Wie groß darf’s denn sein? Das deutsche Kino zwischen zwei Extremen

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Kleines Debüt gegen großes Spektakel: Beim „Deutschen Filmpreis” machten zwei Filme die „Lolas” untereinander aus. Irgendetwas wird man schon daraus lesen können. | Foto © Deutsche Filmakademie, Michael Tinnefeld

Der „Deutsche Filmpreis“ ist ja nun auch schon wieder ein Weilchen her. Beschäftigen will er mich immer noch, weil vor und nach der Gala von Deutschlands führenden Filmjournalisten interessante und auch kluge Sachen über den Zustand des Deutschen Films geschrieben wurden, die nicht nur einiges über diesen Zustand verraten, sondern auch über diejenigen, die sich damit beschäftigen – und damit wieder über den Zustand des Films. Und weil sich da all die Themen in ganzer Pracht ausbreiten, von der Förderung bis zur Filmkunst, denn auf wundersame Weise ist ja alles irgendwie mit allem verknüpft, wie wir spätestens seit „Cloud Atlas“ wissen. Nur mit den Filmkünsten selbst hat man’s irgendwie nicht so.

„Besser ging’s nicht“ titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) nach der Lola-Gala. Vorher hatte Christine Peitz, Kulturchefin des „Tagesspiegels“, ausführlich und doppeltverwertet den schwachen Jahrgang beklagt. Obwohl: Man kann sich auch kleinreden. War es wirklich „kein großes Kinojahr“, in dem „ein klarer Favorit fehlt und dann so etwas wie der fatale Sog des Mittelmaßes entsteht“, wie Peter Körte in der „FAZ“ meinte?

Den Favoriten gab es schon: „Cloud Atlas“, die wagemutige, aber nicht für jeden geglückte Verfilmung eines Weltbestsellers, der als unverfilmbar galt, war nicht nur als „Bester Film“ nominiert, sondern auch in acht der neun Kategorien für die kreativen Einzelleistungen nominiert – alles außer Drehbuch. Der Roman springt durch fünf Jahrhunderte, verschachtelt raffiniert sechs unterschiedlichste Geschichten und spielt mit Genres und Stilen. Um das zu bewältigen, hatten sich der deutsche Regisseur Tom Tykwer und die amerikanischen Geschwister Andrew und Lana Wachowski („Matrix“) zusammengetan, ihre Produzenten schafften es, ein Budget von rund 117 Millionen Euro und Stars wie Tom Hanks, Halle Berry, Hugo Weaving, Susan Sarandon und Hugh Grant zusammenzubringen. Heraus kam der wieder mal teuerste deutsche Film aller Zeiten, der weltweit seine Herstellungskosten schon fast wieder eingespielt hat und der, wo nicht Lob und Begeisterung doch zumindest dafür Respekt und Anerkennung fand. Geht doch, spektakuläre Filmkunst made in Germany!

Das hätte man gut für den besten Film halten können. Muss man aber nicht, sondern kann stattdessen auch ein kleines Debüt wählen, das ganz und gar ungewöhnlich daherkommt. Und so war der beste deutsche Film des vorigen Jahres nicht der teuerste, sondern der billigste: Jan Ole Gersters „Oh Boy“ über einen Studienabbrecher, gespielt von Tom Schilling, der sich ohne Plan und Ziel durch die Hauptstadt treiben lässt, begeistert seit einem halben Jahr auf Festivals, räumt reihenweise Preise ab und gilt mit rund 230.000 Zuschauern als Publikumserfolg.

Schwarzweiß gegen Farbe, Debütant gegen Weltstars, Riesenbudget gegen Low Budget – was da wirklich besser ist, mag jeder für sich entscheiden, und um falschem Verdacht gleich vorzubeugen: Ich will hier keine Preisentscheidungen in Frage stellen, weil ich eh meine, dass beides gehen sollte und sich zwischen Jahrmarktsattraktion und Filmmuseum ein weites Spielfeld für das Kino erstreckt. Und man kann beides mögen. Bemerkenswert ist aber schon, mit welcher Reflexsicherheit gleich die treffenden Schlagzeilen gefunden wurden, als „Oh Boy“ neben dem Preis für den besten Film noch überwältigende fünf weitere „Lolas“ in den Einzelkategorien erhielt und Cloud Atlas bloß fünf: David siegte gegen Goliath!

Und außerdem die Kunst gegen den Kommerz, lässt sich da zwischen den Zeilen lesen, was aber so keiner sagt, weil man das „Cloud Atlas“ nun auch wieder nicht unterstellen kann – zumal einem Regisseur, dem man schon einmal Gold, dreimal Silber und zweimal den Regiepreis bei den „Lolas“ gönnte. Trotzdem hängt da etwas unausgesprochen und hinterhältig im Raum herum, auch wenn es nicht richtig ist. „Cloud Atlas“ ist nämlich erstens durchaus nicht als Kommerzkino gemeint und zweitens, abgesehen von seiner ungewöhnlichen Erzählung, ein Fest der Filmkünste, die versuchten, den besonderen Geist der literarischen Vorlage auf die Leinwand zu übersetzen. Das hat die Filmakademie auch honoriert mit Preisen für die Einzelleistungen in Bildgestaltung, Montage, Szenenbild, Kostüm und Maske.

Doch weil man in der allgemeinen Berichterstattung mit den erstgenannten Filmkünsten wenig anzufangen weiß und sich in der Regel lieber auf populäre Schauspieler stürzt, sind die ebenfalls fünf Einzelpreise für „Oh Boy“, nämlich Regie, Drehbuch, Musik, Haupt- und Nebendarsteller, natürlich attraktiver. Auch wenn, ich hatte es an anderer Stelle schon mal angemerkt, das eine ohne das andere nicht geht, wenn man nicht gerade Experimentaltheater macht. Kino ohne Bild sieht nun mal so aus. Was trotzdem niemanden zu interessieren scheint und unverdrossen behauptet wird, dass all dies halt bloß „technische Kategorien seien“ und „deutlich weniger wichtig“, die anderen hingegen „Königskategorien“.

Wenn dann aber auch noch drittens grundlegende Fakten nicht stimmen, weil man nicht nachschlagen will oder lieber voneinander abschreibt oder es besser ins Gut-und-Böse-Schema passt, weiß ich nicht so recht, was ich da überhaupt noch ernst nehmen soll. Etwa, wenn es um die Frage geht, ob „Cloud Atlas“ überhaupt einen Preis bekommen darf, weil, Skandal!, er nicht so richtig „deutsch“ sei und auch Tykwer nur einen Teil der Regiearbeit gemacht habe. Zwar hatten neben ihm auch ein paar andere deutsche Filmschaffende am „Cloud Atlas“ gearbeitet, aber um das zu erkennen, müsste man schon verstehen wollen, was die unwichtigen Nebenkategorien so zu einem Film beitragen, statt sich nur darüber aufzuregen, dass tatsächlich einige der Preisträger auf der Bühne nicht mal Deutsch sprachen.

Und der „englischsprachige Film mit überwiegend angelsächsischen Schauspielern“ entstand auch nicht nach einem „US-Romanstoff“, weil dessen Autor und Erstverlag englisch sind. Den Ariernachweis für Filmstoffe hatte jedenfalls 1990 noch keiner gefordert, als „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ als bester Film ausgezeichnet wurde, obwohl der tatsächlich in Englisch mit überwiegend angelsächsischen Schauspielern nach einem US-Romanstoff entstanden war, und auch nicht 2008, als es „Die Welle“ traf, Adaption eines US-Romanstoffs. Und nicht einmal 2002, als Tykwers „Heaven“ Silber erhielt – obwohl der in Englisch und Italienisch mit ausländischen Schauspielern nach einem polnischen Drehbuch entstanden war.

Auch die Rechenkunst hört offenbar bei mehr als sechs Nullen auf, weshalb „Cloud Atlas“ nach einhelliger  Meinung 100 Millionen gekostet habe. Wahlweise US-Dollar oder Euro, wie fleißig voneinander abgeschrieben wurde, obwohl der deutsche Verleih, das schon Anfang Februar richtiggestellt hatte, nachdem sich die „Zeit“ ein gar doppelt so hohes Budget ausgedacht hatte.

Egal – auf jeden Fall irgendwie ein Haufen Geld, mit dem man locker 390 „Oh Boys“ hätte drehen können, in die dann natürlich auch 390 Mal so viele Leute reingehen. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob mir gefallen soll, wenn in unserem Land noch weitere 390 Filme unter Low-Budget-Bedingungen produziert werden. Man kann das romantisch finden, sollte es aber nicht.

Zumal ja viertens das eh großer Quatsch ist. Weil der kleine vermeintliche Independent-Streifen als Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin im geschützten Biotop des Nachwuchses entstanden ist, während die Produzenten und Regisseure des Mammutwerks trotz üppiger Förderung ein beträchtliches Risiko eingingen. Wenn man überhaupt mit solchen Begriffen hantieren will, dann wäre wohl „Cloud Atlas“ der Indie unter den Preisträgern: Nicht nur die Finanzierung stand mehrmals auf der Kippe, sondern auch die Reputation eines Regisseurs auf dem Spiel, der vor nicht allzu langer Zeit selbst noch ein Liebling der Filmkritiker war, wenn sie den originellen Geist im Deutschen Kino suchten.

Doch wenn etwas zu weit hinaus will, stellt sich wohl leicht Unbehagen ein. Dann begegnet man der Ambition zum Weltkino schon mal mit dem Rückzug ins innere Biedermeier oder zumindest der Flucht in alte Kinomythen. Wo die wahren Sehnsüchte schlummern, zeigt eine Hymne auf „Spiegel Online“, die eine „neue Lässigkeit“ bei der Preisverleihung ausmachte. Nicht wegen der Gala, sondern weil beim Auftritt der „Oh-Boy“-Protagonisten mit schmalen Schlipsen „Nouvelle-Vague-Atmo“ aufkam. Und noch deutlicher der nicht enden wollende Applaus für Werner Herzog, den 70jährigen Autorenfilmer, dem die „Ehren-Lola“ für sein Lebenswerk verliehen wurde. Da lebte er wieder auf, der romantische Mythos von der Filmkunst, zu dem man auch gerne Gersters lustig-kokette Dankesrede beiträgt, sein Film sei irgendwie durch Vorsichhindenken, Amtresenhocken und endloses Kaffeetrinken vorsichhinentstanden.

Doch was das Schöne letztlich für eine Mühe ist, weil nur wenig Menschenwerk einfach nur so vorsichhinentsteht, interessiert offenbar keinen. So also sehen und verstehen Deutschlands führende Filmjournalisten die Filmarbeit. Die sie dann beurteilen.

 

1 Kommentar
  1. Manuel sagte:

    „Doch weil man in der allgemeinen Berichterstattung mit den erstgenannten Filmkünsten wenig anzufangen weiß und sich in der Regel lieber auf populäre Schauspieler stürzt, sind die ebenfalls fünf Einzelpreise für „Oh Boy“, nämlich Regie, Drehbuch, Musik, Haupt- und Nebendarsteller, natürlich attraktiver.“

    Das ist ein Widerspruch in sich: oh boy wurde nicht hauptsächlich für populäre Schauspieler ausgezeichnet, sondern, wie Sie richtig schreiben, auch für Regie, Drehbuch und Musik (und wer etwas gegen populäre Schauspieler hat, sollte wohl zum Dokumentarfilm wechseln).

    Außerdem hat Cloud Atlas ebenfalls versucht, in diesen Kategorien beim Publikum und den Juroren zu punkten. Nur leider haben weder eine Hollywood-Star-Besetzung, ein Star-Regisseur noch zwei weltbekannte Drehbuchschreiber es geschafft, die anderen Gewerbe wie Szenografie, Maske oder Kostüm in ein überzeugendes filmisches Gesamtpaket zu integrieren.

    Die Macher von Cloud Atlas wollten ganz großes schaffen – beim Publikum und den Kritikern kam der Film aber nicht an. Das ging schon vielen Filmen so. Das die Berichterstattung lieber einen durch und durch charismatischen Newcomer-Film feiert als ein besonderes, aber nicht besonders gutes, Babelsberg-Epos, ist meiner Meinung nach nicht verwerflich.

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