Im Dienste des Dokfilms? Eine fragwürdige Offensive

Toll! „Spiegel TV“?macht Kino im Web – „legal und gratis”. Nur die Urheber wundern sich.


Tolle Sache das, denkt man: Das Angebot von „Spiegel TV“ wird mit Dokumentarfilmen ausgebaut, wie kürzlich in einer Pressemitteilung zu lesen war. Ab sofort kann man dort auch Produktionen des NDR-Fernsehens auf zwei Kanälen schauen: Weltreisen und 45 Min sind seit drei Wochen auf Sendung. „Spiegel TV“ betrachtet das Zusatzangebot als Ergänzung zum bestehenden Programm, das bereits jetzt schon neben eigenen Produktionen auch Dokumentationen der britischen BBC und des internationalen Medienhauses VICE beinhaltet. Mehr als 2.000 Reportagen, Magazin-Beiträge und Dokumentationen sind im Laufe der Jahre zusammengekommen, die im Spiegel-eigenen Web-TV kostenlos zur Verfügung stehen.
Bei einer Erhebung unter den Nutzern von „Spiegel TV“ stellte sich heraus, dass längere Dokumentationen populärer sind als kürzere. Darauf reagieren die Macher der Plattform nun mit den genannten neuen Kanälen. Alle der dort gezeigten Filme haben eine Länge zwischen 25 und 45 Minuten und kommen vom NDR sowie von der ARD.
„Investigativ, emotional und immer klar”, so lautet der Anspruch der NDR-Redaktion, die für die 45 Minuten langen Dokumentationen verantwortlich ist. In den Filmen erfahren die Zuschauer Hintergründe zu alltäglichen Themen. Zum Start des Kanals auf „Spiegel TV“ waren sechs Folgen des Formats online zu sehen. Den Auftakt machten Dokumentationen zu Themen wie Mülltrennung, Aspirin und Hula-Tänzerinnen und Netzfischer auf Hawaii. Wie für das gesamte Angebot von „Spiegel TV“ gilt im Fall der beiden neuen Kanäle: Dank der Apps sind alle Filme auch auf Smartphones und Tablets zu sehen.
Die Frage ist, wie die Verwertung dieser Filme rechtlich einzuordnen ist. Der Berliner Dokumentarfilmer Reinhard Schneider nahm die Pressemitteilung auf „Spiegel TV“ zum Anlass, eine Anfrage an den Sender zu stellen.
Schneider schrieb: „Grundsätzlich begrüße ich jede Erweiterung von Abspielkanälen, welche Dokumentationen betreffen, und schätze auch einige Dokumentationen von ,Spiegel TV‘. Über etwas Grundsätzlicheres bin ich allerdings befremdet. Auf welcher Rechtsbasis stellt denn der durch Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Sender NDR dem kommerziellen Unternehmen ,Spiegel TV‘ die Dokumentationen zur Verfügung? Die weitere Frage wäre, wieviel Geld von ,Spiegel TV‘ für die Zusatzverwertung der Dokumentationen an den NDR fliessen – denn davon gehe ich einfach mal aus. Daraus ergibt sich wiederum die Frage an den NDR, wie viel von diesen Zahlungen an die Urheber oder Produzenten der Dokumentationen gehen? Falls außerdem keine Zahlungen von ,Spiegel TV‘ erfolgen, stellen sich weitere grundsätzliche Fragen. Aber vielleicht können Sie mir ja bis zu diesem Punkt zumindest eine Erörterung zukommen lassen.”
Schneider erklärt zu seinem Schreiben: „Was hinter meiner Anfrage steckt, empfinde ich als Politikum. Wie kommt der öffentlich rechtliche NDR dazu, dem kommerziellen Unternehmen ,Spiegel TV‘ Sendungen zur Verfügung zu stellen?” Schneider erklärt weiter, dass er diese wahrscheinliche Quersubventionierung allgemein und auch innerhalb des Dokumentarfilmverbandes AG Dok (Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm) für diskussionswürdig halte. Zumindest findet er es wissenswert, ob sich für Dokumentarfilmer bei den gegenwärtigen miserablen Produktionsbedingungen und schlechten Zweit- und Drittverwertungsmöglichkeiten möglicherweise ein neues Geschäftsfeld entwickelt.
Schneider: „Das Ganze muss man vor dem Hintergrund betrachten, dass ,Spiegel TV‘ seit Jahren durch Produktionen seinen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Sender immer weiter ausbaut – das tut die Plattform aber nicht nur als Hersteller von Dokumentationen, sondern auch gleichzeitig mit einer Lizenz zum Senden. Kurz: hier findet für mich eine fragwürdige Vermischung statt.”
Vor zwei Wochen gab „Spiegel TV“ bekannt, dass es auch Spielfilme anbieten wird. Ebenfalls kostenlos, wie ein Unternehmenssprecher mitteilte: „Ab sofort stellen wir an jedem Wochenende von Freitag, 16 Uhr, bis Montag, 10 Uhr, einen deutschen Kinofilm im Stream bereit. Wir starten das neue Angebot mit dem Film ,Gegen die Wand‘ (Deutschland 2004) von Fatih Akin. Akin inszeniert darin furios die hochemotionale Suche zweier Deutschtürken nach Identität.” Der Film war der letzte deutsche Gewinner der Berlinale und gewann zahllose Preise im In- und Ausland. Man darf gespannt sein, ob auch die Spielfilmproduzenten gegen diese Art der Verwertung etwas einzuwenden haben. Bisher war keine Reaktion von ihnen zu bekommen, wie sie das neue Angebot von „Spiegel TV“ bewerten. Und Reinhard Schneider wartet übrigens immer noch auf die Beantwortung seiner Anfrage.

1 Kommentar
  1. Luigi Rensinghoff sagte:

    Ja das ist schon merkwürdig – was bei dem Artikel allerdings fehlt, ist ein Vorschlag des Autors, wie sich „betroffene“ Produzenten verhalten sollten.

    So verpufft der Artikel und kommt wie durchaus berechtigtes Genörgel und Gemecker daher..

    Wäre ich ein Autor, würde ich mir wünschen, das man sich zusammentut und eine „Sammelanfrage“ aller Autoren an Spiegel TV / NDR verfasst und abschickt – und eventuell noch an eine dritte Instanz (Landesrundfunkanstalt ?) – und parallel einen Rechtsanwalt beauftragt ….

    Schönen Gruß

    Luigi Rensinghoff

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