraus, dass er es weder für große Kunst hält, eine gute Hitlerparodie hinzulegen, noch dass er überhaupt Spaß an Witzen über Hitler hat.

In der Begegnung gibt Masucci sich komplett unsouverän. „Du hast gesagt, ich hätte mich nicht vorbereitet“, plärrt er und packt Eidinger im Gesicht, seine Hände wie Krallen, sein Bizeps geschwollen, er wirkt wie ein durchgeknallter Popeye. Offensichtlich hat ihn da etwas schwer getroffen. Unter dem Deckmantel des Kneipen-Talk, eine bierselige Männerrunde, da macht es doch auch nichts, wenn Roehler fallen lässt, Masucci habe gesagt, er sei noch viel mehr rechts als er. Macht es nicht? Vielleicht doch, wenn die einzige Entgegnung von Seiten Masuccis lediglich ist: „Das habe ich dir aber im Vertrauen erzählt“. Eidinger provoziert weiter, den Hitler könne doch jeder (womit er, seien wir mal ehrlich, ein ganz kleines Stück weit recht hat), Masucci hat dem nicht mehr als ein kindisches „dann mach doch mal“ entgegenzusetzen. Es ist wirklich erstaunlich, seine Souveränität hat der ehemalige Burgschauspieler offensichtlich mit der ersten Billardkugel versenkt. Irgendwann sagt Eidinger dann auch, dass er gehen möchte, und man ist ihm unendlich dankbar dafür.

Überhaupt ist Lars Eidinger in dieser Folge von „Durch die Nacht mit …“ der Gewinner der Herzen. Sein kulleräugiges Entsetzen über das Formulieren rechter Gedanken, seine Ratlosigkeit gegenüber Testosteron-HB-Männchen Masucci, das ist tröstlich sympathisch. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Oskar Roehler ein Provokateur ist. Ob bewusst oder unbewusst, ohne den Drang, provozieren zu wollen, würde sein gesamtes künstlerisches Werk nicht funktionieren. Auch mit seinem Glauben an das Gute im Menschen, an das Funktionieren der Gesellschaft, in der wir leben, dürfte es nicht weit her sein. Wenn man sich näher mit ihm beschäftigt, wird auch das Warum zu keinem übergroßen Rätsel. So richtig erstaunlich ist das, was man über ihn in dieser Folge von „Durch die Nacht mit …“ erfährt, letztendlich dann doch nicht. Den Machern der Sendung muss man außerdem zugute halten, dass sie sich bemühen, ihren Hauptakteuren so unvoreingenommen wie möglich zu begegnen. So spielt der gegenseitige künstlerische Respekt der beiden immer wieder mit ein, niemand wird hier wissentlich vorgeführt.

In einer Szene fragt Lars Eidinger, wie Oskar Roehler sich beim Schreiben fühle. „Ich bin lost“, antwortet der, und Eidinger: „Na ja, lost sind wir ja alle.“ Damit wäre das Gefühl, das sich als Zuschauer bei dieser Folge einstellt, auch treffend auf den Punkt gebracht. Es ist vielleicht nicht die unterhaltsamste des Formats, aber auf jeden Fall eine der interessantesten.

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