Cinema Moralia – Folge 96: Die gestörte Kultur des Ämterwechsels oder: Kosslick forever?

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»Man muss natürlich immer gegen die Tyrannei kämpfen.« (Fritz Lang)

Man muss natürlich immer gegen die Tyrannei kämpfen und wie Bernd Neumann Monika Grütters‘ einmal eine Chance gab, und sie diese ohne Not verspielte – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 95. Folge

Jean-Luc Godard: Sie heißen Fritz Lang und ich Jean-Luc Godard. Sie haben viel mehr Filme gedreht als ich… Wissen Sie, wieviele?
Fritz Lang: Nein.
Godard: Aber ich. Sie haben 42 Filme gedreht.
Lang: Mein Gott!
Dialog am Beginn eines langen Gesprächs, das Godard im November 1964 mit Fritz Lang führte, für die Fern­seh­serie »Cineastes de notre temps ». Godard war damals 34 Jahre alt, Lang 74 Jahre.

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Kurze Zeit später in diesem wunder­baren Gespräch zwischen Godard und Lang, das uns an eine Kino­kultur erinnert, die leider inzwi­schen fast verschwunden ist, weil weder Publikum, noch Kultur­po­litik an ihr auch nur halb im Ernst inter­es­siert wären, kurze Zeit später in diesem Gespräch sagt Fritz Lang den Satz »Wenn man älter wird, hat man Angst, den Kontakt zur Jugend zur verlieren, das ist in allen Berufs­sparten so. Ich jeden­falls hatte Angst davor.«

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Die Verlän­ge­rung von Dieter Kosslicks Vertrag als Berlinale-Chef, die vor einer Woche, da war ich gerade auf dem Weg zur IDFA in Amsterdam, vom BKM, dem Bundes­staats­mi­nis­te­rium für Kultur bekannt gegeben wurde, ist eine sehr schlechte Nachricht.
Es ist eine schlechte Nachricht für die Berlinale selbst, eine schlechte Nachricht für das deutsche Kino. Und eine schlechte Nachricht für die deutsche Kultur­szene.

Warum? Zur Berlinale und den Folgen des derz­ei­tigen Berlinale-Kurses für das deutsche Kino, und das Kino-Vers­tändnis des breiten Publikums haben wir bei anderer Gele­gen­heit schon oft geschrieben, und neue Gele­gen­heiten werden bis mindes­tens 2019 noch viel zu viele kommen. Konz­en­trieren wir uns also auf den letzten Punkt.

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Was passiert eigent­lich, wenn der liebe Gott Kosslick 101 Jahre alt werden lässt, so alt wie Leni Riefen­stahl? Was wir ihm persön­lich wirklich von Herzen wünschen. Aber ist er dann, im Jahr 2049 immer noch Berlinale Chef? Das wünschen wir der Berlinale nämlich, und Dieter Kosslick nicht. Aber wie funk­tio­niert das überhaupt, ein Ämter­wechsel? Wenn Kosslick nicht von selber aufhören will?

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Dieter Kosslick ist seit dem Jahr 2002 Chef der Berlinale. Schon jetzt wird er mit der bevor­ste­henden Berlinale 2015 14 Festivals geleitet haben. Mit der Verlän­ge­rung bis 2019 werden es 18 Festivals gewesen sein. Dieter Kosslick hat bereits jetzt das Renten­alter über­schritten. 2019 wird er 71 Jahre alt sein. Gibt es in Deutsch­land denn nur einen, der die Berlinale leiten kann?
Oder will umgekehrt keiner diesen Job haben? Weil Kosslick die Berlinale margi­na­li­siert hat, weil er Quantität vor Qualität stellt, und dieses Festival Ausländer immer weniger inter­es­siert, und viele deutsche Profes­sio­nelle auch nicht?

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Kosslicks Beispiel belegt jeden­falls: Der Vertrag des Berlinale-Chefs ist wie der anderer vergleich­barer Kultur­posten, längst zum Auto­ma­tismus geronnen.
Mit der quasi auto­ma­ti­sierten,, in der Öffent­lich­keit weder debat­tierten, noch in den sozialen Insti­tu­tionen öffent­lich geprüften Vertrags­ver­län­ge­rung legt die neue Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters einen mindes­tens nach­läs­sigen Umgang mit ihrer poli­ti­schen Verant­wor­tung an den Tag. Sie nimmt die Verant­wor­tung tatsäch­lich gar nicht wahr. Sie prak­ti­ziert Politik nach Guts­her­renart, von oben herab, und straft alle ihre eigenen Sonn­tags­reden Lügen, nach denen sie in ihrem Handeln an Plura­lismus und Offenheit, an Vielfalt und kreativen Kontro­versen inter­es­siert sei.

Völlig unge­achtet von der Dauer einer Amtszeit und der Befähi­gung eines Kandi­daten sollten derartige Stellen – ein über­wie­gend öffent­lich finan­ziertes Kultur­er­eignis ersten Ranges – vor einer Verlän­ge­rung öffent­lich ausge­schrieben werden. Viel­leicht gäbe es noch andere Bewerber? Mit noch besseren Quali­fi­ka­tionen, besseren Ideen, besserer Eignung.

Viel­leicht würde eine Bewerbung mehrerer Kandi­daten den handelnden Kultur­po­li­ti­kern und der kriti­schen Öffent­lich­keit neue und diverse Perspek­tiven aufzeigen, Perspek­tiven, an die sie nicht mal im Traum gedacht gaben. Einer solchen Chance verschließt sich Grütters ohne Not, und sie verschließt eine solche Debatte auch der Öffent­lich­keit.

Aber um die Öffent­lich­keit – um »alle, die Bürger wie die Kultur wie die Berlinale-Besucher – geht es, nicht immer nur um die Person des Leiters.

Eine solche Debatte könnte ja zum Ergebnis haben, dass Kosslicks Vertrag verlän­gert wird. Sie würde dann aber auch Kosslick nützen. Er müsste sich erklären, er könnte sich nicht auf Routine und »Business as usual« zurück­ziehen, müsste sich anstrengen. Davon würde die Berlinale in jedem Fall profi­tieren, und um die muss es doch gehen, oder Frau Grütters?

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Die Berlinale ist weder Kosslicks Erbhof, noch der Privat­be­sitz von Frau Grütters, in dem sie ihren Verwalter nach Gutdünken bestellen darf, noch ein Konzern, der seine Vorstände hinter geschlossen Türen bestimmt, und keine demo­kra­ti­sche Rechen­schaft schuldig ist. Aber selbst die Aktionäre eines börsen­no­tierten Unter­neh­mens haben in Deutsch­land mehr Macht als alle, die etwas mit Kultur zu tun haben, als im Fall der Berlinale die Film­brache, die Verbände, die Beob­achter und das Publikum.

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Dies ist ein prin­zi­pi­elles Argument: Wie bestimmen wir die Posi­tionen, insbe­son­dere Leitungs­posten in derar­tigen Insti­tu­tionen? Wie wollen wir in Zukunft Vielfalt, Abwechs­lung und Inno­va­tion sichern?
Müssen die jewei­ligen Amts­in­haber erst frei­willig zurück­treten, oder arbeits­un­fähig werden, oder sterben, damit es einen Wechsel der Spitz­en­po­si­tionen überhaupt geben kann?
Was für eine gestörte Kultur, die den regel­mäßigen Wechsel nicht als etwas Selbst­ver­s­tänd­li­ches akzep­tieren kann? Und im konkreten Fall: was für eine Anstands­lo­sig­keit, für eine perverse Selbst­wahr­neh­mung Dieter Kosslicks, dass er selbst nicht merkt, dass es genug ist, oder schlimmer noch: dass es ihm egal ist.

Derart lange Amts­z­eiten tun niemandem gut. Nicht der Insti­tu­tion, nicht dem Amt, nicht der Person. Kosslick wird länger amtiert haben als der Berliner regie­rende Bürger­meister Klaus Wowereit und länger als Helmut Kohl als Bundes­kan­zler. Nun kann man die Belastung dieser Ämter bei allem Respekt vor Kosslicks Arbeits­ver­mögen zwar nicht mitein­ander verglei­chen. Aber es steht einer demo­kra­ti­schen Insti­tu­tion nicht gut an, wenn Amt und Person mitein­ander verschmelzen. Gerade im Bereich der Kultur sind Wechsel und Abwechs­lung eine Tugend, frischer Wind und Inno­va­ti­ons­kraft. Wie soll einer, der 14 Jahre den gleichen Beruf macht, sich und vor allem das Festival, um das es schließ­lich geht, immer neu erfinden können? Wie soll er Altes infrage stellen und für nicht, überholt, oder unzeit­gemäß erklären können, das er doch selbst geschaffen und mit warmen Worten als etwas Neues ins Leben gerufen hat.

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Unter Kosslick hat die Berlinale an inter­na­tio­naler Bedeutung verloren. Die Bericht­er­stat­tung ist auch inter­na­tional seit Jahren einhellig negativ. Die Filme, die dort laufen, sind größ­ten­teils irre­le­vant. Als Veran­stal­tung tritt sie auf der Stelle, es gibt bereits seit langer Zeit keine Inno­va­tion.

Hätte Monika Grütters sich für die Sache und die Person Dieter Kosslick inter­es­siert und nicht nur auf ihre offen­kundig inter­es­se­ge­lei­teten Berater gehört, oder sich selbst von schlechten, sach­fernen Inter­essen leiten lassen, hätte sie noch nicht einmal mit anderen Personen und Verbänden sprechen müssen, Sie hätte nicht mit bekannten Kritikern Kosslicks reden müssen, auch nicht auf Filme­ma­cher und Kino­be­treiber und Film­kri­tiker hören, die die Berlinale seit Jahren als
Teil­nehmer erleben.

Sie hätte einfach einmal bei lang­jäh­rigen Berlinale-Mitar­bei­tern vertrau­liche Gespräche führen können, und sich aus der Vielfalt dieser Stimmen ein runderes Bild machen können. Sie hätte danach Kosslick zum Beispiel fragen können, warum zu einem Film­fes­tival Edel-Köche von Los Angeles per First-Class-Flug einge­flogen werden, man einem Regisseur, der einen Film auf der Berlinale hat, aber das Bahn­ti­cket nicht bezahlen will. Dies nur als ein konkretes Beispiel, stell­ver­tre­tend für viele, die ich hier aufführen könnte.

Zusam­men­ge­fasst: Dieter Kosslick steht für das Gegenteil von Offenheit, Vielfalt und kreativen Kontro­versen. Er steht für nahezu alles, was am Gegen­warts­kino schlecht ist.

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Der vorherige Kultur­staats­mi­nister Bernd Neumann wusste, warum er Kosslicks letzten Vertrag nur bis 2015 verlän­gerte. Neumann zum Beispiel erklärte frei­willig und ohne Druck nach zwei Amts­pe­ri­oden, er wolle nicht weiter­ma­chen. Er wollte seiner Nach­fol­gerin die Chance geben, in Ruhe einen Neuanfang zu wagen und vorzu­be­reiten. Das war klug. Neumann verstand eben etwas vom Kino. Grütters hätte ein Jahr dafür Zeit gehabt. Jetzt hat sie diese Chance verspielt. Mit ihrem Verhalten
erweist Grütters weder der Berlinale noch dem deutschen Kino noch ihrem Amt einen Dienst.

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Godard: Ich denke da etwas anders. Meiner Meinung nach ist van Gogh bedeu­tender als der Schreiner, der die Staffelei herge­stellt hat, auf der van Gogh malte, selbst wenn es eine sehr schöne Staffelei war.
Lang: Sie haben natürlich recht, das ist ein extremes Beispiel. Viel­leicht habe ich nicht recht, mag sein…
Godard: Aber Sie betrachten sich lieber als Schreiner denn als…
Lang: …nein, nicht als Schreiner, aber als Arbeiter. Das Publikum glaubt, dass das, was man tut, einem zuge­flogen ist, dass das ein Vergnügen ist. Es weiß nicht, dass das harte Arbeit ist… Ich glaube, dass wir etwas gemeinsam haben. Ich glaube, dass Sie ein Roman­tiker sind, und ich bin es auch. Ich weiß nicht, ob es gut ist, heut­zu­tage ein Roman­tiker zu sein.
Godard: Heut­zu­tage ist das schlecht, glaube ich.
Gespräch zwischen Jean Luc Godard und Fritz Lang, November 1964; »Cineastes de notre temps«

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In den Reden von Monika Grütters wimmelt es von vielen schönen Metaphern, überhaupt vielen Metaphern. Buch­hand­lungen seien »Tank­stellen« und Verlage »Anker­punkte« haben ihr ihre Reden­schreiber formu­liert. Oder war’s umgekehrt?
Ein Film­fes­tival würde sie in dieser Diktion jeden­falls viel­leicht eine »Lade­sta­tion« nennen. Wenn wir in dieser Metapher bleiben wollen, dann ist Kosslicks Akku leer. Er hat fertig.

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Lang: Ich glaube, dass unser Metier, das Kino, nicht nur die Kunst unseres Jahr­hun­derts ist. Es ist auch die Kunst der jungen Leute.
Godard: Sie glauben, das ist die Kunst der Jugend? Ich glaube es auch. … Wenn das Kino die Kunst der Jugend ist, dann maßregelt man es viel­leicht wegen seiner Jugend. Man ist mit ihm strenger als mit anderen. Ich würde gerne von Ihnen erfahren, wie wir uns verhalten sollen gegenüber… sagen wir nicht Zensur, nennen wir es Tyrannei. Müssen wir, wie die Kinder, alles zerstören, alles kaputt machen, oder sollte man sie eher austricksen?
Lang: Ich verstehe nichts von Kindern.
Godard: Und von der Tyrannei?
Lang: Man muss natürlich immer gegen die Tyrannei kämpfen.
Gespräch zwischen Jean Luc Godard und Fritz Lang, November 1964; »Cineastes de notre temps«

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind auf artechock in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurzkri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.

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