Zeit für Mord und Totschlag: Warum werden eigentlich kaum Krimis fürs Kino gedreht?

So sieht allen Ernstes ein Exportschlager aus. Und wenn schon „Derrick“ die Massen im Fernsehen begeistert, sollte das Kino das doch besser machen können. | Foto © ZDF

Wir wollen nicht bloß meckern, haben wir zum Start unseres Blogs versprochen. Das können andere eh viel besser und vor allem kurzweilig. Dass ich die Randnotizen des Kollegen Rüdiger Suchsland erst jetzt entdeckt habe, ist eigentlich ein Grund zum Schämen, aber sie sind auch gut versteckt. Was dort bei Artechok auf starre HTML-Seiten gemeißelt steht, ist eigentlich ein prima Blog und würde auch mehr Bewegung auf die Filmseite bringen, die ich in meiner Münchner Zeit sehr geschätzt habe. Die Technik ist heute weiter, nutzt sie! möchte ich nach München rufen – aber was rede ausgerechnet ich…

Auf die kleine Perle gestoßen bin und sogleich festgelesen habe ich mich bei der Suche nach ganz was anderem, nämlich einer Antwort: Wo steckt eigentlich der deutsche Krimi? Gut, die Frage mag überraschen, doch auf sowas kann man schon mal kommen, wenn man nach dem Kino so in der Buchhandlung sitzt und durch eine Fernsehzeitschrift blättert. Wie viele wissen, ist unser Volk versessen auf Mord und Totschlag – aus welchem Grund auch immer. Vom „Ostfriesenblut“ bis zum „Eifelschnee“ zieht das Verbrechen seine bücherdicke Spur durch die Republik, es gibt kaum eine Stadt oder Region ohne ihren eigenen Lokalkrimi.

Beim Fernsehen weiß man das. Der „Tatort“ zum Sonntag, die Regionalreihe schlechthin, ist auch nach 40 Jahren noch ein Straßenfeger, dem sich auch die unzähligen Konkurrenzkanäle ergeben, und wer die politischen Streitgespräche danach nicht spannend findet, kann nahtlos ins ZDF umschalten, wo skandinavische und britische Kollegen mit deutscher Koproduktionshilfe das Böse bekämpfen. Auch unter der Woche im Vor- und Abendprogramm, in Reihen und Serien, öffentlich-rechtlich und privat, aus den USA importiert oder selbst produziert tummeln sich die Hüter des Gesetzes. Mal besser, mal schlechter, mitunter hervorragend, aber meistens vor Publikum. Nicht zu vergessen die erfolgreichste Reihe von allen, die trotz ihres eher drögen Titelhelden zum Exportschlager wurde und es auf 281 Folgen brachte. Was immer man davon auch halten mag: Selbst Kojak und die coolen Jungs von „Miami Vice“ schafften nicht mal die Hälfte.

Aber was läuft im Kino? Der letzte deutsche Film mit Verbrechern und Kommissaren, an den ich mich da erinnern kann, ist „Das letzte Schweigen“, der außerdem ein „Kleines Fernsehspiel“ des ZDF ist. Doch die gefühlte Erinnerung reicht nicht. Also schauen wir auf die „Hitliste“ der Filmförderungsanstalt, die regelmäßig die 100 besucherstärksten deutschen Filme (also ab 8.000 Zuschauer) eines Kinojahrs zusammenstellt und damit einen recht guten Überblick des Gesamtschaffens gibt: Voriges Jahr hatten 119 deutsche Spielfilme ihre Erstaufführung.

Das Krimiangebot der jüngsten fünf Jahre ist übersichtlich: Wegen der deutschen Beteiligung, die man ihnen nicht ansieht, sind ein paar internationale Koproduktionen darunter wie 2009 „Der Ghostwriter“, 2009 „The International“, 2008 „Transsiberian“ oder 2006 „Der ewige Gärtner“, nicht aber die Filme der Millenium-Trilogie. Dann zwei Komödien („Jerry Cotton“ und „Mord ist mein Geschäft, Liebling“) und zwei Dramen („Knallhart“ und „Der Räuber“), die man mit viel gutem Willen dem Genre zurechnen könnte. Ansonsten steht da lediglich „Tannöd“, im vorigen Jahr mit rund 268.000 Besuchern auf Rang 34. Also ein Krimi in fünf Jahren, gesehen von einem aus 300 Deutschen. Der Rest sind gewichtige Dramen, leichte Komödien und Kinderfilme.

Woran liegt’s? Dass die Deutschen eifrige Krimifans sind, aber träge, wenn’s ins Kino gehen soll? Und dies gerade anderthalb Mal im Jahr hinbekommen – also einer schafft den zweiten Besuch, der andere dreht unterwegs um oder landet auf halbem Wege in der Kneipe. Na, was soll er auch machen? Es läuft halt nur ein Krimi in diesem Jahr.

Nicht, daß es die Literatur soviel besser hätte und die Leute lieber ein gutes Buch läsen. Um die 380 Millionen werden pro Jahr im Land verkauft – nicht mal fünf Bücher pro Kopf. Die großen Leser sind wir also auch nicht. Aber jedes vierte Buch unter all den Ratgebern und Geschenkbändchen ist immerhin ein Krimi.

Die Verleger haben erkannt, was ihr Publikum will. Die Filmemacher tun sich da noch schwer – gar nicht mal mit dem Genre, wo Rainer Kaufmann und viele andere Beachtliches abgeliefert hatten. Stefan Ruzowitzky hatte im Genre seinen Durchbruch erlebt (was ihn später bis zum „Oscar“ führte), Robert Schwentke empfahl sich mit einem Thriller für Hollywood. Andere haben sich am Kino die Finger verbrannt, wie Dominik Graf, der seit „Die Sieger“ lieber fürs Fernsehen arbeitet oder Nico Hofmann, der sich nach „Solo für Klarinette“ aufs Produzieren konzentriert und statt mit Kinokrimis mit Doppel-Event-Fernsehspielen größere Erfolge feiert. Beide haben aber vorher und hinterher gezeigt, was im Genre möglich ist, obwohl (auch das spielt eine Rolle) der Deutsche Film da nicht die gleiche lange Tradition hat wie etwa Frankreich oder die USA. Und: Alle dieser Produktionen waren durchweg prominent besetzt, mit Gesichtern, die auch wiedererkennen könnte, wer nur anderthalb mal im Jahr ins Kino geht.

Wir wollen gemeinsam nach Lösungen suchen, haben wir zum Start unseres Blogs versprochen. Hier ist ein Vorschlag. Die Zielgruppe wartet auf halbem Weg in der Kneipe.

3 Kommentare
  1. Peter Hartig sagte:

    Wow – danke; Jens, für den ausführlichen und erhellenden Kommentar. Bloß beim letzten Satz wage ich etwas einzuwenden und die Frage erneut zu stellen: Es mag ja sein, dass Krimis (ich bleibe mal bei dem unscharfen Begriff), selten die großen Kassenknüller sind und „Sieben“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ die Ausnahme. Aber sie bilden in Hollywood doch ein breites Mittelfeld im Programm, das auch solides Geld verdient. Und nicht nur in Frankreich, sondern auch in Großbritannien und Spanien werden „Krimis“ für die Kinoleinwand gedreht. Auch diese mit Figurenkonstellationen und gesellschaftlichen Untiefen, bei denen der Fall mitunter nur Vorwand ist. Warum also findet das bei uns fast ausschließlich im Fernsehen statt? Wo es übrigens immer wieder „Kinotaugliches“ zu sehen gibt.

  2. CUI BONO sagte:

    Die Antwort lautet: „MONOPOL“ aus dem Gr. Monos: Allein verkaufen.
    It´s FilmBIZ.

  3. Jens Würfel sagte:

    Diesem Artikel liegt eine ganze Reihe von Annahmen und Irrtümern zugrunde; wenn man sie auflöst, lässt sich Ihre Eingangsfrage beantworten.

    1. Genre

    Zunächst einmal ist der Krimi gar keine Genre. Der „Thriller“ ist eines.

    Im Thriller geht es grundsätzlich um eine Bedrohung von Leib und Leben der Hauptfigur oder ihr nahestehender Personen. Die Abwendung dieser Gefahr steht im Zentrum der Geschichte und sorgt beim Zuschauer für den „Thrill“, also das angespannte Mitfiebern, ob und zu welchem Preis die Hauptfigur ihr Ziel erreicht. Der Thriller sorgt also vornehmlich für ein „emotionales “ Vergnügen im aristotelischen Sinne.

    Anders funktioniert das „Whodunit“, in dem es um eine Täterjagd geht (also die Frage „wer war es“). Hier geht es vor allem um die Befriedigung des „intellektuellen“ Vergnügens, welches in der Vergangenheit vor allem von Autoren wie z.B. Agatha Christie, Edgar Wallace oder – im deutschen Fernsehen – von Wolfgang Ecke und Herbert Reinecker bedient wurde.
    Auch das „Whodunit“ ist kein eigenständiges Genre, sondern eine sehr spezielle Spielart des Thrillers, bei der das emotionale Vergnügen durch das Mitraten entsteht und sich schliesslich in ein „Habe ich’s doch gewusst!“ bzw. „Darauf wäre ich nie gekommen!“ entlädt.

    Nun könnte man annehmen, dass der „Tatort“ als Reihe ein „Whodunit“ sei – ist sie aber nicht. Dies wird ersichtlich, wenn Sie sich die Frage stellen, WARUM die Deutschen den Tatort einschalten.

    2. Gute und (un-)zurechnungsfähige Bekannte

    Schätzen wir mal ganz unempirisch, wie viel Prozent – nein, Promille der zuletzt 20 Millionen deutschen Zuschauer sich für die Frage „Wer war’s“ interessieren, wenn sie den Tatortermittlern aus Münster zuschauen. Ich wette einen beliebig hohen Betrag, dass die Zahl sich sehr dicht in der Nähe von Null aufhält.

    Niemanden schert es, wer es war und was er getan hat. Darum schalten wir nicht ein.
    Wir schalten ein, um neue brillant geschriebene, gespielte und inszenierte Wortgefechte zwischen Thiel und Börne zu erleben und die neuesten Verwicklungen der Frau Staatsanwältin, den Fortgang der unerfüllten Liebe von „Alberich“ zu ihrem Arbeitgeber und ein neues Beispiel zur (Über-)Lebensfähigkeit der Alt68er in Form von Thiels Papa zu beobachten. Der Clash der Kulturen eines perfekt orchestrierten Figurenensembles ist es, den wir so lieben – nicht das Lösen eines Mordfalls.

    Thiele und Börne sind sicher der Extremfall, aber keine Ausnahme. Bereits Schimanski und Thanner haben uns wegen Ihrer Verschiedenartigkeit so fasziniert und regelmässig für Quotenrekorde gesorgt (und Schimanski war es auch, der die Deutschen bei seinem Ausflug ins Kino sehr wohl massenweise mitgenommen hat).
    Es ist der dramaturgische Kniff des „Odd Couple“, des ungleichen Paares, das spätestens seit Holmes und Watson den eindeutigen „Proof of Concept“ besitzt.

    Die Mehrzahl der anderen 2er – Tatort – Ermittlerteams funktionieren ebenfalls nach dem bewährten Prinzip der Polarisierung, nur eben weniger skurril: Im Umfeld eines thematisch eng umrissenen Ausschnitts unserer Gesellschaft geschieht ein Verbrechen, das die beiden Ermittler nicht nur beruflich, sondern auch ganz privat konfrontiert (ist ja auch schwer zu trennen) und zu einer persönlichen Haltungsäußerung zwingt. Üblicherweise haben beide Ermittler unterschiedliche Haltungen dazu und müssen sich parallel zur Lösung des Falles auch noch mit der Meinungsverschiedenheit ihres befreundeten Gegenübers auseinandersetzen. Dies geschieht bei Ballauf und Schenk in Köln, bei Leitmayr und Batic in München, bei Lürsen und Stedefreund in Bremen … bei fast allen.

    Und nicht selten ist einer der beiden Ermittler sogar persönlich betroffen, was häufig zu heftigem Gemaule aus dem Kritikerlager führt: „das ist kein Krimi mehr, das ist ein Gesellschaftsdrama!“

    Ja, ganz genau das ist es! Die polizeiliche Ermittlung ist lediglich ein Setting, das sich ideal als Startpunkt eignet, um auszuziehen und die Untiefen der Gesellschaft zu erkunden. Durch diese Methodik wird ein Krimi über die pure Lust am intellektuellen und/oder emotionalen Vergnügen hinaus überhaupt erst relevant: weil er nämlich die „moralische“ Einordnung der Ereignisse betreibt, der dritten Komponente, die nach Aristoteles zwingend für großartiges Drama erforderlich ist.

    Dasselbe gilt für die Wallanders, Hills, Barnabys, Fitzgeralds, es galt sogar schon für Crockett und Tubbs aus Miami. Deswegen wird es angeschaut.

    Doch es gibt noch einen weiteren Grund:

    3. Familiarität.

    Die Deutschen schätzen keine Krimis (um den Begriff nochmals zu verwenden) – sie schätzen KrimiSERIEN. Nicht das Treffen, sondern das WIEDERSEHEN mit alten Bekannten, die – vielleicht weil sie im Falle „Tatort“ besonders gern am Sonntag vorbeischauen – sogar schon ein bisschen zur Familie gehören. Dies ist der entscheidende Beweis dafür, dass es nicht primär um die Handlung geht, sondern um die Charaktere. Das Personal. So ist es bei „House“, so war es bei „Detektiv Rockford“, so ist es trotz der Stunts und Explosionen (die es mittlerweile im TV Überfluss gibt) sogar bei „Alarm für Cobra 11“.

    Nicht das, was passiert, ist entscheidend, sondern dass sich alte Bekannte darum kümmern – Bekannte, die uns vertraut sind, die wir ein Stück weit berechnen können, die uns trotzdem noch zu überraschen vermögen und auf die wir uns dahingehend verlassen dürfen, dass sie stellvertretend für uns die Welt nach 60 oder 90 Minuten wieder in Ordnung gebracht haben.

    Fazit:

    Es werden deshalb keine „Krimis“ fürs Kino gedreht, weil auch keine fürs Fernsehen gedreht werden. Nicht mehr. Schon seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr.

    Und geschrieben werden auch keine mehr! Das was die Bestsellerlisten hergeben, sind keine Krimis, sondern ausgereifte Psychothriller, die sich unter Maßgaben des Jugendschutzes kaum fürs deutsche Fernsehen produzieren ließen und in großer Mehrheit auch nicht von deutschen Autoren stammen.
    Auch hier sind diejenigen besonders erfolgreich, die ebenfalls in Serie produziert werden.

    Und last not least: wir Deutschen sind kein Einzelfall. Nicht-serielle Thriller sind auch im anglo-amerikansichen Raum selten bis nie kommerziell erfolgreich.

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