Fortuna – Anmerkung zur aktuellen Förderentscheidung des MBB, Bereich Experimentalfilm

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Fortuna, Gemälde von Tadeusz Kuntze 1754

Glücksgöttin Fortuna, auch als „Macht des Schicksals“ bekannt, verteilt ihre Gaben ohne Ansehen der Person. Aus ihrem Füllhorn schüttet sie Glück und Unglück über die Menschen, greift als Orakelgöttin in die Speichen vom „Rad des Lebens“. Millionen Menschen spielen Lotto, hoffen auf das große Los.

Wettbewerbe produzieren Gewinner und Verlierer. An Spielen, in denen es um Leben und Tod geht, vergnügen sich die Menschen zu allen Zeiten. Aktuell stehen im TV die „Tribute von Panem“ auf der Beliebtheitsskala ganz oben, es geht um Liebe und Tod und es gibt nur einen Gewinner bzw. eine Gewinnerin. So wie im US-Wahlkampf, der, eine fast perfekte Show, die Menschen gefesselt hat.

Der Rahmen ist eng, in dem es in Deutschland möglich ist, Dokumentarfilme zu realisieren. Fernsehen und Förderungen sind die Ansprechpartner, eine freie Filmwirtschaft gibt es nicht. Um Förderung zu bekommen, muss es bereits einen Fernsehvertrag oder mindestens eine Zusage geben. Außer beim MBB, dem Medienboard Berlin-Brandenburg, dort gibt es einen Topf für Experimentalfilmprojekte. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde dieses Förderungsinstrument vor langer Zeit vor allem von Frauen erkämpft; da denke ich besonders an die unlängst verstorbene nimmermüde Kämpferin Tamara Wyss. Dieser Topf ist einmalig – eine Rarität, allerdings nur mit einem kleinen Etat ausgestattet.

Für meinen neuen Experimentalfilm habe ich mich mit meiner Firma kinoglas-films um Förderung beworben und Fortuna hat sich gegen uns entschieden. Wie gesagt, Wettbewerbe produzieren Gewinner und Verlierer. Gewinner freuen sich, Verlierer sind mehrheitlich verärgert. Ich fühle mich verletzt, zurückgesetzt und auch sprachlos – nein nicht sprachlos, es fehlen die rechten Worte. Hätte ich gewonnen, würde ich als Sieger feiern und schweigen – Fortuna danken, dass sie ihr Füllhorn über unser Projekt ausgeschüttet hat. Vermutlich muss ich ihr insgeheim meinen Dank aussprechen, denn sie ist es, die mich durch ihre Ablehnung dazu anregt nachzudenken, was ich da tue, indem ich ihr Spiel akzeptiere.

Nur einmal im Jahr können beim MBB für den Bereich Experimentalfilm Anträge gestellt werden. Bei der Entscheidung 2016 hatten sich 23 Projekte beworben mit einer gesamten Fördersumme von 730.000 €. Gefördert wurden 8 Projekte mit einer gesamten Fördersumme von 180.000 €. Diese Entscheidung wirft Fragen auf. Wie hoch ist der Topf für die Experimentalfilmförderung? Das Medienboard hat eine Jahresetat von 26 Millionen €. Warum wurden davon nur 180.000 € von diesem in Deutschland einmaligen Fördergremium bereitgestellt? Bedacht werden muss, dass es viel mehr Bewerber*innen gab, denn in einem Vorgespräch werden Projekte zur Antragsstellung eingeladen oder nicht, sodass viele Projekte bereits im Vorfeld aussortiert werden.

In meinem neuen Experimentalfilm behandele ich das aktuell hochbrisante Thema der „Gesichtserkennung“. Was von dem Thema in der Öffentlichkeit verhandelt wird, ist pure Oberfläche, Propaganda der auf Sicherheit bedachten Regierungen. Und es ist besonders für Firmen ein großes Geschäft. Aktuell investiert die Deutsche Bahn 85 Millionen € in die Aufstellung von 5.000 neuen Kameras. Abgesehen davon, ob diese Form der Überwachung sinnvoll ist, müssen dieses Investitionsprojekt die Bahnkunden bezahlen. In diesen und in vielen anderen Fällen interessiert mich, was die Kameras tagaus, tagein sehen, wo die Bilder landen, wer sie sieht, ob sie gesehen werden oder ob das nur Sicherheitspropaganda ist. Da dieses Projekt der „Gesichtserkennung“ weltweit angelegt ist und so auch geforscht wird, Milliarden investiert werden und es noch keine überzeugenden Ergebnisse, Standards gibt, ist der ganze Vorgang eher ein Versprechen und wird mit größter Geheimhaltung behandelt

Als Filmemacher sehe ich in dem, was da rund um den Globus passiert, die Entstehung eines Medienschatzes – Milliarden von Bildern erzählen von unserem Leben und werden nach einer kurzfristigen Speicherzeit ungesehen gelöscht. Ich möchte die scheinbar banalen Bilder von Flughäfen, Bahnhöfen, Museen, Kaufhäusern sehen – dürfen. Ich sehe darin Kunst, strukturelle Kunst, moderne Paul Klees. Ich will hier nicht mein Filmprojekt ausführlich vorstellen und verteidigen; ich akzeptiere die Entscheidung, denn ich habe mich auf das Wettbewerbsverfahren eingelassen. Aber ich will sie kritisieren und will einen anderen Umgang mit dem, was unter Experimentalfilm verstanden wird.

Unser Projekt ist auf 96.000€ kalkuliert, davon hat bereits das BKM 40.000 zugesagt und unser Eigenanteil beträgt 25.000€. Die Förderung unseres Projektes wäre für das MBB ein gutes Geschäft gewesen: das MBB gibt 31.000€ für einen Film im Wert von 96.000.
Die 8 geförderten Projekte wurden mit einer Durchschnittsumme von etwas mehr als 20.000 bedacht – für jeden, der weiß, wie teuer heute die Herstellung eines anspruchsvollen, wettbewerbsfähigen Medienproduktes ist, zu wenig zum Leben oder Sterben.

Fortuna ist in dem Fall Kirsten Niehuus, seit 2004 Intendantin des MBB, seit zwölf Jahren dreht sie dort das Glücksrad, darf jährlich 26 Million € verteilen, produziert Gewinner und Verlierer: Die Medienbranche hat es so gewollt, eine Intendantin mit alleiniger Entscheidungsbefugnis. Eine Fördereinheit Experimentalfilm, die 180.000€ von 26 Millionen € vergibt – das ist weniger als 1% – verschenkt eine Chance auf ungewöhnliche Werke, die oft nur mit Hilfe dieser Förderung entstehen können. Dieser marginale Anteil empört. Zumal Anträge zum Experimentalfilm eingeladen wurden und dann 8 Videokunstprojekte gefördert worden sind, das verwirrt. Film – Video – Kunst.

AUFRUF
Ich möchte alle Einreicher*innen, deren Projekte nicht gefördert worden sind, kennenlernen, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie das jeweilige Projekt dennoch realisiert werden kann. Wir, Kinoglas-films bekommen z.B. das Geld vom BKM nur, wenn wir die Förderung schließen können und das wird jetzt schwer – neue Wege müssen gefunden werden. Warum nicht gemeinsam danach suchen? Also bitte, alle 15 Antragsteller*innen, die ihr keine Förderung bekommen habt, meldet euch! Gemeinsam Überlegungen anzustellen, liegt im Trend.
Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung von Berlin steht: „Die Koalition stockt die Mittel für das Medienboard auf – und das bestehende Fördersystem soll durch experimentelle Verfahren der Projektmittel ergänzt werden.“
Da könnten wir, die Abgelehnten, die Ersten sein, die solch ein Verfahren erarbeiten, praktizieren. Auf Zuschriften bin ich gespannt.
Gerd Conradt
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